Pearl Harbor im Weltraum

Eine vom designierten Verteidigungsminister Rumsfeld geleitete Kommission fordert die Aufrüstung im Weltraum

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Der von George Bush, dem neuen Präsidenten der USA, designierte Verteidigungsminister Donald Rumsfeld war nicht schon einmal der seinerzeit jüngste amerikanische Chef des Pentagon, sondern danach auch Leiter von zwei Kommission zur nationalen Sicherheit. 1998 legte die erste Kommission die Rechtfertigung zum Aufbau des umstrittenen nationalen Raketenabwehrsystems (NMD) vor, vor wenigen Tagen wurde im Bericht der zweiten Kommission von einem "Pearl Harbor im Weltraum" gewarnt.

Schon n den Vorarbeiten des 30 Milliarden Dollar teuren neuen NMD-Projekts haben die vier größten amerikanischen Waffenproduzenten Boeing, Lockheed Martin, Raytheon und TRW zusammen 2,2 Milliarden Dollar verdient. Foto: Boeing

Die Clinton-Regierung hatte ihre Akzente mit den Pearl Harbor Szenarien des Infowar und des biologischen Krieges gesetzt. Die Bush-Regierung, die mit dem Vizepräsidenten Dick Cheney als ehemaligen Verteidigungsminister und Colin Powell als Leiter der amerikanischen Streitkräfte im Irak-Krieg, nicht nur einen schweren Rechtsdrall hat, sondern auch allein schon personell stark auf das Militär setzt, scheint eher wieder auf die "konventionellere" Bedrohung und Aufrüstung ausgerichtet zu sein.

Rumsfeld ist nicht nur für einen Ausbau des Verteidigungsetats und setzt ganz auf die militärische Stärke der USA durch Modernisierung, er könnte auch endgültig den Weltraum zum militärischen Kampfplatz machen, auf dem die USA ihre Überlegenheit demonstrieren muss. Dazu müssen natürlich Bedrohungsszenarien ins Feld geführt werden, zu denen die Meldung gut passt, dass China angeblich Anti-Satelliten-Waffen entwickelt hat (Parasitensatelliten). Die von Rumsfeld geleitete Kommission zum Thema der nationalen Sicherheit im Weltraum warnte jedenfalls vor einem "Pearl Harbor im Weltraum", womit sie auf das militärische Trauma des Überraschungsangriffs der Japaner 1941 auf die amerikanische Marine in Pearl Harbor, Hawaii, verweist: "Wenn die USA ein 'Pearl Harbor im Weltraum' vermeiden wollen, dann muss die Möglichkeit eines Angriffs auf die US-Weltraumsysteme ernst genommen werden", erläutert die Kommission.

Während der Clinton-Regierung sprach man noch von einem elektronischen Pearl Harbor und beschwor die Verletzlichkeit der USA, die mehr als alle anderen Staaten von Computersystemen abhängen (Infowar gegen die USA). Ganz ähnlich die Argumentation der Kommission, nur dass die bedrohte Infrastruktur sich nun im Weltraum befindet: "Die USA hängen stärker vom Weltraum ab als jede andere Nation. Doch die Bedrohung der USA und ihrer Alliierten im und durch den Weltraum erhält nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdient." Und auch sonst gleicht sich die Argumentation: "Wer den USA gegenüber feindlich eingestellt ist, kann sich auf dem globalen Markt die Mittel zur Lahmlegung, Störung oder Vernichtung von US-Weltraumsystemen durch den Angriff auf Satelliten oder auf Kommunikationsverbindungen von oder zu Bodenstationen besorgen, die die Satelliten steuern und ihre Daten verarbeiten."

Um solche Risiken herabzusetzen, muss nicht nur mehr Geld in die technische Aufrüstung investiert werden, sondern sei auch eine engere Kooperation zwischen dem Militär und den Geheimdiensten notwendig, vor allem mit dem CIA und dem National Reconnaissance Office, das für die Aufklärungssatelliten verantwortlich ist. Auch wenn nicht gleich neben Luftwaffe oder Marine eine unabhängige Weltraumwaffe (oder wie man dies nennen könnte) gefordert wird, so wird doch geraten, die Stelle eines Vizeverteidigungsministers einzurichten, der für den Weltraum, die Aufklärung und die Information zuständig ist.

