Panikmache gegen Linux
Um was es bei der Klage von SCO gegen IBM und kommerziellen Linux-Anwendern wegen des Verstoßes von Handelsgeheimnissen an Unix wirklich geht, ist bislang nur Gegenstand von Spekulationen
Als die SCO Group die Firma IBM wegen angeblicher Verstöße gegen die Rechte am "Ur-Unix" verklagte, war die Überraschung innerhalb der Linux-Community groß. Denn schließlich ist SCO selbst im Rahmen von UnitedLinux im Linux-Geschäft tätig. Was hinter der Klage steckt, ja schon worum es genau geht, ist bislang nur Gegenstand von Spekulationen, da SCO weiterhin auf Geheimhaltung setzt. Doch die Panikmache erweist sich im Kampf gegen die weitere Verbreitung von Linux immer wieder als bewährtes Mittel.
Am 7. März 2003 hat die SCO Group in Utah gegen IBM wegen des Verstoßes gegen Handelsgeheimnisse (trade secrets) und Vertragsbruch Klage eingereicht. Gegenstand dieser Handelsgeheimnisse ist das "geistige Eigentum", das SCO über viele Stationen (wie z.B. Novell) an dem zu Beginn der siebziger Jahre entwickelten Ur-Unix erworben hatte. Teile davon seien widerrechtlich von IBM in das Linux-Betriebssystem integriert worden.
In den letzten Tagen hat sich der Konflikt zugespitzt, da SCO entgegen anfänglichen Beteuerungen sich nicht nur auf IBM wegen des angeblichen Verstoßes, sondern auch auf Linux selbst eingeschossen hat. In einem offenen Brief an 1.500 kommerzielle Linux-Anwender wurden diese darauf hingewiesen, durch ihre Linux-Nutzung möglicherweise gegen geltendes Recht zu verstoßen. Inzwischen hat SCO den Linux-Verband verlassen.
Das ist umso überraschender, als SCO doch selbst im Geschäft mit dem freien Betriebssystem vertreten ist, obwohl es eigene Unix-Betriebssysteme für Intel- und AMD-Prozessoren (kurz PC-Unix) kommerziell vertreibt. Ursprünglich wurden Firmenteile SCOs durch die Linux-Firma Caldera gekauft, um sich dann später wieder selbst komplett in "SCO Group" umzubenennen. Ähnlich verwirrend gestaltet sich die Produktpalette von SCO: Neben dem "SCO Linux 4" ("powered by Unitedlinux") und "Openserver" vertreibt SCO ein "Openunix 8", das gleichzeitig unter dem Namen "Unixware 7.1.2" firmiert. Um die Sache etwas übersichtlicher zu gestalten hat SCO nun den Vertrieb von Linux und überhaupt "alle Linux-bezogenen Aktivitäten" eingestellt, und sich stattdessen auf den Rechtsstreit mit IBM konzentriert.
Ein offenes Geheimnis
Erstaunlicherweise ist weiterhin unklar, worin nun genau der Verstoß IBMs bestehen soll, denn die Anklageschrift ist sehr allgemein gehalten. IBM wird, kurz gesagt, vorgeworfen, bestimmte Handelsgeheimnisse des originären Unix-Systems, an dem SCO heute die Rechte hält, durch die Integration ins Linux-System veröffentlicht zu haben. Um welche es sich handeln soll bleibt weiterhin unklar, da SCO die Veröffentlichung der angeblichen Geheimnisse weiterhin verhindern will, möglicherweise auch aus prozesstaktischen Gründen. Das ist natürlich etwas paradox, da diese, sollten sie von IBM in Linux integriert worden sein, schon offenliegen, denn der Linux-Code ist schließlich öffentlich zugänglich.
SCO behauptet, durch diese Offenlegung einen erheblichen Wettbewerbsnachteil im Bereich PC-Unix erlitten zu haben. Nach SCOs Version der Geschichte hätte ihr geheimes Knowhow Linux erst wirklich fähig zum Einsatz in Unternehmen ("enterprise use, market etc.") gemacht und sei damit dem Absatz der eigenen PC-Unix-Systeme abträglich gewesen. Vor dem nun als illegal gebrandmarkten Linux-Engagement IBMs sei Linux ein reines Hobbyisten- und Bastler-System gewesen.
Man könnte sich sicher über einige Details streiten, aber dass Linux im kommerziellen Umfeld bereits sehr erfolgreich war, als IBM anfing, sich an dessen Entwicklung zu beteiligen, ist eine Tatsache. Es ist im Gegenteil gerade so, dass viele große Firmen wie IBM oder Oracle erst ein Interesse an Linux entwickelten, als es sich durch seine immer stärkere Verbreitung als großer und nicht vorhergesehener Erfolg erwiesen hatte. Die Anklageschrift ist gespickt mit solchen entweder offensichtlich falschen oder zumindest extrem einseitigen und verzerrten Darstellungen der PC-Unix-Entwicklung der letzten Jahre.
