Peak oil: Steigende Preise, sinkende Förderung

Update: Bush will die steigenden Ölpreise mit den Saudis besprechen, aber auch diese scheinen wie die anderen OPEC-Länder kaum mehr Öl fördern zu können

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Vor knapp einem Jahr schrieb ich an Anlehnung an US-Autor Paul Roberts (Von Energiesüchtigen und Energieanalphabeten): "Jedes Land außer Saudi-Arabien produziert so weit am Limit, dass die Fördermenge nicht wesentlich erhöht werden kann, wenn es zu einer Preissteigerung kommt; nur die Saudis können auf höhere Preise mit einem erhöhten Angebot antworten." Im Moment sprechen jedoch alle Zeichen dafür, dass dies nicht mehr der Fall ist: nicht einmal Saudi-Arabien kann seine Produktion so weit steigern, dass der Ölpreis sinkt. Wenn das stimmt, dann könnte 2005-2006 das Ende einer Epoche einläuten: Die Ölpreise würden nur noch steigen. Über die Folgen sind sich die Experten aber nicht einig.

Update:

US-Präsident Bush und der saudische Kronprinz Abdullah am Montag, den 25. April. Während eines Gesprächs mit Journalisten sagte Bush: "One thing is for certain: The price of crude is driving the price of gasoline. The price of crude is up because not only is our economy growing, but economies such as India and China's economies are growing.

Beim Treffen zwischen George W. Bush und Saudi Prinzen Abdullah ist es zu keiner deutlichen Aussage bezüglich des Ölangebots gekommen. Über andere Themen wie vor allem die Demokratie und den Frieden wurde mehr berichtet. Anscheinend bleibt es dabei, dass Saudi Arabien seine Produktion von derzeit 11 Millionen Barrel pro Tag auf 12,5 Millionen bis 2009 erhöhen möchte. Das Land stellt außerdem einen Ausbau auf 15 Millionen Barrel pro Tag in Aussicht. Wichtig hier ist, dass die Nachfrage weit schneller steigen wird. Wenn also nur Saudi-Arabien seine Produktion wesentlich erhöhen kann, werden diese 1,5 Millionen Barrel den Anstieg in der Nachfrage um 13 Millionen Barrel bis 2009 bei weitem nicht decken können. Doch darüber verlor die Presse kein Wort. Der Barrelpreis sank leicht, bleibt aber weit über $50.

2005 kommen nur schlechte Meldungen. Anscheinend produzieren alle am Limit, sogar die Saudis. Bis 2005 sprachen viele davon, dass die Saudis noch ein paar Millionen Barrel pro Tag zulegen könnten. Dieses Jahr sprechen die Saudis selbst vorerst von 500.000 Barrel. Mitte April meinte George W. Bush deshalb im Vorfeld des Treffens am 25.4.2005 mit Saudi-Prinzen Abdullah:

I think they're near capacity, and so we've just got to get a straight answer from the government as to what they think their excess capacity is.

Auch der Pressesprecher des Weißen Hauses, Scott McClellan, äußerte Entsprechendes:

You have to look the situation in Saudi Arabia as well, and I think most people recognize they are producing at near capacity already.

Ungewöhnlich klare Aussagen - werden wir auf Nullwachstum im Ölgeschäft eingestimmt?

Jedenfalls sind dies keineswegs die einzigen schlechten Nachrichten in den letzten Wochen. 2005 hat sich die Welt an einen Barrelpreis von gut $50-58 gewöhnt, und das mit gutem Grund: Die Nachfrage steigt schneller als das Angebot. Nun reden immer mehr Insider Klartext. Mitte März sagteA Hani Hussain, CEO bei Kuwait Petroleum Corp: "Der Barrel wird nie wieder unter $40 sinken." Anfang März mahnte Adnan Shihab–Eldin, General-Sekretär bei OPEC, er könne nicht mehr ausschließen, dass der Barrel auf $80 in den nächsten zwei Jahren steigt.

Dabei strebte OPEC bis 2005 einen Barrelpreis von $25 an. Diese Zeitvorgabe hatte aber schon Ende Februar Ali Naimi, der Öl-Minister von Saudi-Arabien, für unrealistisch erklärt, als er einen Barrelpreis von $40-50 für den Rest des Jahres vorhersagte. Denn, so Chakib Khelil, der Ölminister von Algerien Anfang März, die OPEC habe nicht ausreichend Produktionskapazitäten, um den Ölpreis zu senken. Der Ölminister von Katar war der selben Meinung: "Die OPEC hat alles in ihrer Macht Liegende getan. Mehr ist nicht drin."

