Parchim International, der den Berliner Flughafen ersetzen wird

Bild: © Neue Visionen Filmverleih

Eine Tragikomödie des Stillstands

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Jonathan Pang läuft. Ob in den smogverhangenen Straßen Pekings oder am Provinzflughafen Schwerin-Parchim, der chinesische Investor zieht unermüdlich seine Bahnen. Pang erwarb den ehemaligen Militärflughafen im Winter 2008, nur wenige Monate nach dem Baubeginn des Flughafen-Terminals Berlin Brandenburg. Die häufigsten Gäste auf der Landebahn sind seitdem Feldhasen. Flugzeuge sind hier selten.

Meist sind es Hobbypiloten, die den Flughafen als Trainingsgelände für ihre Kleinflugzeuge nutzen. Doch für Pang ist das mecklenburgische Hinterland das Herz Europas - genau zwischen Berlin und Hamburg. Hier will er ein, aus China koordiniertes, Zentrum des Warenumschlags und der Passagierluftfahrt hochziehen. Ein Flughafen "der den Berliner Flughafen ersetzen wird", wie der Chinese stolz auf seinem Flugfeld ankündigt.

Selbst ohne das karge Panorama der leeren, verregneten Landebahn und den daneben parkenden Traktor, wirkt Pangs Aussage wie ein satirischer Seitenhieb in Richtung Flughafen Berlin Brandenburg (BER).

Symptome des Großprojekts

Parchim International bleibt diesem spöttischen Gestus über weite Strecken treu. Stefan Eberlein und Manuel Fenn inszenieren den Dokumentarfilm als Komödie des Investmentwahns. Genüsslich wechselt der Film zwischen Bildern der Provinz Parchim und der Megametropole Peking. Eine Einzel- und Freihandelszone der chinesischen Hauptstadt, in solch gewaltigem Ausmaß, dass man anderthalb Jahre bräuchte, sie zu durchqueren, wenn man sich nur eine Minuten in jedem Geschäft aufhielte, wird einem Parchimer Imbiss gegenüber gestellt, an dem eine alte Frau mit Gehwagen vorbei rollt.

Bild: © Neue Visionen Filmverleih

Die Vision aus Peking kommt in die Provinz, und es entsteht, abseits humoristischer Reibungsflächen, erst einmal nichts. Großprojekte verschlingen, neben Geld, eben vorrangig Zeit.

Das Vakuum, das am Parchimer Flughafen entsteht, formen Stefan Eberlein und Manuel Fenn zu einer Komödie im ästhetischen Mantel des Stillstands. Sieben Jahre haben sie Pang bei seiner großen Vision begleitet, die schon an den Symptomen des Großprojekts erkrankt ist, bevor sie überhaupt die Finanzkraft aufbringen konnte, um als solches definiert zu werden. Die Landebahn des Flughafens weist erhebliche Sicherheitsmängel auf, der Anflugroute steht die Bewaldung eines Friedhofs im Weg und die anliegende Landstraße steht dem weiteren Ausbau im Weg.

Das visionäre Großprojekt wandelt sich sukzessive zur stagnierenden Kleinbaustelle, auf der ein einsamer Hydraulikhammer Löcher in die Landebahn stampft. Ein planloses Stochern im maroden Betonbelag, dem Pangs bayerischer Berater Werner Knan als einziger Zeuge beiwohnt - ein wunderbares Ersatzsymbol zum ersten Spatenstich. Nur ein paar hundert Meter entfernt und nur ein paar Jahre später beginnt dann auch der Bau eines neuen Towers, der den kaum baumhausgroßen Vorgänger ersetzen soll.

"Immerhin ein Fortschritt.", bemerkt der einsame Fluglotse, der weiß, dass er den unfertigen Neubau noch jahrelang aus seiner kleinen Kanzel beobachten wird.

Kapital, aus der Hüfte geschossen

Der gedankliche Sprung von Parchim nach Berlin, den der chinesische Unternehmer gerne im Kontext der Zukunft des Flugverkehrs macht, fällt tatsächlich sehr leicht. Baustopp, Streit um Flugrouten, Sicherheitsmängel: Der Parchim Airport wirkt fast wie ein kleiner Bruder des Flughafen Berlin Brandenburg. Doch wo Bund und FBB nur noch auf ein Ausbleiben weiterer Verzögerungen hoffen, versprüht Pang noch Optimismus und Vorwärtsdrang.

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Während Anwohner und Flughafenmitarbeiter weiter auf den versprochenen Flugverkehr und die Airport City warten, schießt Pang eine Investmentidee nach der anderen aus der Hüfte. Bei einer Autofahrt entdeckt er die Mecklenburgische Seenplatte, und mit ihr das Potential des Fischereimarktes. Hochskaliert auf 50 Tonnen im Jahr, könnte man die Wollhandkrabben (ironischerweise ein Chinaimport) aus den Reusen der Havel, über Parchim, nach China exportieren.

Der Havelfischer, mit dem Pang und Knan bald ein Meeting abhalten, bemüht sich sichtlich darum den Chinesen ernst zu nehmen, kann aber ein belustigtes Kopfschütteln nicht unterdrücken. 50 Tonnen übersteigen den gesamten Krabbenbestand der Havel. Der Schuss geht daneben, doch Pang läuft weiter. Er reist zu neuen Meetings, trifft Lokalpolitiker, Investoren aus Russland, China und Nigeria, die die Filmemacher gar nicht erst vorzustellen versuchen.

Die Ergebnisse der Geschäftstreffen geben ihnen recht: Es bleibt bei abstrakten Formeln und leeren Gesten. Investitionen bleiben aus. Die Rechnung bleibt Pang selbst überlassen. Jährlich vier Millionen Euro zahlt er für den Flughafenbetrieb, während seine Einnahmen von Hobbypiloten kommen, die am Flughafen Touch-and-Go-Trainingsflüge für 10,06 Euro buchen.

Taking Care of Business

Bei allem Spott für die kapitalistischen Absurditäten verlieren Eberlein und Fenn nicht das Mitgefühl für ihren Protagonisten. Der Flughafen Parchim ist ein Lebensprojekt, das sich sukzessive zur persönlichen Tragödie eines Mannes entwickelt, der sich aus einem kleinen Dorf an die Spitze des chinesischen Aufstiegs gearbeitet hat.

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Den Preis, den er dafür zahlen musste, zeigt der Film bei einem Besuch in seiner Heimat. Seine Mutter, die immer noch die Felder bestellt, kann mit dem Geld, das er ihr bringt nichts anfangen. Während sie im Bildhintergrund sitzt, erzählt der Investor von seinem Vater, zu dessen Beerdigung er nicht gehen konnte - das Geschäft hat es nicht zugelassen. Dann fällt Jonathan Pang in sich zusammen. Alle Energie, aller Optimismus, alles Visionäre zerbricht vor dem Abbild seines Vaters. "In China you make business or you go home", bringt er schließlich unter Tränen hervor. Er hat seine Wahl getroffen. Schon bald wird er wieder laufen.

Parchim International, der den Berliner Flughafen ersetzen wird (5 Bilder)

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