"Prior to IBM's involvement, Linux was the software equivalent of a bicycle. UNIX was the software equivalent of a luxury car."
Der direkt gegen Linux gerichtete und nun in Briefform an kommerzielle Anwender adressierte Vorwurf ein "nicht autorisiertes Derivat von UNIX" zu betreiben, ist ähnlich fragwürdig. SCO beruft sich auf beinahe 30 Jahre alte Rechte an etwas, das schon damals nicht nur von AT&T, sondern auch an Universitäten erarbeitet wurde. In diesem Sinn argumentiert auch der Open Source Guru Eric S. Raymond, der zu der Angelegenheit ein recht fundiertes Papier verfasst hat. Aufgrund der verzweigten Geschichte heutiger Unix-Systeme erscheint es einigermaßen absurd, deren Ursprung auf eine einzige Quelle zurückführen zu wollen, an dem man zufälligerweise gerade die Rechte besitzt.
Es stellt sich überhaupt die Frage, ob so etwas wie "das Unix-System" nicht mittlerweile zum allgemeinen Wissensschatz gehört. Schließlich gibt es kein Buch und keine Vorlesung zum diesem Thema, in dem nicht Standardprobleme des Betriebssystementwurfes mit Standardlösungen aus dem Unix-Umfeld veranschaulicht werden. Es ist schlicht so, dass es praktisch unmöglich ist, ein Betriebssystem zu schreiben, ohne sich irgendwelcher Unix-Konzepte zu bedienen. Gleichzeitig würden sich viele damals noch erarbeitete Lösungen heute durch den allgemeinen Fortschritt in der Informatik, viel leichter, praktisch von selbst ergeben (das ist natürlich auch, aber nicht ausschließlich der Unix-Entwicklung zu verdanken).
Betreibt SCO eine FUD-Strategie?
Welcher Grund hinter der ganzen Aktion steckt, muss wohl Gegenstand von Spekulationen bleiben. Die Erfolgsaussichten SCOs dürften angesichts der Faktenlage und schon des materiellen Umfangs der Rechtsabteilung IBMs eher schlecht sein. Insofern drängt sich der Verdacht auf, dass es sich um einen verzweifelten letzten Versuch handelt, die eigene Kasse mit Schadenersatzforderungen aufzubessern. Im Fall eines Vergleiches vor Gericht könnte SCO immerhin noch einen guten Schnitt machen. Ein solcher Coup ist der Vorgängerfirma Caldera schon einmal mit Microsoft gelungen: Um die 100 Millionen Dollar soll Caldera damals durch den Vergleich erhalten haben. Zumindest sind die SCO-Aktien in den letzten Tagen schon einmal kräftig im Wert gestiegen.
Andererseits entspricht die Vorgehensweise eher dem bekannten FUD-Schema (fear, uncertainty, doubt), das in der Computerbranche immer wieder gern angewandt wurde und wird. Dabei geht es darum, durch das gezielte Streuen negativer Gerüchte, die Nutzer von Konkurrenzprodukten so zu verunsichern, dass sie zu diesen ihr Vertrauen verlieren. Sollten sich die Gerüchte irgendwann als falsch erweisen, haben sie längst ihre Aufgabe erfüllt. Die Klage gegen eine Firma wie IBM dürfte zusammen mit dem oben erwähnten Anschreiben tatsächlich einige kommerzielle Linux-Anwender verunsichern. Somit könnten viele von diesen in Zukunft wieder auf ein Unix setzen, dessen rechtlicher Status zumindest nicht umstritten ist.
Gerade im Kampf gegen das sich noch immer weiter verbreitende Linux, das sich nicht ohne weiteres der ökonomischen Logik unterwirft, setzen Firmen gerne auf die FUD-Strategie. So hat letztes Jahr Steve Ballmer von Microsoft bei mehreren Gelegenheiten versucht, "Open Source" und speziell Linux nach diesem Schema zu diskreditieren.
Die weitere Entwicklung von Linux wird davon wohl weitgehend unberührt bleiben. Einige wichtige Entwicklungen der letzten Jahre wurden zwar von Firmen wie IBM oder SGI vorangetrieben. Sollten sich aber nun viele Firmen wieder aus dem "Linux-Geschäft" zurückziehen, wären das auch nur das Ende eines weiteren Hypes, so wie das Platzen der dotcom-Blase. Egal wie der Prozess ausgehen wird, es wird auf keinen Fall das Ende von Linux bedeuten oder auch nur ein nennenswertes Hindernis darstellen.