Die Hiobsbotschaften gehen weiter

Auch die International Energy Agency (IEA) redet plötzlich Tacheles. In einer Studie mit dem nicht gerade beruhigenden Titel "Saving Oil in a Hurry", die bisher nur als Entwurf zur Diskussionsgrundlage für ein Treffen im Mai existiert, heißt es:

The reality is that oil consumption has caught up with installed crude and refining capacity.

Das bedeutet, dass nicht nur die Förderung von Erdöl am Limit läuft, sondern auch die Raffinerien und - was die IEA nicht verrät - die Tanker. Anders ausgedrückt: Würde man heute wesentlich mehr Öl fördern können, hätte man trotzdem keine ausreichenden Tankerkapazitäten, um es an die Raffinerien zu befördern, die komplett ausgelastet sind. Weltweit. Es scheint also so zu sein, als hätte die ganze Ölindustrie durch die ganze Wertschöpfungskette hindurch einen "peak" genau hier erwartet.

Am 7.4.2005 sprach der International Monetary Fund von einem unmittelbar bevorstehenden "permanent oil shock" und fügte hinzu: "Wir müssen uns auf hohe Ölpreise einstellen."

Hinzu kommt Chris Skrebowski, Herausgeber des britischen Petroleum Review: "Die neuen Projekte reichen nicht aus, um die sinkende Produktion zu kompensieren." Er geht davon aus, dass sich die Produktion von 82,5 Millionen Barrel pro Tag heute auf 85 bis 2007-2008 steigern lässt. Danach geht die Produktion bergab - für immer.

Benzinschlucker in den USA, Autobahnen ohne Tempolimit in Deutschland. Und alle Jahre wieder gibt es Kampagnen gegen die eine oder andere Ölfirma, bei der man einen Monat lang nicht kaufen soll, damit alle Ölfirmen merken, dass die Kunden die Macht haben und abwandern können. Dabei wissen die Kampagnenbetreiber auch nicht, wie wir das Öl ersetzen sollen. Wie werden wir auf steigende Preise reagieren, die nicht aus einer vermeintlichen Big Oil Conspiracy, sondern aus einer nie endenden Knappheit resultieren? Foto: Graffiti unter einer Freiburger Brücke. Das Foto stammt vom Autor, die Graffiti jedoch nicht, Herr Schily.

Auch viele Investmentbanken gehen von steigenden Preisen aus. So etwa die CIBC World Markets, die am 13.4.2005 meinte, ein Barrel Öl würde im Jahre 2010 bis zu $100 kosten. CIBC glaubt zwar im Gegensatz zu Skrebowski, dass man im Jahre 2010 ganze 86,8 Millionen Barrel produzieren kann, dennoch wird das Angebot die Nachfrage nach 95,7 Millionen Barrel bei weitem nicht decken können. Und eine der größten Investmentbanken im Energiesektor, Goldman Sachs, erklärte Ende März 2005, der Barrelpreis könnte sogar bald auf $105 klettern.

Und danach? Die französische Investmentbank Ixis-CIB warnte im April 2005 davor, dass ein Barrel Öl im Jahre 2015 gar $380 kosten könnte, wenn alles so weitergeht.

Wenn das Angebot sich nicht mehr steigern lässt

In der klassischen Marktwirtschaftstheorie führen höhere Preise/eine höhere Nachfrage zu einem erhöhten Angebot. Diese Lehre kennt jedoch keine endlichen Ressourcen. So sagte George W. Bush neulich: "Ich sage Ihnen, bei $55 pro Barrel brauchen die Ölfirmen keine Anreize mehr, um neue Felder zu erforschen."

Wo aber nichts ist, helfen höhere Preise nicht. Seit Jahren schon wird viel mehr in die Suche nach neuen Ölfeldern investiert, als sinnvoll herauskommt. 2003 beispielsweise wurden laut der International Herald Tribune $8 Milliarden in die Erforschung gesteckt, aber gefunden wurde nur Öl im Wert von $4 Milliarden.

