Von Energiesüchtigen und Energieanalphabeten

Der Kampf um das verbleibende Öl hat bereits begonnen, wie Paul Roberts in "The End of Oil" ausführt

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Oft wählen Buchautoren den eigenen Titel ihres Werks nicht. Stattdessen verpasst der Verlag dem Buch einen Titel, der hohe Verkaufszahlen verspricht. Mitunter kann es vorkommen, dass der Titel mit der Kernaussage des Buches nicht ganz übereinstimmt. Möglicherweise lief alles so bei Paul Roberts' neustem Buch "The End of Oil". Zwar geht es dem Autor um das nahende Ende der Ölwirtschaft, aber er betont vor allem, dass das Ende des "einfachen Öls" (easy oil) bevorsteht, nicht des Öls insgesamt. Was macht das für einen Unterschied? Roberts erklärt es anschaulich in seinem lesenswerten Buch.

Die Spritpreise steigen und steigen, und selbst Diesel könnte bald über einen Euro pro Liter kosten. Geht uns das Öl aus? Wenn ja, dann würden die Preise nicht mehr fallen, sondern nur noch steigen. Das Resultat: Eine weltweite Depression, die laut Paul Roberts jene von 1929 wie eine "Generalprobe" aussehen ließe, denn wenn das Öl teurer wird, wird alles teurer: von aus Öl hergestellten Produkten (Plastiken, Düngermittel, usw.) bis hin zu Transporten - und daher alle Produkte von Erdbeeren bis PCs. Dann könnte es zu einer "verzweifelten und wahrscheinlich gewalttätigen Auseinandersetzung um die verbleibenden Ölressourcen" kommen.

Sind wir soweit? Man weiß es nicht, und man wird es sowieso erst im Nachhinein wissen, quasi "aus dem Rückspiegel", wie Roberts meint. Die Auseinandersetzungen im Irak sprechen laut Roberts jedoch dafür, dass der Kampf um das verbleibende Öl schon begonnen hat. Seine Argumente sollte man sich genauer anhören (vgl. auch von Paul Roberts: Running out of oil -- and time).

Jedes Land außer Saudi-Arabien produziert so weit am Limit, dass die Fördermenge nicht wesentlich erhöht werden kann, wenn es zu einer Preissteigerung kommt; nur die Saudis können auf höhere Preise mit einem erhöhten Angebot antworten. Die Saudis haben jedoch nicht nur die größten Reserven, sondern auch noch brachliegende Kapazitäten: Pipelines, die nicht voll ausgelastet sind, und Ölfelder, die noch gar nicht gebohrt worden sind.

Die Saudis produzieren normalerweise zwischen 7-8 Million Fass Öl pro Tag, rund 10% der weltweiten Produktion von knapp 80 Millionen Fass. Aber die Saudis können alles blitzschnell rauf- und runterfahren. Sinken die Preise, fahren sie auf bis zu 3,4 Millionen Fass pro Tag (wie 1985) herunter; steigen die Preise, fahren sie auf 9-10 Millionen hoch.

Dadurch haben die Saudis die Macht, den Preis des Öls fast alleine zu bestimmen. Vor einigen Jahrzehnten bedurfte es eines Kartells (OPEC), um den Preis zu kontrollieren. Heute macht es Saudi-Arabien alleine, denn keiner kann wirklich mit den Saudis mithalten. Als Roberts einen hochrangigen Saudi fragte, ob es Missstimmigkeiten und Konkurrenz zwischen Saudi-Arabien und Russland gebe, weil Russland gegen eine Abmachung mit den Saudis seine Produktion hochgefahren hat, entgegnete der Saudi lapidar:

Es gibt keine Konkurrenz. Wir könnten alle Hähne aufdrehen und den Markt mit Öl regelrecht überfluten. Wir spielen nicht in der gleichen Liga.

