Personalisierte Interface-Agenten

Gespräch mit Henry Lieberman, MIT Media Lab, Agents Research Group

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Die Agentengruppe am MIT Media Lab hat mit ihren Interface Agenten einen Ansatz gewählt, der die Intelligenz des Users mit einem intelligenten Programm zu verbinden versucht, und war damit weltweit erfolgreich. Einige der Applikationen sind bereits lauffähig und wurden in kommerzielle Projekte ausgelagert. Armin Medosch sprach mit Henry Lieberman.

Henry Lieberman ist neben Pattie Maes einer der Köpfe der Autonomous Agents Group am MIT Media Lab. Was an Henry Lieberman auffällt, ist die Vielfältigkeit seiner Begabungen und Interessen. Neben der Agentenforschungsgruppe arbeitet er auch am Visual Languages Workshop mit. Viele seiner Projekte und Papers finden sich in der Lieberary - Henry Liebermans Online Library. Hier findet sich z.B. auch ein Text über Mondrian, ein grafischer Editor, der durch die Eingaben des Nutzers lernt. Die Agentengruppe am MIT Media Lab ist vor allem dadurch bekanntgeworden, daß sie begann, sich auf Interface-Agenten zu konzentrieren, Programme also, die in der Schnittstelle zum User arbeiten. Intelligenz ist damit nicht mehr, wie in der traditionellen KI, eine abstrakte, für sich stehende Einheit, sondern Resultat eines Prozesses von User und Interface. Einige der Projekte der Agentengruppe sind:

Firefly (HOMER) - ein digitales Musik-Empfehlungssystem, das die Eingaben verschiedener User verknüpft und individuelle Musikempfehlungen ausgibt. Bei diesem wie bei anderen Systemen gilt, daß es umso besser funktioniert, je mehr die User damit arbeiten. Desto personalisierter wird die Information. (Henry Lieberman liebt es, Firefly mit seinem persönlichen Musikgeschmack, Hip Hop und Dub-Reggae, in Verlegenheit zu bringen). Firefly gewann den Prix Ars Electronica 1995 und wird nun als kommerzielles Projekt betrieben.

Webhound - ein kollaboratives soziales Filterungsprojekt für das WWW. Wie andere kollaborative Filterungsprojekte der Agentengruppe, versucht Webhound den Umstand auszunutzen, daß wir Empfehlungen von Freunden für z.B. Filme oder auch Websites meist Vertrauen schenken. Webhound versucht das in einem größeren Umfang und semi-automatisch umzusetzen.

Letizia - ein Agent, der als Assistent des Nutzers auftritt, während er das Netz "browsed". Die Suche im Web wird als kollaborative Aufgabe zwischen User und assistierender Software aufgefaßt. Letizia beobachtet die User-Aktionen im WWW und schlägt dem User "verwandte" Web-Sites vor.

A.M.:Wie sehen Sie Ihre Arbeit in Bezug auf die anderen hier (MAAMAW) präsentierten Beiträge?

H.L.:Die Konferenz über Multiagentensysteme (MAAMAW) ist stärker theoretisch orientiert als meine Arbeit. Ein großer Teil meiner Arbeit geht über Interface-Agenten. Eine der Botschaften, die ich hier verbreiten möchte, ist die, daß jeder Agent, jedes System, das wir nutzen, tatsächlich ein Multiagentensystem ist, wenn wir den User mitzählen.
Ich denke, daß dieser Umstand bei der Konferenz hier unterschätzt wird, daß der User auch ein Agent ist. Wenn über Multiagentensysteme gesprochen wird, dann meint man viele Agenten innerhalb eines Rechners. Aber in Wirklichkeit ist der User auch ein Agent. Auch wenn es so aussieht, als wäre nur ein Agent im Computer, so handelt es sich trotzdem um ein Multiagentensystem, weil der User auch als Agent betrachtet werden kann. Alle diese Themen, die in Zusammenhang mit Kooperation zwischen Agenten aufgeworfen werden, der Wettbewerb zwischen Agenten, Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Agenten, stellen sich erneut, wenn wir von der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine sprechen. Deshalb denke ich, daß die Idee von Multiagentensystemen sehr wichtig ist, weil sie die Idee eines menschlichen Agenten und eines Computeragenten mit umfaßt.

A.M.:Ist die Sichtweise des Menschen als Agent nicht eine Reduktion der Rolle des Menschen?