David Jeremiah, ein ehemaliger Admiral, der ab November anstelle von Rumsfeld die Kommission geleitet hat, nachdem dieser von Bush als Verteidigungsminister vorgeschlagen wurde, sagte, dass die USA insgesamt, vor allem aber das Verteidigungsministerium und die Geheimdienste, "nicht sehr gut darauf vorbereitet sind, die sich im 21. Jahrhundert der Nationalen Sicherheit im Weltraum stellenden Aufgaben zu bewältigen." Die USA würden bei wachsender Angewiesenheit auf Kommunikationssatelliten für Mobiltelefone, auf GPS-Geräte sowie auf die Infrastruktur für Spionage und Bodenstationen immer leichter angreifbarer. Wegen der Probleme mit einem Satelliten seien 1998 zeitweise 80 Prozent aller Pagers in den USA nicht mehr funktionsfähig gewesen. Letztes Jahr hatte die NSA wegen Problemen mit den Computersystemen in der Bodenstation für einige Stunden den Kontakt mit mehreren Satelliten verloren.

Article IV

States Parties to the Treaty undertake not to place in orbit around the Earth any objects carrying nuclear weapons or any other kinds of weapons of mass destruction, install such weapons on celestial bodies, or station such weapons in outer space in any other manner.

The Moon and other celestial bodies shall be used by all States Parties to the Treaty exclusively for peaceful purposes. The establishment of military bases, installations and fortifications, the testing of any type of weapons and the conduct of military maneuvers on celestial bodies shall be forbidden. The use of military personnel for scientific research or for any other peaceful purposes shall not be prohibited. The use of any equipment or facility necessary for peaceful exploration of the Moon and other celestial bodies shall also not be prohibited.

TREATY ON PRINCIPLES GOVERNING THE ACTIVITIES OF STATES IN THE EXPLORATION AND USE OF OUTER SPACE, INCLUDING THE MOON AND OTHER CELESTIAL BODIES, 1967

Und wieder einmal wird der Böse erwähnt, der in den USA als Symbol für alles Gefährliche dient und schon dämonische Züge hat: "Menschen wie Osama bin Laden können zunehmend leichter Zugriff auf die Kapazitäten von Satelliten erhalten", überdies könnten sie die Bodenstationen bedrohen, warnt Jeremias. Die Kommission erkenne zwar die heiklen Probleme, die alles betreffen, was mit offensiven und defensiven Waffen im Weltraum zu tun hat, aber sie schlägt trotzdem vor, dass der US-Präsident die Möglichkeit haben sollte, "Waffen im Weltraum einzusetzen, um Drohungen abzuschrecken oder, falls notwendig, sich gegen Angriffe auf US-Interessen zu verteidigen."

Das UN-Weltraumabkommen erwähnt nur nukleare Massenvernichtungswaffen und verbietet explizit auch nur die Einrichtung von militärischen Stützpunkten oder Waffen auf dem Mond oder anderen Himmelskörpern. Das könnte den Amerikanern, die das Abkommen ratifiziert haben, die Möglichkeit lassen, auf Satelliten oder anderen Flugkörpern Laserwaffen im Weltraum zu stationieren, bietet aber auch anderen Staaten dasselbe rechtliche Schlupfloch für eine weitergehende Militarisierung des Weltraums. Jeremiah hielt sich bei dieser Frage zurück und gab zu bedenken, dass Laserwaffen im Weltraum noch eine Menge Arbeit erfordern, überdies sei es unklar, ob sie auch erschwinglich seien. Aber das sind nur pragmatische Argumente.

Die erste "Rumsfeld-Kommission", deren Thema die Bedrohung der USA durch nukleare Langstreckenwaffen war und die in ihrem Abschlussbericht (1998) den Aufbau des nationalen Raketenabwehrsystems (NMD) befürwortet hatte, kam im Rahmen des Infowar auf die Militarisierung des Weltraums zu sprechen. Zu der "Revolution in Military Affairs" (RMA), die durch neuen Techniken bewirkt werde, rechnete der Bericht vor allem die Präzisionsgeschosse, die Stealth-Technik und den Einsatz von Systemen im Weltraum sowie Computersysteme, um diese Funktionen zu integrieren. Das Ziel, sich derart technisch aufzurüsten, ist es, "die US-Streitkräfte leichter, aber tödlicher zu machen, so dass weniger Personal mit weniger Ausrüstung über größere Entfernungen und mit weitaus größeren Folgen zuschlagen können." Eben dieselben RMA-Techniken werden aber zunehmend auch in Russland, China und anderen Staaten entwickelt, wodurch die USA wiederum stärker entweder durch "asymmetrische" Angriffe auf die Infrastruktur oder die Kommunikationskanäle oder durch Langstreckenraketen gefährdet sind.