Der Markt funktioniert nicht

Ein Anruf aus dem Weißen Haus an das Haus der Saudis genügt, um den Ölpreis - und daher den ganzen Weltmarkt - zu bestimmen. Denn es nützt den Saudis herzlich wenig, dass sie so viel Geld besitzen, wenn produzierende Länder nichts mehr zu bieten haben, weil deren Wirtschaften kollabiert sind. Nach der Ölkrise 1973 verstanden es die Amerikaner, die Saudis in gemeinsame Geschäfte zu verwickeln, damit beide Parteien bei einem - womöglich religiös-ideologisch motivierten - Wirtschaftskrieg viel zu verlieren hätten. Die Ölkrisen der 70er Jahre sollten sich nicht wiederholen.

Aber wie können es sich die Saudis überhaupt leisten, bei niedrigen Preisen die Produktion zu halbieren und soviel Förderkapazität die meiste Zeit ungenutzt zu lassen? Laut Roberts liegt es daran, dass der Markt nicht funktioniert, sondern fest in der Hand von einigen Machthabern in Washington, Houston und Riad liegt.

Nehmen wir als Beispiel den Preis eines Öl-Barrels. Zitiert wird der Referenzpreis (benchmark) für Brent-Öl, also Öl aus der Nordsee. Das ist aber mit das teuerste Öl auf der ganzen Welt. Es wurde erst durch die rasant gestiegenen Ölpreise infolge der künstlichen Verknappung des Angebots in den 1970ern überhaupt konkurrenzfähig. Die Gestehungskosten für einen Barrel Brent-Öl liegen über 10 US-Dollar (USD). Fallen die Preise unter 15 USD pro Barrel, streichen die Konzerne in der Nordsee nur noch Verluste ein. Zum Vergleich: Das Öl aus Saudi-Arabien ist das zweitbilligste der Welt bei knapp 2 USD. (billiger ist nur das Öl aus dem Irak - dazu gleich mehr.)

Die Strategie der Saudis ist langfristig ausgelegt. Über kurze Strecken verzichten sie auf Profite. Wichtiger ist, der Westen bleibt langfristig am Tropf. Wie die US-Regierung wollen sie einen Barrel-Preis von rund 20 USD. Dann bleiben die teuren Projekte der Amerikaner im Golf von Mexiko und der Europäer in der Nordsee profitabel. Steigen die Preise zu hoch, befürchten alle, dass sich Energieeffizienz und alternative Energien durchsetzen. Das Resultat könnte das Ende des Ölzeitalters einläuten, und zwar ohne dass uns das Öl ausgeht. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Niemand glaubt mehr daran, dass es Alternativen zu fossilen Energien gibt, als die Ölscheichs selbst.

Die Steinzeit ging nicht zu Ende, weil uns die Steine ausgingen, und das Zeitalter des Öls wird auch nicht zu Ende gehen, weil uns das Öl ausgeht.

Saudi Scheich Zaki Yamani, 1974

Eine Glocke - oder eine Klippe?

Die Preise werden also künstlich hoch gehalten, damit eine gewisse Menge an teurem Öl neben dem billigen Öl aus dem Mittleren Osten bestehen kann. Anders ausgedrückt: Wir produzieren seit Jahrzehnten mehr Öl, als "normale" Marktpreise erlauben würden.

Das könnte zu einer Katastrophe führen. Wie viele andere Experten weist Roberts darauf hin, dass die Produktionskurve des Öls nicht unbedingt wie eine Glocke aussehen muss. Sobald die Produktion sich nicht mehr steigern lässt (d.h., wenn die Saudis wie alle anderen auch am Limit produzieren), wird die Nachfrage das Angebot übersteigen: Die Spitze (peak) wird überschritten sein.

Die Kernfrage lautet: Wie sieht es nach dem Peak aus? Steigt der Barrelpreis von derzeit knapp 40 auf 100 USD innerhalb von zwei Jahren, werden viele Ölfelder, die heute nicht rentabel wären, plötzlich interessant. Die unsichtbare Hand des Marktes, so die übliche Argumentation, wird alles regeln.