J.F.:Das glaube ich nicht. Als Menschen verrrichten wir ja auch manchmal Routinetätigkeiten, mechanische Dinge. Das heißt noch lange nicht, daß wir Maschinen sind, doch wir übernehmen von Zeit zu Zeit mechanische Aufgaben. Ein Teil unserer Idee von Interface-Agenten ist, die Computer dahin zu bringen, daß sie diese mechanischen Dinge tun, so daß wir uns auf den Teil der Aufgaben konzentrieren können, die weniger mechanisch und repetitiv sind.

Auf dieser Konferenz werde ich über Agenten sprechen, die das Browsen im Web unterstützen. Das ist ein Agent, der wie eine Art vorgeschobener Scout funktioniert. Wenn man im Web herumstöbert, dann bleibt der Agent sozusagen "in deiner Nähe" und versucht, dir kontinuierlich Webseiten vorzuschlagen.
In unserer Agentengruppe gibt es auch Arbeiten über Agenten, die mehr wie die "Believable Agents" von Joe Bates sind. Es gibt Agenten für das Vereinbaren und Abstimmen von Meetings und Zeitplänen, Agenten für das Filtern von elektronischer Mail. Es gibt also eine große Vielfalt von Agenten, die von unserer Gruppe hergestellt werden.

A.M.:Schlagen Sie damit eine neue Richtung in der KI ein?

H.L.:Ja und nein. Ich denke, daß die traditionele KI den Nutzerschnittstellen nicht genügend Beachtung geschenkt hat und es kaum versucht hat, den Nutzer als Agenten miteinzubeziehen. Andererseits gibt es schon noch eine große Nähe zur traditionellen KI, insofern wir Repräsentation, logisches Denken und Lernfähigkeit in die Maschinen bringen wollen, um sie intelligenter zu machen und damit zu einer besseren Hilfe für den Menschen.

A.M.:Hat dieser andere Denkansatz auch mit den Sponsoren zu tun, den Finanzierungsquellen? Ich meine konsumentenorientiertes Denken zum Unterschied vom Denken in industriellen Anwendungen?

H.L.:Nun, die Firmen, die uns unterstützen sind ebenso Industriekonzerne wie Hersteller von Consumer-Produkten, es besteht Interesse an beidem. Große Industriekonzerne sponsern uns ebenso wie Firmen wie SEGA oder Apple.

A.M.:Also die vielbeschworenen neuen Sponsoren aus dem Unterhaltungsbereich?

H.L.:Das stimmt. Unter unseren Sponsoren ist eine Anzahl von Firmen, die Interessen im Unterhaltungs-Bereich verfolgen.

A.M.:Wie sieht es mit Künstlichem Leben aus? Glauben Sie, daß deratige Dinge schon bald Anwendungen in Spielen finden werden?

H.L.:Sicherlich. Wir haben schon einige Spiele gemacht, die KL-Algorhitmen benutzen. Wir können zeigen, daß es für Spiele auf jeden Fall erwägenswert ist und daß die Leute Spaß damit haben. Es gibt Ihnen einen neuen Geschmack von Realität in einem Spiel. Es ist nicht ausgeschlossen, daß man so etwas bald in Spielhallen sehen wird, Spiele z.B., bei denen auch eine Kamera auf den Spieler gerichtet ist.

A.M.:Werden die Entwicklungszeiten für neue Technologien kürzer?

H.L.:Im allgemeinen Ja, doch einige Dinge brauchen immer noch sehr viel Zeit. Der Weg von der Idee zum Markt kann sehr verschieden sein. Das hängt auch sehr von den Interessen der Leute in der Industrie ab. Wenn die Leute in der Industrie sehr interessiert sind, dann können sie sehr beweglich werden. Aber manchmal, sogar wenn die Idee sehr gut ist, schenken sie der Idee, aus welchen Gründen auch immer, keine Beachtung und dann kann es sich in die Länge ziehen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Web. Die ganze Technologie für das Web gibt es ja seit 15 Jahren. Die Industrie selbst hat mit ähnlichen Ideen spekuliert, aber irgendwie haben sie nie so richtig angebissen. Und jetzt, 1996, hat die Idee voll durchgegriffen. Viele dieser Dinge sind eigentlich nur historische Unfälle und man kann nie vorhersagen, wie lange es dauert, bis dieses Ereignis eintritt.

A.M.:Pattie Maes hat im Vorjahr bereits sehr viel Medienbeachtung erlangt. Ist sie eine Art Popstar der Wissenschaft?

H.L.:(Lacht) Nun, Pattie ist wirklich erfolgreich und sie wurde eine Art Aushängeschild der Agentenbewegung. Ich denke das ist gut. Die Welt ist nun wirklich reif, die Idee von Agenten ernsthaft in Betracht zu ziehen, und wenn eine von unseren Leuten ein Aushängeschild für diese Idee ist, dann ist das gut.

