Pakistan bald zu einem Drittel unter Wasser
Energie und Klima – kompakt: Rekordmonsun und Rekorddürren, Gaspreisdebatten und das Versagen des Verkehrsministeriums.
Pakistan erlebt mittlerweile die achte Woche heftiger Monsunregenfälle, die, gepaart mit einer großen Menge von Gletscher-Schmelzwasser zu historisch einzigartigen Überschwemmungen geführt haben. Ein Ende der Katastrophe ist bislang nicht in Sicht, pakistanische Politiker:innen befürchten, dass bald ein Drittel der Landesfläche unter Wasser stehen könnte. (Pakistan ist mit einer Fläche von knapp 800.000 km² mehr als doppelt so groß wie Deutschland.)
1061 Menschen sind seit dem 14. Juni in Folge der Überschwemmungen ums Leben gekommen, 1575 wurden verletzt. Fast eine Million Bauten wurden zerstört oder beschädigt, über 700.000 Nutztiere sind verendet. 33 Millionen Menschen sind von den derzeitigen Überschwemmungen betroffen, so die pakistanische Regierung. Aus dem Hubschrauber aufgenommene Bilder zeigen in den südlichen Provinzen riesige Wasserflächen, aus denen kaum ein Stück trockenes Land hervorschaut.
Rettungskräfte hätten Schwierigkeiten, überhaupt Stellen zu finden, an denen Hilfsgüter per Hubschrauber abgelassen werden könnten, berichtet Pakistans Klimawandelministerin Sherry Rehman im Interview mit der Deutschen Welle, inzwischen würde auch die Marine eingesetzt.
Rehman hebt hervor, dass es sich nicht um ein außergewöhnliches Wetterereignis, sondern um eine Klimakatastrophe handelt, die ihr Land durchlebt. Diese hat nicht erst mit der Monsunsaison begonnen, sondern bereits mit der Hitzewelle Anfang März, bei der im Süden Temperaturen von bis zu 53 Grad Celsius gemessen wurden und die zu vielen Waldbränden geführt hatte.
Bereits im Jahr 2010 hatte Pakistan ein bis dahin historisches Ausmaß von Überschwemmungen erlebt und ein großer Teil der Infrastruktur sei klimaangepasst wieder aufgebaut worden, Brücken beispielsweise höher gebaut worden. Rehman macht auch deutlich, dass ein erneuter Wiederaufbau ohne externe Hilfe nicht möglich sein wird, selbst für unmittelbare Hilfe für die Flutopfer würde eine Milliarde US-Dollar gebraucht. Die Ministerin erinnert die westlichen Länder an ihre Verantwortung, ihre auf der UN-Klimakonferenz gemachten Klimaversprechen einzuhalten und in konkrete Maßnahmen zu übersetzen.
Welchen Anteil der menschengemachte Klimawandel an dem langanhaltenden Monsun hat, werden Wissenschaftler:innen mit Sicherheit noch beziffern. Die Hitzewelle im Frühjahr jedenfalls ist durch die globale Erwärmung um das Dreißigfache wahrscheinlicher geworden, so eine Auswertung von Attributionsforscher:innen vom 23. Mai 2022. Eine Schwierigkeit besteht allerdings darin, dass umfassendes Datenmaterial von Wetterstationen für Indien und Pakistan nur für einen relativ kurzen Zeitraum verfügbar ist – für Pakistan erst ab dem Jahr 1979.
Schwere Dürren am Horn von Afrika und in Europa
Während Pakistan unter Wasser steht, ist am Horn von Afrika zu befürchten, dass ein fünftes Mal in Folge die Regenzeit ausbleiben könnte, teilt die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) mit. Langzeitwettervorhersagen für die Zeit von Oktober bis Dezember sehen für die ohnehin schon von Dürre betroffenen Gebiete in Kenia, Äthiopien und Somalia nur geringe Niederschläge voraus.
In Äthiopien, Kenia und Somalia stehen wir am Rande einer noch nie dagewesenen humanitären Katastrophe,
sagt Guleid Artan, Direktor des regionalen Klimazentrums der WMO für Ostafrika.
Über 50 Millionen Menschen sind in der Region von extremer Ernährungsunsicherheit betroffen, Resultat der längsten Dürre seit vierzig Jahren. Das Niederschlagsdefizit könnte sich auch auf die angrenzenden Länder Eritrea, Uganda und Tansania ausdehnen; in Dschibuti, im Osten Äthiopiens und in Teilen des Südsudans könnte es hingegen in den nächsten Monaten mehr als gewöhnlich regnen.
Die Dürre in Europa ist möglicherweise die schwerste seit 500 Jahren, ließ die EU-Kommission verlauten. Anfang August hat nach einer Auswertung der Globalen Dürrebeobachtungsstelle (Global Drought Observatory) der EU-Kommission für fast die Hälfte Europas eine Dürrewarnung bestanden, für 17 Prozent der Fläche Europas ein akuter Dürrealarm.
Eine mittlere bis schwere Dürre hat sich seit Februar in Italien, im Südosten und Nordwesten Frankreichs, im Osten Deutschlands, Osteuropa, Südnorwegen und großen Teilen des Balkans entwickelt. Die Dürre hat zu geringeren Ernten, vor allem von Mais, Soja und Sonnenblumen geführt. Der Wassermangel beeinträchtigte den gesamten Energiesektor, zum einen die Stromerzeugung aus Wasserkraft, zum anderen die Kühlung von Kraftwerken.
Seit Mitte August hat es in vielen der betroffenen Regionen mittlerweile geregnet und sich die Situation dadurch etwas verbessert. Für den westlichen Mittelmeerraum wird aber bis Mitte November zu trockenes Wetter prognostiziert.