Roberts glaubt nicht an diese Sichtweise. Unter anderem dürfte es lange dauern, um neue Felder zu erschließen, d.h. das Angebot ließe lange auf sich warten. Und selbst wenn neues Öl dazu käme, wird das Angebot nicht unbedingt mit der Nachfrage Schritt halten können: Seit 1995 verbraucht die Welt 24,5 Milliarden Barrel Öl jährlich. In der selben Zeit wurden jedoch jährlich nur rund 9,6 Milliarden Barrel neu entdeckt. Wenn wir also bei dem Peak schnell alles aus der Erde heraus holen, was noch zu holen ist, dann dürfte die Kurve nach dem Peak nicht einem sanften Abhang, sondern einer Klippe gleichen.

Das "billige" Öl vs. das "einfache" Öl

Erschwerend kommt hinzu, dass uns zunächst das Öl außer den OPEC-Ländern ausgehen wird, und zwar in 10-15 Jahren. Das Öl in den OPEC-Ländern selbst reicht dann wohl noch 80 Jahre (bei gleichbleibendem Konsum). Ironischerweise geht uns also das teuere Öl vor dem billigen Öl aus.

Deshalb spricht Roberts vom Ende des "einfachen" Öls, denn es ist sowieso einfach, Öl aus Saudi-Arabien zu fördern, aber auch aus der Nordsee, solange die Saudis (sprich: OPEC) die Preise künstlich hochhalten. In 10-15 Jahren werden wir aber mit einer Situation konfrontiert sein, in der fast das ganze Öl auf der Welt am Persischen Golf liegt. Werden uns diese Länder immer noch freundlich gesinnt sein?

Wenn wir dann 2020 versuchen, teuren Ölsand in Kanada (Esso verkündet das "Öldorado 2003") abzubauen, werden wir den Arabern und Persern noch viel stärker als heute ausgeliefert sein. Sie alleine werden bestimmen, ob unsere zweifelhaften Versuche, Öl bei uns zu fördern, Profite abwerfen. Vielleicht lassen sie uns sogar die Bohrinseln aufstellen und in Betrieb nehmen, bevor sie die Preise purzeln lassen.

Ölkrieg im Irak

Hier spielt der Irak eine Schlüsselrolle. Das Land besitzt nicht nur die zweitgrößten Ölreserven der Welt, sondern das billigste Öl überhaupt. Roberts argumentiert: Wer dieses Öl kontrolliert und auf den Markt bringt, wird den einzigen Ölhahn außer Saudi-Arabien haben, der noch aufgedreht werden kann.

Man beginnt zu ahnen, wie strategisch wichtig das irakische Öl ist, und für Roberts sprechen alle Anzeichen dafür, dass es der Bush-Regierung beim Irakkrieg nur ums Öl ging. Für ihn ist die Behauptung Rumsfelds, es gehe im Irak "nicht ums Öl" absurd. Mehr noch: Roberts liefert eine plausible Erklärung dafür, dass sich so wenige in den USA über die Lügen ihrer Regierung aufregen:

Wir sind nicht aufgebracht, weil das Weiße Haus sich konsequent weigert, die Namen der Energiefirmen zu nennen, die die Energiepolitik der USA geschrieben haben. Wir finden es nicht seltsam, dass der Energieausschuss des Weißen Hauses Landkarten der Ölfelder und Pipelines im Irak bereits im März 2000 - mehr als 18 Monate vor den Angriffen am 11. September - unter die Lupe nahm, oder dass die ehemalige Ölfirma des Vizepräsidenten - Halliburton - den Zuschlag für einen Vertrag im Wert von mehreren Milliarden US-Dollar für die Instandsetzung der irakischen Ölfelder zur einer Zeit bekam, als der Irakkrieg noch gar nicht angefangen hatte. Oder dass das US-Militär eine streng kontrollierte Sicherheitszone um das Gebäude des irakischen Ölministeriums mitten in Bagdad errichtete, während Krankenhäuser, Schulen, Stadtwerke, und andere kritischen Elemente der Infrastruktur ungeschützt gebrandschatzt und ausgeplündert wurden. Wir lassen uns von solchen Tatsachen nicht beunruhigen, weil wir sie dann zwangsläufig als eine Ausgeburt unseres unkontrollierten Energiesystems sehen müssten, das ja bei uns zu Hause anfängt: in unseren eigenen Autos und Häusern.

