Persischer Golf: Iran verschärft die "abgestufte Reaktion"

Iranische Revolutionsgarden entern einen britischen Tanker und setzen ihn fest - Irans Antwort auf Boltons "Sicherheitspolitik"?

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Bis zum Freitagabend sah es so aus, als ob Irans Reaktionen auf die US-Strategie des "maximalen Drucks" darauf ausgerichtet waren, das Eskalationslevel niedrig zu halten. Dann wurde der unter britischer Flagge fahrende Öltanker Stena Imperio in der Straße von Hormuz von iranischen Revolutionswächtern zum Kurswechsel gezwungen und über Hubschrauber geentert. Seither wird die Stena Imperio festgehalten. In Großbritannien tagt der Krisenstab.

Die Aktion ähnelt auffällig der aggressiven Beschlagnahme des iranischen Öltankers Grace 1 Anfang Juli (Britische Marines entern iranischen Tanker vor Gibraltar). Die iranische Regierung drängte seither vergeblich darauf, dass das Schiff, beladen mit 2 Millionen Fass Rohöl, wieder freigegeben wird. Stattdessen entschied der Oberste Gerichtshof von Gibraltar, wie just am Freitag bekannt wurde, dass Grace 1 noch bis zum 15. August nicht weiterfahren kann. Spekuliert wird, dass dies den letzten Ausschlag zur Enter-Aktion der iranischen Revolutionsgarden gegeben hat.

Bemühungen iranischer Vertreter, die einige Tage zuvor im Londoner Außenministerium mit Gibraltars "Chief Minister", Fabian Picardo, über die Weiterfahrt der Grace 1 gesprochen hatte, verliefen trotz "konstruktiver und positiver Atmosphäre" (Gibralatar Chronicle) in der Sache nicht im Interesse Irans, wie sich dann am Urteil des Obersten Gerichtshofs zeigte. In Gibraltar wie in London verweist man auf die Unabhängigkeit des Gerichts.

Allerdings hat Iran Grund zur Annahme, dass das Festsetzen des Tankers keine pure juristische Angelegenheit ist, sondern dass dem ein politisches Manöver zugrunde liegt. Der spanische Außenminister Josep Borrell hatte der spanischen Presse zur Beschlagnahmung der Grace 1 mitgeteilt, dass sie aufgrund einer Bitte der USA erfolgte.

Es geht um Politisches: John Boltons Rolle

Für den Guardian-Journalisten Simon Tisdall gibt es überzeugende Indizien dafür, dass der nationale Sicherheitsberater der USA, John Bolton, und dessen Team in die "Fabrikation des Zwischenfalls "direkt involviert" waren. Seine Folgerung: Großbritannien sei, politisch durch die Wirren des Brexit abgelenkt, in eine Falle der USA getorkelt.

Die rechtlichen Grundlagen für die Festsetzung der Grace 1 sind umstritten. Das Urteil des Obersten Gerichtshofs in Gibraltar dokumentiert dies auf seine Weise, indem es weitere Zeit für Untersuchungen einräumt (die andere Lesart wäre, dass die legalen Möglichkeiten zum Festhalten des Schiffs bis zum Ende ausgereizt werden, ohne eine handfeste Anklage vorzulegen).

Die Schlüsselfrage ist, ob die Grace 1 die Absicht hatte, das Rohöl in den syrischen Hafen Banyias liefern wollte. Experten äußerten aber auch Zweifel daran, ob EU-Sanktionen überhaupt greifen. Feststeht, dass die USA auf EU-Gebiet formell nicht das Sagen haben - wohl aber politisch. Der iranische Außenminister Zarif bestreitet grundsätzlich, dass Grace 1 nach Syrien wollte.

Man muss diese Vorgeschichte noch einmal aufrollen, um zumindest grob einzuordnen, was zum Festsetzen des britischen Tankers Stena Imperio geführt hat. Die iranischen Revolutionsgarden (IRGC) hatten eine Vergeltungsaktion unmittelbar nach der Beschlagnahme der Grace 1 angekündigt: "Wenn Großbritannien den iranischen Öltanker nicht freigibt, dann ist es Pflicht der iranischen Behörden ihrerseits eine erwidernde Aktion durchzuführen und einen britischen Öltanker zu beschlagnahmen."

Gefährliche Bewegungen und Drohungen

Zu einer nuancierteren Aufschlüsselung der Ereignisse würde gehören, die Rolle der IRGC im iranischen Machtgefüge genauer zu untersuchen. Fahren sie mit ihrem Vorgehen gegen das britische Schiff, dem bereits andere Zwischenfälle mit Schiffen im persischen Golf vorausgingen, dem moderaten Kurs von Außenminister Zarif "in die Parade", wie es die NZZ-Korrespondentin in Istanbul vermutet? Sie wirft ihnen vor, dass sie "an der Lunte am Golf zündeln", um etwaige Verhandlungen mit den USA zu verhindern.

