Perfider Putin?

Benjamin Griveaux (Foto: Jacques Paquier, CC BY 2.0) und Cédric Villani (Foto: © Marie-Lan Nguyen / Wikimedia Commons, CC-BY 3.0)

Französische Politiker und Medien spekulieren, ob sich die russische Staatsführung zur Ausschaltung von Macrons Pariser Bürgermeisterkandidaten eines expliziten Putin-Gegners bedient haben könnte

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In Marcel L’Herbiers Filmklassiker L’Argent, einer Adaption des gleichnamigen Romans von Émile Zola, verhindert der Aktionär Salomon Massias, dass der Finanzjongleur Aristide Saccards neue Aktien ausgeben kann - worauf hin letzterer sofort fragt, für wen dieser Mann arbeitet. Die Antwort seines Mitarbeiters - "Für sich selbst, glaube ich" - erweist sich als nicht ganz zutreffend, weil Massias in Wirklichkeit an den Fäden von Saccards Widersacher Alphonse Gunderman hängt, wie man später erfährt (und wie viele Zuschauer vielleicht schon erwartet haben).

Die Versuchung, Strippenzieher zu vermuten, lockt nicht nur in Film und Literatur, sondern auch in einem anderen Unterhaltungsbereich: der Realität. Dort trat letzte Woche Benjamin Griveaux, der Pariser Wunschbürgermeister von Emmanuel Macron, von seiner Kandidatur zurück, nachdem der Aktionskünstler Pjotr Pawlenski ein Video mit ihm veröffentlichte (vgl. "Revenge Porn": Russischer Aktionist stürzt Macrons Kandidaten). Pawlenski, der seine "Aktion" mit der Diskrepanz zwischen Griveaux politischen Familienbotschaften und dessen privaten Praktiken begründete, muss sich nun wegen Verletzung der Intimsphäre vor Gericht verantworten.

Instagram und Crépuscule

Dort werden ihm Fragen zum Tathergang und zu möglichen Helfern gestellt. Macrons Sprecherin (die meinte, Pawlenski habe bei seiner Aktion "zweifellos" nicht ohne "Hilfe" durchführen können) und französische Medien stellen diese Fragen bereits jetzt und spekulieren dazu in eine Richtung, die einem in den USA vor allem zwischen 1947 und 1989 sowie erneut seit 2015 beliebten Zuschreibungsweg folgt: in den Kreml. Den hatten Macron-Unterstützer bereits 2017 beschuldigt, hinter 20.000 kurz vor der Wahl veröffentlichten E-Mails seines Teams zu stecken.

Der Weg nach Moskau stellt die Spekulanten allerdings vor das Problem, dass Pawlenski zwar Russe ist, aber im Exil lebt und als erklärter Putin-Gegner gilt. Deshalb argumentieren sie, dass sich auch Putin-Gegner manipulieren lassen, wenn man das geschickt genug anstellt. Und wenn so eine Manipulation gelingt, hat man den perfekten nützliche Idioten, weil der Weg zum Strippenzieher scheinbar verbaut ist.

Wie aber manipuliert man jemanden so, dass er nicht misstrauisch wird? Zum Beispiel mit einer Frau (vgl. Die Honigfalle - Spione in Spitzenhöschen). Die wäre in Pawlenskis Fall dessen 29-jährige und nicht ganz unattraktive Mitarbeiterin Alexandra de Taddeo, deren auf Instagram in Aussicht gestellte Reize auch Griveaux dazu verleitet haben sollen, Hand an sich zu legen. Ebenfalls unter Medienverdacht steht der Rechtsanwalt Juan Branco, der in der Vergangenheit unter anderem den Wikileaks-Gründer Julian Assange vertrat und dessen Schrift "Crépuscule" über Macron als wichtiger Einfluss auf die Gelbwesten-Bewegung gilt. Branco wollte anfänglich auch Pawlenski in dessen Verfahren wegen Verletzung der Intimsphäre verteidigen, gab das Mandat aber inzwischen wegen Befangenheit ab.

Nützt Griveaux Rückzug der LREM sogar?

Wie sich der Rückzug auf die am 15. und am 22. März stattfindenden Kommunalwahlen auswirkt, ist schwer zu sagen. Rachida Dati, die ehemalige Justizministerin und Sprecherin von Nicolas Sarkozy, die für dessen Partei Les Republicains (LR) antritt, hatte den im September noch bei 29 Prozent liegenden Griveaux schon Anfang des Jahres eingeholt und galt mit 20 zu 16 Prozent bereits vor dessen Rückzug als wahrscheinliche Stichwahlherausforderin der sozialdemokratischen Amtsinhaberin Anne Hidalgo, die im ersten Wahlgang mit 23 bis 25 Prozent rechnen kann.

Es könnte jedoch sein, dass sich ein so großer Teil der zuletzt 16 Prozent, die Griveaux wählen wollten, nicht dessen relativ unbekannter offizieller Nachfolgerin Agnès Buzyn, sondern dem Ende Januar bei zehn bis 13 Prozent liegenden Cédric Villani zuwenden, dass dieser Dati überholt. Villani gehört - ebenso wie Griveaux - Macrons Partei La République En Marche (LREM) an, zog aber bei der Aufstellung des offiziellen Kandidaten den Kürzeren. Dafür ist der auf Riemannsche Geometrie spezialisierte Mathematiker so exzentrisch gekleidet und frisiert, dass man sich bereits auf gemeinsame Fotos mit Donald Trump und Boris Johnson freuen darf. Der Rechtsanwalt Wallerand de Saint-Just und der Blogger Serge Federbusch haben in Paris - anders als andere Kandidaten des Europawahlgewinners Rassemblement National (RN) - keine realistischen Chancen auf einen Einzug in die Stichwahl.