Peterle flirtet mit Claudi um die Wette

Claudia Roth und Peter Gauweiler üben Schwarz-Grün auf dem Nockherberg

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"Lieber Doktor Gauweiler, ich freue mich, dass ich hier bin. Wenn Sie mir das vor ein paar Jahren erzählt hätten, hätte ich gesagt: Der spinnt." So bedankte sich Claudia Roth bei Peter Gauweiler für seine Einladung am 21. Juni auf dem Münchner Nockherberg.

Im rappelvollen Festsaal der Traditionsgaststätte lauschten ca. 500 Zuhörer der Grünen-Vorsitzenden und dem CSU-Politiker, die zusammen im Bundestagsunterausschuss für auswärtige Kulturpolitik sitzen und miteinander auch schon den Iran bereist haben. Der Gastgeber wurde mit großem Applaus von den arrivierten konservativen und alternativen Damen- und Herrschaften begrüßt. Die Zeiten also, als Peter Gauweiler in der CSU noch mit einer Wildsau verglichen wurde, die selbst nach einem Blattschuss noch hundert Meter weiter laufe, scheinen vorbei.

Alle Fotos: Ralph Kronauer.

Dafür war die gesamte Münchner CSU-Prominenz (unter anderem der ehemalige CSU-Nestor, Bayernkurier-Chefredakteur und Franz-Josef Strauß-Spezl Wilfried Scharnagl) wie auch ein unbekannter CSU-Abgeordneter, "der der deutschen Sprache noch mächtig ist" (Gauweiler), angetreten, um Zeugen des ersten öffentlichen Annäherungsversuchs der potenziellen Koalitionspartner zu werden.

Schwabenland und Protestantismus

Zuerst einmal kamen beide auf ihre gefühlte Außenseiterposition im Bayern der 60er Jahre zu sprechen. Die von ökonomischen Talkshowmoden der 90er Jahre nicht gänzlich unbeeindruckt gebliebene, stets gluckenartig auftretende Grünen-Vorsitzende, die im Schwabenland aufgewachsen ist, rechnet sich selbst zu einer ethnischen Minderheit in Bayern und fühlte sich dereinst hier "wie im Feindesland". Aber nach jahrzehntelangen Verleumdungen und Beschimpfungen unter der Gürtellinie hätte die CSU, abgesehen von ein paar Ausrutschern wie Alexander Dobrindts Stuttgart-21-Clip gelernt, der neoliberalen Öko-Partei respektvoll und auf Augenhöhe zu begegnen: "Dass wir beide jetzt hier sitzen, zeigt, dass sich in den letzten Wochen und Jahren einiges verändert hat."

Der ehemalige bayerische Staatsminister Gauweiler erzählte wiederum von bewegten Tagen während seiner Politisierung 1968 im RCDS an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, als er inmitten der zahlreichen Polit-Happenings ebenfalls das Gefühl hatte: "Eigentlich gehörst du nicht hierher."

Als er im hiesigen Audimax eine Veranstaltung mit Asher Ben-Natan, dem ersten israelischen Botschafter in der BRD, organisierte, war das Mikrofonkabel durchgeschnitten - aber der gewiefte Nachwuchspolitiker hatte vorgesorgt und vorsichtshalber ein Megaphon mitgebracht. Nach einem ohrenbetäubenden Pfeif-Konzert kippte die Stimmung, als dem Auditorium ("die Apo-Leute waren nicht böse") gewahr wurde, dass hier der erste Botschafter Israels sitzt und man ihn nicht einmal reden lässt. Dann wurde es mucksmäuschenstill und am Ende konnte der Botschafter sogar mit einem Riesenapplaus verabschiedet werden.

Merke: "Demokratie setzt voraus, dass der Andere Recht haben kann." Dies sei zwar schmerzhaft, aber um diese Erkenntnis komme man heutzutage nicht umhin. Es existiere kein Links/Rechts-Schisma mehr wie nach den Zeiten der französischen Revolution, sondern linke und rechte Politik arbeiteten zusammen wie die rechte und linke Hand. Schon mit Joschka Fischer habe man über Bundeswehreinsätze diskutieren können und in der Zeit nach Fukushima müsse man feststellen: "Die Grünen haben die Energie-Debatte gewonnen."

Außerdem wäre eine Rede Claudia Roths über den Heiligen Franziskus "ein großartiges Ereignis" gewesen. Daraufhin bezeichnete die grüne Spitzenpolitikerin den Besuch des heimischen "Klösterles", wo eine Statue des Franz von Assisi, "mit seinem glücklichen Gesicht und von Tieren und Pflanzen umgeben", als "Urprägung".

Unterschiede als Wert

Der Lutheraner Gauweiler antwortete mit einer Anekdote: Als Klein-Peter mit der protestantischen Hardcore-Oma vor einer katholischen Kirche stand, antwortete diese, als ihr der Bub eingestand, dass ihm die katholischen Kirchen weit besser gefielen als die evangelischen: "Ja, die sind schön. Aber da steht so viel rum, da kann man gar nicht beten." Worauf dem unbestreitbar intellektuellen CSU-Politiker plötzlich der Satz: "Lasst uns doch verschieden bleiben!" entfuhr.