Gasumlage, Klima-Sofortprogramme und Neun-Euro-Ticket
Die katastrophalen Auswirkungen der Klimaerwärmung bestimmen hierzulande weniger die öffentliche Debatte als die Gasversorgung und steigende Gas- und Strompreise. Wie die Bundesnetzagentur mitteilt, fließen aktuell zwar nur zwanzig Prozent der Maximalleistung durch Nord Stream 1, die Gasspeicher füllen sich aber langsam, der Gesamtspeicherstand liege bei 82,74 Prozent. Medien berichten, dass Russland an der Kompressorstation bei Portowaja unterdessen große Mengen Gas abfackeln würde, von 4,34 Millionen Kubikmetern am Tag ist die Rede, was einem täglichen CO2-Ausstoß von 9.000 Tonnen gleichkäme. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Zahlen wohl kaum, die ursprüngliche Quelle ist der Branchendienstleister Rystad Energy.
Was die umstrittene Gasumlage angeht, so hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) Korrekturen versprochen, damit Unternehmen, die ohnehin Gewinne einfahren, davon nicht noch zusätzlich profitieren. Die Gasumlage selbst stellt Habeck nicht infrage. Zunächst sollen Endkund:innen ab Oktober 2,4 Cent zusätzlich pro Kilowattstunde bezahlen, die Höhe der Umlage kann aber alle drei Monate angepasst werden. Das Instrument soll zum 1. April 2024 wieder auslaufen. Die Mehrwertsteuer auf Gas soll hingegen von 19 auf sieben Prozent gesenkt werden.
Telepolis hat bereits berichtet über das Versagen von Verkehrsminister Volker Wissing beim Klimaschutz. Dessen Ministerium hatte den Auftrag, einen Plan zu entwickeln, wie zwischen 2022 und 2030 275 Millionen Tonnen CO2 im Verkehrssektor eingespart werden sollen. Das wäre das im Klimaschutzgesetz verankerte Ziel gewesen.
Da das Verkehrsministerium 2021 sein Sektorziel verfehlt hatte, musste es ein Sofortprogramm vorlegen, das durch den Expertenrat für Klimafragen beurteilt wird. Das Sofortprogramm des Bundesverkehrsministeriums umfasst aber lediglich Einsparungen von 14 Millionen Tonnen Treibhausgasen. Der Expertenrat für Klimafragen wollte das Sofortprogramm zum jetzigen Zeitpunkt daher gar nicht erst inhaltlich prüfen, und verwies nur darauf, dass dieses "nicht die Anforderung an ein Sofortprogramm gemäß Bundes-Klimaschutzgesetz erfüllt".
Nicht nur auf Telepolis wurde Verkehrsminister Wissing Arbeitsverweigerung vorgeworfen, da sich sein Ministerium nicht einmal ansatzweise bemüht hat, gesetzliche Vorgaben zu erfüllen. Die Deutsche Umwelthilfe hat angekündigt, Klage gegen die Bundesregierung zu erheben, da diese mit dem mangelhaften Sofortprogramm gegen Paragraf acht des Klimaschutzgesetzes verstößt. Werden die Jahresemissionen eines Sektors überschritten, muss das zuständige Ministerium ein Sofortprogramm vorlegen, "das die Einhaltung der Jahresemissionsmengen des Sektors für die folgenden Jahre sicherstellt".
Ein Sofortprogramm hatte auch das Bundesbauministerium für den Gebäudebereich vorlegen müssen. Auch hier hat der Expertenrat für Klimafragen noch einige Zweifel an der angegebenen Effektivität der Maßnahmen. Bis zum Jahr 2027 würde es zudem weiterhin zu Überschreitungen der Vorgaben aus dem Klimaschutzgesetz kommen, diese würden laut Ministerium aber durch stärkere Minderungen zwischen 2028 und 2030 ausgeglichen. Der Expertenrat stellt hier die Frage an den Gesetzgeber, "ob dies im Sinne der Intention des Bundes-Klimaschutzgesetzes ist".
Zurück zum Verkehr: In drei Monaten wurden rund 52 Millionen Neun-Euro-Tickets verkauft, wie Marktforschungen im Auftrag des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und der Deutschen Bahn ergaben. Zehn Prozent der Fahrten mit dem Neun-Euro-Ticket hätten Fahrten mit dem privaten Pkw ersetzt, dadurch seien schätzungsweise 1,8 Millionen Tonnen CO2 eingespart worden.
Drei Monate Neun-Euro-Ticket haben etwa so viel CO2 eingespart wie ein Jahr Tempolimit auf Autobahnen bringen würde,
sagte VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff.
Das Neun-Euro-Ticket hat also nicht nur die Bürgerinnen und Bürger finanziell entlastet, sondern auch eine eindeutig positive Wirkung fürs Klima. Alle verantwortlichen Akteure sollten daher jetzt zügig über die Fortsetzung und Weiterentwicklung eines solchen Angebots entscheiden.
Hier hätte das Bundesverkehrsministerium also schon ein Pfund für ein Sofortprogramm: 7,2 Millionen Tonnen pro Jahr für die nächsten acht Jahre ergäben schon 57,6 Millionen Tonnen. Würde man das mit Verbesserungen des öffentlichen Nahverkehrs vor allem im ländlichen Raum kombinieren, hätte man außerdem noch erhebliches Umstiegs-Potenzial. Dort gab ein Großteil der Befragten an, das Ticket wegen umständlicher Verbindungen nicht genutzt zu haben. Und auch das einfach umsetzbare Mittel Tempolimit findet sich noch nicht im Sofortprogramm des Verkehrsministeriums.