USA: Netzneutralität soll auf drei Wegen bewahrt werden
Verbände wollen klagen, Bundesstaaten Rechtsspielräume nutzen - und im Senat fehlt den Unterstützern eines Widerrufsgesetzes nur noch eine Stimme
Am 14. Dezember 2017 schaffte die US-Medien- und Kommunikationskanalaufsichtsbehörde Federal Communications Commission (FCC) auf Betreiben ihres seit dem 23. Januar 2017 amtierenden republikanischen (aber von Donald Trumps Vorgänger Barack Obama in das Gremium berufenen) Vorsitzenden Ajit Pai mit drei zu zwei Stimmen ohne öffentliche Anhörung aber unter Einbeziehung umstrittener Stellungnahmen die Netzneutralität ab (vgl. USA: Netzneutralität wird abgeschafft). Durch diese Abschaffung dürfen Internetprovidern Daten verschiedener Anbieter unterschiedlich behandeln und schneller durchleiten, wenn sie dafür bezahlt werden (vgl. Sockenpuppe der Telekom?).
Umfragen nach ist die Mehrheit der US-Bürger in dieser Frage ganz anderer Meinung als der indischstämmige Republikaner - was auch damit zu tun haben dürfte, dass es den von ihm versprochenen Wettbewerb zwischen verschiedenen Internetanbietern für die Hälfte der US-Haushalte gar nicht gibt, weil ihre Gegend nur von einem einzigen versorgt wird. Das weiß auch Pai, der einen Auftritt auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas und einen anderen öffentlichen Auftritt absagte - angeblich wegen Sicherheitsbedenken.
Als Wahlkampfthema für die Halbzeitwahlen im November nutzbar
Auch die demokratische Minderheit im Senat will Pais Drei-zu-Zwei-Beschluss nicht akzeptieren und hat ein Gesetz entworfen, dass der FCC solche Eingriffe verbieten würde. Außer den 49 demokratischen Senatoren bekennt sich mittlerweile auch die Mainer Republikanerin Susan Collins zu diesem Vorstoß (vgl. USA: Demokraten wollen Rückkehr zur Netzneutralität - erste Republikanerin ist dabei). Damit fehlt den Demokraten für eine Mehrheit noch eine republikanische Stimme.
Danach müsste das Gesetz noch das Repräsentantenhaus passieren, wo die Republikaner eine deutlich bereitere Mehrheit von 40 Stimmen haben. Gelingt das nicht, können die Demokraten die Netzneutralität als Wahlkampfthema für die Halbzeitwahlen im November nutzen.
Klagen ab Ende Januar erwartet
Potenziell schneller zu einer Wiederherstellung der Netzneutralität führen könnten Klagen, die Bürgerrechtsorganisationen wie Free Press und Public Knowledge nach der Federal-Register-Veröffentlichung der neuen FCC-Regeln Ende Januar einlegen wollen. Nachdem sich inzwischen auch die im letzten Jahr noch eher zurückhaltenden großen Internetfirmen klar gegen die Aufhebung der Netzneutralität ausgesprochen haben, sind die Bürgerrechtsorganisationen bezüglich der Finanzierung der potenziell sehr teuren Prozesse optimistischer als vorher (vgl. Reihen zum Erhalt der Netzneutralität in den USA schließen sich).
Einen dritten Weg, auf dem die Netzneutralität bewahrt werden soll, wollen US-Bundesstaaten wie Washington beschreiten. Der demokratische Gouverneur der Heimat vieler wichtiger IT-Unternehmen geht davon aus, dass Pais Verbot abweichender Regeln durch untergeordnete Gebietskörperschaften entweder vor Gericht nicht standhält oder über die öffentliche Förderung beziehungsweise Nichtförderung von Providern ausgehebelt werden kann. In Oregon, New York, Illinois und Massachusetts haben die Justizminister Medienberichten nach angeblich ähnliche Vorstellungen.
EU: Umgehung durch "Zero-Rating-Angebote"
In der EU sollen die bisherigen Regelungen zur Netzneutralität im April 2019 überprüft werden. Thomas Lohninger, der Geschäftsführer der österreichischen Bürgerrechtsorganisation epicenter.works, geht davon aus, dass dann auch europäische Internetnutzer Nachteile fürchten müssen, weil die EU-Kommission seinem Eindruck nach "kein großer Fan des offenen Netzes" ist (vgl. 34C3: Zero Rating-Dienste als "Zeitbombe"). Für gut möglich hält er, dass sich die Telekommunikationskonzerne mit ihrer Forderung nach "Regulierungsferien" für einen Ausbau des 5G-Netzes durchsetzen.
Durch so genannte "Zero-Rating-Angebote", die es inzwischen in 25 EU-Ländern gibt, hebeln Telekommunikationskonzerne seiner Meinung nach bereits jetzt die Netzneutralität aus, indem sie den Traffic bevorzugter Dienste vom verbrauchten Datenvolumen abziehen. Über diesen Umweg können Provider sowohl von Verbrauchern als auch von Diensteanbietern Geld verlangen, wodurch Startups und dezentrale Plattformen, die sich das nicht leisten können, benachteiligt werden.
Lesen Sie dazu in der Ausgabe 1/2018 der c't: Die Netzneutralität wird ausgehöhlt.