An dieser Stelle plädierte Roth, das, was beide Parteien verbinde, und nicht das Trennende in den Vordergrund zu stellen, während der konservative Polit-Charmeur betonte, dass Unterschiede auch einen Wert darstellen können. Außerdem hätte die ganze grüne "Umarmerei auch etwas Künstliches", worauf Roth schlagfertig entgegnete: "Bei mir nicht." Sodann strich sie allen Ernstes heraus, dass die Grünen keine "Basta-Politik" betreiben würden, sondern dem deutschen Volk ihre politischen Segnungen wie Bundeswehreinsätze und Agenda-Politik stets erst nach einem Sonderparteitag angedeihen lassen und bemerkte: "Wir müssen unseren Politik-Stil hinterfragen."

Atomausstieg

Dies nahm Peter Gauweiler zum Anlass, den Erfolg der grünen und die Niederlage der konservativen Energiepolitik zu konzedieren: "Die CDU/CSU beschließt vor zehn Monaten eine Laufzeitverlängerung und jetzt das Gegenteil. Da kann man nicht sagen, es ist ein voller Erfolg. (...) Wir haben schlechte Karten, wenn wir immer das Gegenteil von dem tun, was wir versprechen." Jedoch: "Was ein Risiko ist, muss nach Fukushima neu bewertet werden. Da kann man hundertmal sagen, in der Isar gibt's keinen Tsunami. Die Konstellationen sind da."

Nun war für Roth der Augenblick gekommen, nach oben zu blicken und nach dem Verhältnis von Mensch und Natur zu fragen, sich "zur Schöpfung" zu bekennen und zu fragen: "Gibt es auch Grenzen menschlicher Hybris?" Sogleich stellte sie fest: "Wenn das konservativ ist, bin ich gerne konservativ." Sie freue sich, dass "jetzt die Chance für einen wirklichen Konsens da" ist. Schlimm wäre nur, dass ihr Markus Söder im Stern vorwerfe, der Grünen-Ausstieg ginge nicht schnell genug. Roth bezeichnete die Laufzeitverlängerung als Merkels "schlimmsten politischen Fehler", räumte aber gleichfalls ein, dass der nun anberaumte Ausstieg der Bundesregierung über den rot-grünen Ausstieg positiv hinausgehe und versuchte zu einem neuen Thema überzuleiten: "Der Klimawandel findet nicht auf einem fremden Planeten, sondern im Allgäu statt."

Hier ließ allerdings der CSU-Jurist nicht locker und merkte an, dass erstens die Bundesnetzagentur Blackouts in der Energieversorgung prophezeie und zweitens eine "österreichische Lösung" des Problems vermieden werden müsse. Die Österreicher nämlich hätten die Atomkraftwerke im eigenen Land stillgelegt, bezögen nun aber weiter Atomstrom aus der Tschechei. In Temelin plane man auch nach dem anvisierten deutschen Ausstieg deshalb schon die Errichtung zweier weiterer Reaktoren. Seine Anfrage beim wissenschaftlichen Dienst des Bundestages hätte ergeben, dass es nach gegenwärtiger Gesetzlage dem Bürger erlaubt sein müsse, "diskriminierungsfrei Atomstrom von Billiganbietern zu beziehen". Darauf Gauweiler: "Solche Halbheiten können wir uns nicht mehr leisten." Wenn die EU schon auf ihre Harmonierungstendenzen bestehe, müsse man hier darauf bestehen, dass deutsche Bestimmungen auch jenseits der Grenzen gelten.

Da brandete Applaus beim CSU-Grünen-Publikum auf, aber nicht wegen der Bemerkung, sondern weil den Rednern Bier gebracht wurde. Jetzt sah Claudia Roth für sich wieder den Augenblick gekommen: "Da gebe ich Ihnen völlig recht. Deshalb setzen wir auf ein starkes Europa." Und bewies wieder einmal, dass es ihr problemlos möglich ist, jeden noch wohl erwogenen Gedanken mit einer Phrase zu erschlagen.

Insgesamt entwickelte Peter Gauweiler an diesem Abend im ästhetischen Kontrast zu Claudia Roth (die in einem schwarzen Avon-Beraterin-Jackett und einem slimegrünen Schal wie ein lebendes Mahnmal gegen Radioaktivität und Genmanipulation wirkte) mit seinem feschen (wie immer wohl gestutzten) Schnauzbart und dem untadeligen modischen Trachtenjanker einen nahezu Cary-Grant-artigen Sex-Appeal. Die Maß hinterher im Biergarten hat nach dem Besuch der Polit-Sauna geschmeckt und entfaltete im Gegensatz zur überstandenen Tupperware-Muppet-Show eine wohltuende Wirkung.

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