Pence oder Pelosi?

1801 musste sich das Repräsentantenhaus in einer Kontingentwahl zwischen Thomas Jefferson und John Adams entscheiden. Bilder: Gemeinfrei

Was das US-Verfassungsrecht im Falle einer uneindeutigen Wahl vorsieht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Drei Tage nach der Präsidentenwahl in den USA haben Donald Trumps Anwälte in den Bundesstaaten Wisconsin, Michigan, Pennsylvania, Nevada, Arizona und Georgia Beschwerden eingelegt. Über diese Beschwerden müssten die Gerichte spätestens bis zum 8. Dezember entschieden haben. An diesem Tag müssen die Bundesstaaten nämlich die Wahlmänner benennen, die sie in das Wahlkollegium entsenden, das am 14. Dezember den Präsidenten wählen soll.

Kontingentwahl

Ob der Instanzenweg bis dahin so weit abgeschlossen ist, dass man sich in allen Bundesstaaten auf Wahlmänner nach dem Wahlergebnis einigt, ist jedoch nicht sicher. Kommt kein Wahlkollegium zustande, entscheidet das Repräsentantenhaus über den neuen Präsidenten. Auch über dessen neue Zusammensetzung besteht noch keine endgültige Klarheit. Dem derzeitigen Auszählungsstand nach konnten die Republikaner zwar dort um mindestens elf Sitze zulegen und führen in neun der 18 noch offenen Rennen - aber um die demokratische Mehrheit zu kippen müssten sie drei weitere Wahlkreise erobern.

Bei der Wahl eines Präsidenten durch das Repräsentantenhaus (wie sie in der Vergangenheit 1801, 1825 und 1837 vorkam) entscheidet allerdings nicht die reguläre Mehrheit dort, sondern eine spezielle: die "Kontingentmehrheit". Dann hat jeder Bundesstaat nur eine einzige Stimme. Und weil die derzeitige (und wahrscheinlich auch zukünftige) reguläre demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus vor allem über die zahlreichen Abgeordneten aus bevölkerungsreichen Staaten wie Kalifornien zustande kommt, läge die Kontingentmehrheit sehr wahrscheinlich in den Händen der Republikaner, die über die Vertreter von mindestens 26 Bundesstaaten den Ton angäben.

Vizepräsident

Das könnte dazu führen, dass das Repräsentantenhaus im Januar Donald Trump zum Präsidenten wählt. Eine Voraussetzung dafür ist, dass die Vertreter republikanisch dominierter Staaten dort auch tatsächlich für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten stimmen. Angesichts des Gegensatzes zwischen ihm und Teilen des republikanischen Establishments ist das nicht sicher. Entscheiden sich Republikaner im Repräsentantenhaus gegen ihn, würde wohl Joseph Biden Präsident. Dafür, dass sich eine Kontingentmehrheit für die theoretisch ebenfalls noch mögliche Drittplatzierte Jo Jorgensen von der Libertarian Party entscheiden würde, liegen keine Anhaltspunkte vor.

Repräsentantenhaussprecherin Nancy Pelosi würde dem Presidential Succession Act of 1947 nach nur dann kommisarische Präsidentin, wenn sich bis zum 20. Januar weder das Repräsentantenhaus auf einen regulären noch der Senat auf einen Vizepräsidenten einigen können. Letzteren kann der Senat (der dem derzeitigen Auszählungsstand nach wahrscheinlich in republikanischer Hand bleibt) bei einer Kontingentwahl aus den beiden Vizepräsidentschaftskandidaten mit den meisten Stimmen wählen. Deshalb könnte es sein, dass ein vom Repräsentantenhaus gewählter Joseph Biden, dessen Gesundheitszustand sich verschlechtert, nicht durch Kamala Harris abgelöst wird, sondern durch Mike Pence. Und es könnte sein, dass dieser Mike Pence ohne diesen Umweg Präsident wird, wenn man sich zwar im Senat, aber nicht im Repräsentantenhaus einigt.

Parlamente in den Bundesstaaten

Ein anderes denkbares Szenario ist, dass die Parlamente in Bundesstaaten wie Wisconsin, Michigan und Pennsylvania wegen Berichten über Manipulationen, statistische Auffälligkeiten und eine Behinderung von Wählern und Wahlbeobachtern (die es auch jenseits bizarrer Verschwörungstheorien gibt) zum Schluss kommen, dass kein eindeutiges Wahlergebnis vorliegt und die Wahlmänner am 8. Dezember selbst bestimmen.

Einigt man sich nicht auf eine paritätische Aufteilung (wie es sie in Maine und Nebraska gibt), wären das mit gewisser Wahrscheinlichkeit Wahlmänner, die für Donald Trump votieren würden. In allen drei Bundesstaaten haben die Republikaner (die US-weit am 3. November um etwa 100 Sitze zulegen konnten) nämlich Mehrheiten in den Parlamenten.

Supreme Court

Machen sie das, wird ihre Entscheidung wohl vor dem Supreme Court landen. Dort könnte bei der Entscheidung der Richter weniger deren politische Orientierung eine Rolle spielen (also, ob sie als konservativ" oder "progressiv" gelten), sondern welcher Rechtsschule sie anhängen. Zwei der drei von Donald Trump nominierten Richter, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett, sind erklärte "Originalisten": Sie versuchen, möglichst wenig in die Verfassung hineinzuinterpretierern, sondern nur das als Gesetz zu nehmen, was dort tatsächlich steht.

Und bezüglich der Bestimmung der Wahlmänner im Wahlkollegium findet sich dort keine Vorschrift, die eine Bestimmung durch die Parlamente der Bundestaaten (wie sie im 19. Jahrhundert häufig vorkam) verbietet. In Artikel 2 Abschnitt 1 heißt es dazu lediglich: "Jeder Einzelstaat bestimmt in der von seiner gesetzgebenden Körperschaft vorgeschriebenen Weise eine Anzahl von Wahlmännern, die der Gesamtzahl der dem Staat im Kongress zustehenden Senatoren und Abgeordneten gleich ist; jedoch darf kein Senator oder Abgeordneter oder eine Person, die ein besoldetes oder Ehrenamt im Dienste der Vereinigten Staaten bekleidet, zum Wahlmann bestellt werden."

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.