Außerdem wird seit Jahren schon viel Öl durch Technikvorsprünge wirtschaftlich gemacht. Aber irgendwann ist auch damit Schluss, denn man läuft dabei Gefahr, die Ölfelder langfristig lahm zu legen, wenn man sie kurzfristig zu schnell ausbeutet. Erhöht man zum Beispiel den Druck unter der Erde, so dass mehr Öl oben leichter herauskommt, droht das ganze Feld ohne Vorwarnung zu "kippen".

Eine andere Methode: Man bohrt horizontal weiter, wenn man schon Kilometer tief angekommen ist. Doch auch diese Methode hat ihre Tücken, wie Shell 2004 bewies. In Shells größtem Feld (Yibal in Oman) wurde eine solche neuartige Horizontalbohrung ausprobiert. Das kurzfristige Ergebnis kann sich sehen lassen - das Ergebnis seit einem Jahr aber auch.

Shell hat Anfang 2004 kurzerhand seine Reserven um 20% nach unten korrigieren müssen. Anderen Firmen geht es zwar besser, aber nicht gut. Dank uneinheitlicher Berechnungsmethoden weiß aber sowieso niemand, wovon geredet wird. So machen bei der weltgrößten Ölfirma ExxonMobil die neuen Reserven für 2004 laut Firmenangaben zwar 112 Prozent der im selben Jahr produzierten Menge aus; bei BP sind es 110 Prozent.

Jedoch weichen nicht nur die Grundlagen für diese Berechnungen bei ExxonMobil von denen bei BP ab, sondern beide weichen auch noch von den neuen, viel konservativeren Vorgaben der Securities Exchange Commission (SEC) ab. Wenn man die SEC-Methoden ansetzt (was nun an der Börse Pflicht ist), hat BP 2004 nur 89 Prozent seiner Produktion ersetzen können - und ExxonMobil nur 83 Prozent.

Aber selbst diese Zahlen sind hervorragend im Vergleich zu Shell, wo die Spanne der letzten fünf Jahre nur von 44% - 57% reicht.

Öl-Sprech

2003 überraschten Buch & Cheney die Welt, als plötzlich gar keine Massenvernichtungswaffen gefunden wurden, denn viele hätten erwartet, dass dort welche gelegt würden, wenn man keine entdeckt hätte - oder, wie Putin es selbst sagte: "Wir hätten welche gefunden." An diese Art zu lügen war man immerhin gewöhnt.

Aber das machten Buch & Co. nicht. Michael Moore drückte seine verblüffte Empörung so aus http:

By not faking some evidence of weapons of mass destruction, it shows that you thought no one would mind if it turned out you made everything up. A different kind of president, who believes that the American public would be outraged if they ever found out the truth, would go to great lengths to cover up his subterfuge.

Was die Welt nicht wusste: Buch & Cheney kommen aus der Öl-Industrie, und dort wird seit Jahrzehnten in aller Öffentlichkeit gelogen, ohne dass man überhaupt versucht, die Lügen glaubhaft zu machen. Obwohl die Welt immer mehr Öl verbraucht und immer weniger neue Funde hinzukommen, werde komplett unveränderte Zahlen für Ölreserven ausgewiesen, wie ich 2003 berichtete (Esso verkündet das "Öldorado 2003"): "Anscheinend schicken all diese Länder jedes Jahr den gleichen Brief an BP ab, in dem nur das Datum geändert wird." Es wird also nicht einmal der Versuch unternommen, die Lügen glaubhaft zu machen.

Anzahl der Länder, die ihre ausgewiesen Reserven nicht verändert haben (Quelle: HIS Energy):

  1. Seit 2002: 66 (68%)
  2. Seit 1998: 38 (39%)
  3. Seit 1993: 13 (13%)

Allerdings stimmt es nicht ganz, dass die Länder sich direkt bei BP melden, sondern BP übernimmt alle Zahlen in seinem "Statistical Report of World Energy" unhinterfragt vom renommierten Oil & Gas Journal. Dieser wiederum bekommt die gleichen Briefe von Jahr zu Jahr, in denen nur das Datum geändert wird. Niemand kontrolliert, ob die Zahlen aus Saudi-Arabien, Venezuela, usw. auch stimmen.

"Das heutige System ist völlig sinnlos"

Seit einigen Jahren packen aber immer mehr ehemalige Ölmänner aus. Sie stehen nicht mehr auf der Gehaltsliste der Ölfirmen, sondern auf der Seite von Investmentbanken. Und die mögen keine Risiken.

