"Pflicht zur gleichen und nichtdiskriminierenden Behandlung des Verkehrs"

Grafik: TP

Der Europäische Gerichtshof wertet Tarife, die bestimmte Dienste von der Volumenbegrenzung ausnehmen, als Verstoß gegen die Netzneutralitätsverordnung

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Vor fünf Jahren erließ die EU eine Verordnung über Maßnahmen zum Zugang zum offenen Internet, die die so genannte "Netzneutralität" sichern und dafür sorgen soll, dass Internetprovider Daten von Anbietern nicht schneller durchleiten, wenn sie dafür von letzteren bezahlt werden (vgl. Sockenpuppe der Telekom?). Nun hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) diese Vorschrift konkretisiert und festgestellt, dass sie unter anderem Angebote verbietet, bei denen ein Provider eine Volumenbegrenzung für einige Dienste nicht greifen lässt (Aktenzeichen C-807/18 und C-39/19).

Als "Nulltarife" beworben

Konkret hatte das der ungarische Provider Telenor Magyarország in Form von zwei als "Nulltarif" beworbenen Paketen angeboten. Bei ihnen wurde der mit bestimmten Diensten erzeugte Traffic nicht auf das Datenvolumen angerechnet. Außerdem galt die Drosselung, die einsetzte, wenn das gekaufte Volumen verbraucht war, nicht für diese Dienste, die sich unbegrenzt lange mit der ursprünglichen Geschwindigkeit nutzen ließen.

Die Nemzeti Média- és Hírközlési Hatóság Elnöke, die ungarische Behörde für Medien und Kommunikation, sah darin einen Verstoß gegen Artikel 3 Absatz 3 der oben genannte EU-Verordnung, in der es heißt, dass "Anbieter von Internetzugangsdiensten […] den gesamten Verkehr bei der Erbringung von Internetzugangsdiensten […] ohne Diskriminierung, Beschränkung oder Störung, sowie unabhängig von Sender und Empfänger, den abgerufenen oder verbreiteten Inhalten, den genutzten oder bereitgestellten Anwendungen oder Diensten oder den verwendeten Endgeräten" gleich behandeln.

Verstoß gegen Absatz 2 und Absatz 3

Deshalb erließ sie zwei Bescheide, in denen sie Telenor Magyarország dazu aufforderte, den Verstoß abzustellen. Dagegen zog der Provider vor den Fővárosi Törvényszék, den Hauptstädtischen Gerichtshof in Budapest. Der gab den Fall an den EuGH weiter und bat die Luxemburger Richter um eine EU-weit gültige Auslegung der Vorschrift.

In dem seit heute vorliegenden Urteil entschied der EuGH, dass der Abschluss von Vereinbarungen wie der von Telenor Magyarország angebotenen "Nulltarife" nicht nur gegen Absatz 3 des Artikels 3 der Verordnung, sondern auch gegen dessen Absatz 2 verstößt, weil sie "geeignet" sind, "die Ausübung der Rechte der Endnutzer im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung auf einem erheblichen Teil des Marktes einzuschränken":

Derartige Pakete können nämlich die Nutzung der bevorzugt behandelten Anwendungen und Dienste erhöhen und zugleich die Nutzung der übrigen verfügbaren Anwendungen und Dienste in Anbetracht der Maßnahmen, mit denen der Anbieter von Internetzugangsdiensten ihre Nutzung technisch erschwert oder sogar unmöglich macht, verringern. Zudem kann, je größer die Zahl der Kunden ist, die solche Vereinbarungen abschließen, die kumulierte Auswirkung dieser Vereinbarungen angesichts ihrer Tragweite umso mehr zu einer erheblichen Einschränkung der Ausübung der Rechte der Endnutzer führen oder sogar den Kern dieser Rechte untergraben. (EuGH)

Auswirkungen auf andere Länder

Zur Auslegung des Artikels 3 Absatz 3 der Verordnung ist eine "Bewertung der Auswirkungen von Maßnahmen, mit denen der Verkehr blockiert oder verlangsamt wird, auf die Ausübung der Rechte der Endnutzer" dem EuGH zufolge nicht nötig, weil "ein solches Erfordernis […] nämlich in dieser Bestimmung für die Beurteilung der Einhaltung der darin normierten allgemeinen Pflicht zur gleichen und nichtdiskriminierenden Behandlung des Verkehrs nicht vorgesehen" ist.

"Maßnahmen, mit denen der Verkehr blockiert oder verlangsamt wird", sind der Grundsatzentscheidung nach schon "als solche als mit der genannten Bestimmung unvereinbar anzusehen", weil sie "nicht auf objektiv unterschiedlichen Anforderungen an die technische Qualität der Dienste bei speziellen Verkehrskategorien, sondern auf kommerziellen Erwägungen beruhen".

Das Urteil könnte nun nicht nur Auswirkungen auf Ungarn, sondern auch auf andere EU-Mitgliedsländer haben. In Österreich bietet beispielsweise A1 einen ähnlichen Tarif an, den die Wiener Rundfunk- und Telekom-Regulierungs GmbH (RTR) 2017 erlaubte.

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