Gibt es einen Ausweg?

Roberts beschreibt uns im Westen fast als Säuglinge, denen man den Lutscher wegnehmen will. Wir sind "ölsüchtig" - und verleugnen es obendrein. Uns ist gar nicht bewusst, wie viel Energie wir wann verbrauchen: Wir sind "Energie-Analphabeten".

Deshalb wäre es ein erster Schritt, wenn wir uns informieren würden, wie wir Energie verschwenden. Roberts' Buch liefert einige Anhaltspunkte dazu, allerdings aus der Perspektive der USA: Die USA könnten auf Ölimporte gänzlich verzichten, wenn sie den Verbrauch ihrer Autos senken würden. Obwohl er glaubt, dass große Effizienzsteigerungen noch möglich sind, sieht er darin einen Teufelskreis: Wenn wir Energie sparen, sinkt die Nachfrage; dann sinken die Preise, und dann lohnen sich Effizienzmaßnahmen nicht mehr.

So richtig hat Roberts also keine Lösung parat. Er hofft auf Brennstoffzellen, weiß aber auch nicht, woher der Wasserstoff kommen soll (Wo kommt der Wasserstoff her?). Vielleicht werden Biotechniker eines Tages eine Mikrobe entwickeln, die aus Kohlenstoff Wasserstoff macht? Zu meinem Verdruss glaubt Roberts auch nicht, dass Erneuerbare Energien unseren Bedarf decken können:

Analysten meinen, Wind- und Solarenergie können höchstens 20 Prozent des Bedarfs einer Region decken. Darüber hinaus käme es zu Stromausfällen aufgrund der schwankenden Produktion, oder die Kosten wären zu hoch, weil so viel Leistung in konventionellen Kraftwerke in Reserve gehalten werden muss...

Obwohl Deutschland (bzw. Freiburg) einen großen Platz in Roberts' Buch einnimmt, scheint er nicht zu wissen, dass die Windenergie alleine schon rund 20% des Energiebedarfs in Dänemark und in Teilen Deutschlands deckt. Wenn Solarstrom noch dazukommt, wird es nicht zu solchen Problemen kommen, denn Wind und Sonne ergänzen sich bestens (Warum das bewölkte Deutschland einen PV-Boom auslösen kann). Dann können noch Biomasse und Geothermie (Das Erd-Dorado) dazu kommen, denn diese können wie Kohle- und Kernkraftwerke, dem Bedarf angepasst, hoch- und heruntergefahren werden. Und dann gibt es noch Wellen- und Gezeitenkraftwerke, Solarthermie und andere Techniken, die noch in den Kinderschuhen stecken. Manche Analysten meinen deshalb, dass die Erneuerbaren Energien nicht nur 20%, sondern 100% unseres Bedarfs decken können.

Roberts klingt also wie Dick Cheney, wenn er sagt, man brauche eigentlich Technologien, die emissionsfrei Energie erzeugen, aber diese seien entweder nicht realisierbar oder noch nicht einmal angedacht. Schade, denn im Grunde klingt seine Kernaussage, mit der er sein Buch beendet, eher wie die mahnenden Worte eines Umweltschützers:

Die Frage ist nicht, ob sich unsere Energiesysteme ändern werden - das tun sie bereits -, sondern ob wir mit dem Resultat leben können.