Außenminister Zarif zeigte jedoch keine Spur eines Dissens zum Vorgehen der Revolutionsgarden. Beim Vorfall in Gibraltar habe es sich um einen Akt der Piraterie gehandelt, dagegen habe sich die Aktion im persischen Golf an internationale maritime Regeln gehalten, zitiert ihn die Nachrichtenagentur Fars News. Vorgeworfen wird dem britischen Öltanker, dass "er mit gefährlichen Bewegungen gegen die internationalen Regeln verstoßen habe".

Hier wird die Sache schwierig. Laut dem zuständigen Generaldirektor für die Häfen und die Küsten in Hormuzgan, Allah Morad Afifipour, war der britische Tanker in einen Unfall mit einem Fischerboot verstrickt, habe aber darauf nicht reagiert, was das Festsetzen für weitere Untersuchungen nötig gemacht habe.

Von der IRGC wird dagegen die Aussage übermittelt, dass sich das britische Schiff "nicht in der vorgesehenen Fahrspur befunden und ihre Transponder ausgeschaltet hatte" (zu den nicht einfachen Transit-Passage-Rechten siehe hier: Wäre eine Blockade der Straße von Hormus durch Iran legal? - zum Nachvollzug der Fahrroute siehe hier).

Von britischer Seite wird der Unfall mit einem Fischerboot nicht bestätigt. In Medien wird ein Funkgespräch zwischen der iranischen Küstenwache und den britischen Schiffen, dem Tanker und einer Fregatte, der HMS Montrose, in seiner Nähe, wiedergegeben, in dem es heißt: "Wenn sie den Befehlen folgen, sind sie in Sicherheit. Verändern sie ihren Kurs umgehend."

Die NZZ schildert die Kommunikation so, dass aus ihr eine "Lüge" seitens der iranischen Küstenwache hervorgeht: "Als ihn (den iranischen Kommandanten, Anm. d. Verf.) der Kapitän der Fregatte aufforderte zuzusichern, dass er nicht plane, den Öltanker illegal zu entern, bestätigte der Iraner: «Wir beabsichtigen keine Behinderung [challenge]; wir wollen das Schiff aus Sicherheitsgründen inspizieren.» Die Zusicherung sollte sich als Lüge erweisen."

Die Schweizer Zeitung zieht daraus den Schluss, der perfekt zu Trumps Plänen passt: mehr Kriegsschiffe in den persischen Golf zu schicken. Sie schreibt, dass die britische Navy offensichtlich mit der Aufgabe überfordert ist, um "im Alleingang britische Frachtschiffe im Persischen Golf zu beschützen".

"Was wird passieren, wenn es einen Toten gibt?"

Der Militarisierung des persischen Golfs stellen sich aber ein paar Schwierigkeiten. Bislang gibt es wenig Zeichen dafür, dass sich eine beeindruckende Koalition der Willigen dafür bereitfindet. Die Scheu, sich auf eine Situation einzulassen, die ein großes Risiko der Eskalation birgt, hält laut Informationen von Reuters viele Staaten zurück. Zugleich zeigen sich größere Fronten. Aus Russlands Außenministerium kam die Aussage, dass man eher der iranischen Darstellung glaube.

"Was wird passieren, wenn es einen Toten gibt?", fragt der französische Journalist George Malbrunot, der davon berichtet, dass die Initiative, mit der Macron kürzlich noch einmal versuchte, auszuloten, was in Gesprächen möglich ist, durch die Aktion in Gibraltar gestoppt wurde.

Die Möglichkeit, dass "konstruktive und positive" Gespräche die Situation deeskalieren, ist nun erstmal in weitere Ferne gerückt. Iran hat seine abgestufte Reaktion modifiziert. Das Land zeigt nun, dass es nicht nur wehrhaft ist, sondern seinen Gegnern tatsächlich Schmerzen zufügen kann. Dazu gehört sicher auch die Nachricht, dass man ein CIA-Netzwerk in Iran ausgehoben habe.

Anderseits zeigt die Rückgabe des iranischen Tankers Happiness 1 durch Saudi-Arabien - nach Vermittlungen über die Schweiz und Oman - , dass auch theoretisch noch andere Optionen auf dem Tisch liegen. Auch Golfstaaten machen sich Sorgen.

Das Problem liegt für die USA nun nicht nur darin, dass sich Partner von dem Rumpel- und Rüpel-Kurs distanzieren, sondern auch in der Glaubwürdigkeit Irans in weiten Teilen der Region. Dieses Mal ging es nicht nur darum zu zeigen, dass das Narrativ der USA und Großbritanniens Lücken hat und einer politischen Agenda folgt, sondern auch darum, dass hinter den Drohungen, die vom obersten Führer Khamenei kommen, reale Möglichkeiten stecken.

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