"Revenge Porn": Russischer Aktionist stürzt Macrons Kandidaten
Benjamin Griveaux kandidierte für den Posten als Bürgermeister von Paris, dann kam Pjotr Pawlenski mit belastendem Material
Pjotr Pawlenski geht mit seinen Aktionen weit über das Gewöhnliche hinaus. Mag sein Name nicht jedem sofort bekannt sein, so ist es wahrscheinlich das Foto, das ihn mit zugenähtem Mund zeigt. Er hat sich in früheren Aktionen in Stacheldraht gewickelt, seine Hoden an den Roten Platz in Moskau festgenagelt und sein Ohrläppchen abgeschnitten (Kunstaktion gegen russischen Geheimdienst FSB).
Es gibt noch einiges mehr an spektakulären Aktionen des Mannes, der sich als politischen Künstler sieht, während ihn der russische Staat "für einen irren Randalierer" hält, wie die Zeit-Journalistin Alice Bota das Spannungsverhältnis auf einen knappen Nenner brachte, das zwischen Pawlenski und behördlichen wie politischen Vertretern in Russland herrschte.
Auch Botas genaues und ausführliches Porträt aus dem Jahr 2016 kann die Rätsel und die Verwirrung, die Pawlenskis extrem radikale Handlungen stiftet, nicht auflösen. Letztlich läuft es auf die ewige Frage hinaus: "Was ist Kunst, was will Kunst - und wo liegen ihre Grenzen?"
Da Pawlenski, wie es Bota schildert, an einem Punkt seiner Entwicklung aufgehört hat, sich selbst wehzutun, und stattdessen begonnen hat, "dem Staat wehzutun", kann man das weite Feld immerhin etwas eingrenzen und danach fragen, wo die Grenzen seiner "politischen Kunstaktionen" liegen?
Damit muss sich gerade Frankreich auseinandersetzen. Dort hat Pawlenski im Mai 2017 politisches Asyl mit seiner Lebensgefährtin und Kindern gefunden, nachdem er aus Russland geflohen war.
In Russland hatte er im November 2015 eine Türe der Zentrale des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB in Brand gesetzt, "um gegen staatlichen Terror zu protestieren". In Frankreich legte er im Oktober 2017 Feuer an der Banque de France, weshalb er dort in Untersuchungshaft kam. Auch das warf Fragen auf, mit denen die Antworten nicht mithalten können: "Warum wird Pawlenskis Aktionskunst in Paris als Regimekritik anerkannt, wenn er das System in Russland kritisiert - aber drakonisch bestraft, wenn er dasselbe in Paris tut?"
Politische Kunst?
Aktuell musste der Kandidat der Partei Macrons für das prestigereiche Bürgermeisteramt in Paris wegen Pjotr Pawlenski zurücktreten. Diesmal stellt sich die Frage, ob die Veröffentlichung von belastendem pornografischen Bildmaterial im Internet als politische Kunstaktion zu bewerten ist, weil Pjotr Pawlenski dahintersteckt? Oder bleibt es ein strafrechtlicher, denunziatorischer Akt, der das intime Privatleben eines Politikers an den öffentlichen Pranger stellt (mit erheblichen Folgen für dessen Familie), auch wenn Pjotr Pawlenski dahintersteckt? Tatsächlich ist es wohl vor allem Pjotr Pawlenski, der in seiner Aktion Kunst sehen will.
Er habe keine andere Lösung gefunden, als von seiner Kandidatur zurückzutreten, teilte Benjamin Griveaux heute der Öffentlichkeit mit. Die Begründung des früheren Sprechers von La République en Marche, der bis dato Kandidat der Partei Macrons für das Spitzenamt der französischen Hauptstadt war:
Eine Webseite und soziale Netzwerke haben gemeine Angriffe auf mich veröffentlicht, die mein privates Leben aufs Spiel setzen. Meine Familie verdient das nicht. Niemand sollte einer solchen Gewalt ausgesetzt werden.
Benjamin Griveaux
Es gibt unterschiedliche Aussagen zum "Belastungsmaterial". Im Bericht der Le Monde heißt es, dass Bilder zeigen würden, wie der Politiker Hand an sich legt. Das Video habe der Politiker an eine Frau geschickt.
Bei Médiapart ist die Rede von einem Bildmaterial, das zwei Pornofilme enthalten würde und Bilder von Griveaux, dazu Screenshots mit Messages des Politikers an eine Frau. Das würde er auf seinem Blog veröffentlichen, sagte Pawlenski bei dem Treffen am vergangenen Montag.
Pawlenski ist schockiert
Als Grund für die Einwilligung zum Treffen gibt Médiapart an, dass man den Künstler kenne, bekannt sei auch dass er in Opposition zu Putin sei. Das hat wohl auch das Interesse geschürt. Im Laufe des Treffens zeigte Pawlenski auf seinem Rechner seine neueste Aktion: die Veröffentlichung der für Griveaux sehr unangenehmen privaten Bilder und Nachrichten.
Pawlenski erklärte den Journalisten, er finde es "schockierend", dass ein Kandidat für das Bürgermeisteramt in Paris sich im Wahlkampf mit seiner Ehefrau präsentiere und mit seinem Familienleben werbe und anderseits eine "ehebrecherische" Beziehung mit einer anderen Frau unterhalte.
Der radikale Politikaktivist bezeichnet den Glauben an die Werte des Familie, den Benjamin Griveaux mehrmals bei seinem Wahlkampf äußerte, als "fanatisch". "Die Familie und die Kinder sind alles für ihn und geben seiner politischen Aktivität einen Sinn. So sei es doch "paradox", wenn der Politiker Mitteilungen mit einer jungen Frau austausche.
Laut Le Monde sind seit Mittwoch mehrere Videos auf einer "pornografischen Webseite" aufgetaucht, die "offenbar vor wenigstens zwei Monaten" von Pawlenski geschaffen wurde. Die Videos seien ihm von einer Person zugespielt worden, die eine Beziehung mit Griveaux geführt haben will, wird Pawlenski in einem deutschsprachigen Beitrag im Luxemburger Wort wiedergegeben.
Der "Puritanismus" Pawlenskis
Begleitet würde das Bildmaterial auf der Webseite von Pawlenski, wie Le Monde berichtet, von einem Artikel des russischen Aktionisten, in dem er erklärt, dass die Politiker "ihre Wähler anlügen, indem sie der Gesellschaft einen Puritanismus aufdrängen, während sie sich selbst verachten".
Die Aufmerksamkeit ist Pawlenksi für die nächsten Tage sicher. Mit dem Verständnis bleibt es schwierig, da Pawlenksi selbst einen außerordentlich rigiden Puritanismus an den Tag legt und Unschuldige in seine Aktion mithineinzieht. Einen weiterführenden Kommentar wird es von dieser Seite dazu dann geben, wenn der Autor die wieder aufgenommene Lektüre der "Brüder Karamasow" beendet hat. Wahrscheinlich hilft hier nur Dostojewski, wenigstens bis zu einer gewissen Grenze.
Für Macron und die Partei LRM geht es nun darum, in kürzester Zeit einen neuen Kandidaten zu finden. Vielleicht versöhnt man sich ja mit Cédric Villani, dem Mathematiker, der 2010 mit der Fields-Medaille ausgezeichnet wurde, und der Partei angehörte - bis er sich mit ihr zerstritt, weil er gegen Griveaux für den Bürgermeisterposten in Paris kandidierte und sich von keiner Parteiräson davon abbringen ließ.