Einer der prominentesten untern ihnen ist Colin Campbell, der laut dem Guardian Mitte April zugegeben haben soll, noch nie in seiner Zeit in der Ölindustrie die Wahrheit über einen Fund gesagt zu haben:

I do not think that I ever told the truth about the size of a prospect.

Ein anderer ist Matthew Simmons, der seit einigen Jahren darauf hinweist, dass die so genannten "proven resources" keineswegs bewiesen, sondern nur "geschätzt" sind. Beide Herren warnen vor den daraus resultierenden Risiken, wenn die Welt nicht sicher weiß, wie viel Öl übrig ist. Simmons im Februar 2005: "If we fail to reform, we deserve any unfortunate surprises that befall us."

Dabei ist die Manipulation vielleicht nicht so schädlich, wie man vermuten könnte. Zugegebenermaßen haben sich die OPEC-Länder ihre Reserven in den 1980ern über Nacht erhöht, weil die Produktionsmenge auf der Menge der Reserven basierte. Wollte man also mehr verkaufen, musste man mehr haben. Hier gibt es mithin einen Trend dazu, die Reserven nach oben zu verfälschen. Demnach hätten wir also viel weniger Öl, als wir glauben.

Den entgegengesetzten Trend gibt es aber auch, und zwar sparen die Ölfirmen Steuern, indem sie weniger Reserven angeben. Wenn diese unterschätzten Reserven mit den Jahren trotz Verbrauchs stabil bleiben, können die Ölfirmen dies als Beweis anführen, dass sie dank besserer Technik immer mehr herausholen können.

Die Schätzungen (proven reserves) sind jedoch nicht nur manipuliert, sondern inhärent unsicher. Die Autoren eines Berichts vom US Department of Energy (Peaking of world oil production: impacts, mitigation, & risk management) meinen, Ölreserven zu schätzen, sei wie die Größe eines Elefanten mit gebundenen Augen zu ermitteln, wenn man ihn nur hier und da berühren kann:

Reserves estimation is a bit like a blindfolded person trying to judge what the whole elephant looks like from touching it in just a few places. It is not like counting cars in a parking lot, where all the cars are in full view.

Anfang 2005 ließ Mexiko verlauten, das größte Ölfeld des Landes (Cantarell) - das zweitgrößte weltweit in Produktionsmengen gemessen - gebe plötzlich nicht mehr so viel her. Dort wurde die Produktion durch die Injektion von Stickstoffen künstlich und kurzfristig erhöht. Das Feld würde normalerweise so viel produzieren wie ganz Kuwait. Nun geht es schnell zur Neige.

Im Moment blicken alle nach Saudi-Arabien. Hat das Land seine Ölfelder - vor allem das weltgrößte Ölfeld Ghawar - durch eine vorschnelle Überproduktion beschädigt, wie Insider Matthew Simmons behauptete und neulich sogar unabhängig davon eine kanadische Investmentbank meldete?

Über die Folgen sind sich die Experten nicht einig. Die Optimisten betonen, das Ende des Öls sei eine gute Sache, vor allem für das Klima und die Umwelt, und man werde den Übergang schaffen. Aber den Übergang wozu? Die meisten Experten sind eher skeptisch. Der oben erwähnte US-Bericht "Peaking of world oil production" warnt:

Bisher waren die Übergänge von einem Energieträger zum anderen (von Holz zu Kohle, von Kohle zu Öl) langsam und evolutionär; "peak oil" wird schnell und revolutionär sein.

Deshalb kann man nur hoffen, dass die OPEC den Ölpreis zumindest eine Zeitlang stabil halten kann, wenn schon niemand mehr von $40 pro Barrel ausgeht. Sonst müssen wir eventuell die Vorschläge der IEA in der oben erwähnten Studie "Saving Oil in a Hurry" implementieren: Privatautos sollten dann, wenn überhaupt noch, höchstens 90 km/h auf der Autobahn fahren, und mehr Telearbeit müsste in einer verkürzten Arbeitswoche eingeführt werden.

Vielleicht sollte das Motto des 21. Jahrhunderts deshalb lauten: Datenautobahnen für Fußgänger.

Craig Morris übersetzt bei Petite Planète Translations, In der Telepolis-Reihe ist gerade sein Buch Zukunftsenergien. Die Wende zum nachhaltigen Energiesystem erschienen.