Pflegedienste führen "Betrugs-Ranking" der Krankenkasse KKH an
Wie laut "Prüfgruppe Abrechnungsmanipulation" in einem Bereich Profite erwirtschaftet werden, der seit Jahren als unterfinanziert gilt
Pflegekräfte stehen chronisch unter Zeitdruck. Nach Erkenntnissen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin lassen viele Beschäftigte in der Alten- und Krankenpflege ihre Pausen ausfallen, obwohl das Arbeitszeitgesetz diese Ruhezeiten verpflichtend vorschreibt. Mehr als die Veröffentlichung einer Broschüre mit dem Titel "Pausen in der Pflege gut gestalten" fiel der Bundesanstalt aber dazu bisher nicht ein. Die Unterfinanzierung des Pflegebereichs ist seit Jahren ein politisches und mediales Dauerthema - und private Anbieter greifen wohl nicht selten zu Tricks, um trotzdem in diesem Bereich Gewinne zu machen.
So fallen immer wieder ambulante Pflegedienste durch Abrechnungsbetrug bei den Krankenkassen auf. Im "Betrugs-Ranking" der Kaufmännischen Krankenkasse KKH sind die Pflegedienste daher mit 391 Verdachtsfällen "erneut trauriger Spitzenreiter", gefolgt von Pflegeheimen mit 194 Fällen. Insgesamt habe "Prüfgruppe Abrechnungsmanipulation" der KKH im vergangenen Jahr mit bundesweit 768 gemeldeten Verdachtsfällen so viele Hinweise erhalten wie lange nicht, teilte die Krankenkasse am Montag mit.
Damit entfielen drei Viertel aller Hinweise in 2020 auf Pflegeleistungen - wenngleich Apotheken die höhere Schadenssumme erschwindelt hätten. "Der Pflegebereich ist besonders anfällig für Straftaten", so die KKH-Chefermittlerin Dina Michels. Aufgrund der Fallgestaltungen habe ich sie den Eindruck, dass "in diesem Leistungsbereich mehr Menschen mit hoher krimineller Energie unterwegs" seien. Die Kasse geht zudem von einer hohen Dunkelziffer aus. Ob und wie oft dabei von Pflegedienstleitungen direkter oder subtiler Druck auf die Pflegekräfte ausgeübt wird, oder ob diese von selbst darauf kommen, zu tricksen, wenn sie es zeitlich nicht schaffen, die Vorgaben zu erfüllen, dazu gibt es freilich keine belastbaren Zahlen. Jedenfalls ist es nicht sonderlich schwer.
Putzdienste statt qualifizierter Pflege
"Ein Beispiel: Ein Pflegedienst rechnet das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ab, obwohl dies täglich von Angehörigen erledigt wird. Die Leistungsnachweise für die Abrechnung mit den Krankenkassen werden von den Pflegebedürftigen oder deren Angehörigen dennoch unterschrieben", so die KKH. Sei es, weil die Betroffenen sich ausgeliefert fühlen oder dement sind, weil gestresste Angehörige gar nicht durchlesen, was sie da unterschreiben - oder weil der Pflegedienst in manchen Fällen als Gegenleistung "die Wohnungen der Pflegebedürftigen von eigenem Personal reinigen" lässt, wie die Krankenkasse erklärt. Das rechne sich, denn Reinigungspersonal koste weniger als die Pflegefachkraft, die formal zuständig sei, wenn das Anlegen der Kompressionsstrümpfe als Kassenleistung abgerechnet werde, erläuterte eine KKH-Sprecherin gegenüber Telepolis.
"Betrugsdelikte im Gesundheitswesen sind alles andere als Bagatelldelikte", betonte Michels. "Wer in diesem Bereich rechtswidrig handelt, bereichert sich an Geldern, die Versicherten für die Behandlung von Krankheiten und die Vorsorge zustehen." Der Kranken- und Pflegeversicherung der KKH sei 2020 wegen bewusster Falschabrechnungen ein Schaden von einer halben Million Euro entstanden. Mit 179 Hinweisen auf Betrugsfälle belegt Nordrhein-Westfalen den ersten Platz unter den Bundesländern, gefolgt von Bayern mit 121 und Sachsen-Anhalt mit 101 entsprechenden Hinweisen. "Wir gehen von einer hohen Dunkelziffer aus", sagte Michels. Den höchsten Schaden verursachten demnach Betrugsfälle in Apotheken, an zweiter Stelle folgten ambulante Pflegedienste.
Nach Schätzungen des Statistischen Bundesamts stiegen die Gesundheitsausgaben allein 2020 auf etwa 425 Milliarden Euro, mahnte die KKH. Diese Summe setze "bei einzelnen Leistungserbringern ein hohes Maß an Energie frei, gesetzwidrig Gelder einzustreichen."