A.M.:Einige Kritiker der KI sagen, es werde niemals wirklich so etwas wie künstliche Intelligenz geben.

H.L.:Wird Künstliche Intelligenz jemals erreicht werden, bzw. werden Computer jemals so schlau werden wie Menschen? Es ist ganz offensichtlich, daß jeder in der KI sagen wird, daß dahin noch ein weiter Weg zu gehen ist. Wir haben noch nichts, das dem annähernd gleicht. Doch was wir sehen werden, wenn die Zeit voranschreitet, ist, daß die Computer zunehmend schlauer werden, intelligenter, daß sie mehr Wissen ansammeln. Die Leute in der KI glauben, daß wir weiterhin versuchen werden, Computer intelligenter und nützlicher zu machen, daß wir mehr Wissen in sie hineinfüttern werden und daß wir eventuell dieses Ziel erreichen werden. Skeptiker sagen nein, doch das ist eine empirische Frage. Wir arbeiten weiter und ich denke, daß Leute, die sagen, daß es völlig unmöglich ist, eine schwierige Position behaupten. Jedes Jahr gibt es Fortschritte und die Skeptiker müssen dann ihre Position anpassen. Die Geschichte war nicht sehr freundlich mit Leuten, die behaupteten, technologischer Fortschritt wäre unmöglich.

In den frühen Tagen der KI wurden viele Vorhersagen gewagt, wie schnell es gehen würde und dann sind diese Vorhersagen nicht eingetreten. Doch das ist kein Grund entmutigt zu sein. Ich denke, wie schnell man ein Ziel erreicht, hängt sehr stark davon ab, wieviel Aufwand daran gesetzt wird. In den Achtzigern wurden sehr viele Anstrengungen in die KI investiert und dann wurden die Leute entmutigt, vor allem die Industrie, und sie zogen sich zurück. Aber jetzt in den Neunzigern greifen wir es wieder auf, und ich glaube einer der Gründe für dieses wiedererstarkte Interesse ist das Interesse an Agenten.

A.M.:Sind die Interface-Agenten nicht eine Trivialisierung der Agentenidee?

H.L.:Das denke ich nicht. Über einen langen Zeitraum hat man sich in der KI über das beklagt, was wir den "Flaschenhals des Wissens" nannten. Es war möglich, ein kleines System zu bauen, aber es war schwierig, es mit einer Menge von Wissen auszustatten. Aber offensichtlich arbeiten Menschen mit einer großen Menge an Wissen. Und ich denke das Web ist eine Möglichkeit, diesen Flaschenhals zu umgehen, denn im Web liegt eine irre Menge an Wissen. Es geht eben nur darum zu lernen, wie man es sich zu nutze machen kann. Ein Interface-Agent im Web kann einem schlagartig Zugang zu riesigen Mengen an Wissen eröffnen, Wissen, das sehr schwierig von Hand in ein KI-System zu füttern wäre. Deshalb denke ich, das Web bietet eine tolle Möglichkeit für die KI und die Herausforderung besteht darin, dieses Wissen verfügbar zu machen. Indem sie das tun, geben Interface-Agenten die Möglichkeit in Kooperation mit Menschen dieses Wissen verfügbar zu machen. Die ältere Idee der KI war, so denke ich, daß das Programm ganz für sich selbst genommen intelligent sein sollte. Und jetzt denken wir, daß man einen Agenten haben kann, der in der Schnittstelle arbeitet, so daß die Intelligenz nicht allein in der Maschine ist sondern in der Kombination von Mensch und Maschine liegt.

A.M.:Ist das Web ein Werkzeug für Kollektive Intelligenz?

H.L.: Absolut, ich denke das Web erzeugt eine Art kollektiver Intelligenz. Aber, wiederum, die Frage ist, wie man das wirklich herbeiführen und es sich in einem intelligenten Programm zu nutze machen kann. Es gibt ein Untergebiet der Mensch-Computer-Schnittstellen, das nennt sich CSCW (Computer Supported Cooperative Work - Computergestützte Zusammenarbeit). Dieses handelt von Schnittstellen und davon wie man von kollektiver Intelligenz und sozialer Intelligenz in Gruppen von Menschen Gebrauch machen kann. Wir sollten dem mehr Beachtung schenken. Vielleicht sollten wir Interfaces machen, die kollektive Intelligenz in Multiagentensystemen mit der kollektiven Intelligenz von Menschen, die räumlich verstreut an gemeinsamen Projekten arbeiten, zu kombinieren verstehen.