Sockenpuppe der Telekom?
Verdi spricht sich gegen "strikte" Netzneutralität aus
Die Gewerkschaft Verdi brachte sich in den letzten Jahren - offenbar im Glauben an die Trickle-Down-Theorie - als Sprachrohr für die Interessen der Banken und der Medienindustrie in Verruf, für die sie unter anderem eine Totalüberwachung des Internets zum Aufspüren von Immaterialgüterrechtsverletzungen forderte. Nun engagiert sich die Gewerkschaft auch gegen "strikte" Netzneutralität.
Worum es bei Netzneutralität geht, hat Richard Sietmann in einem ausgesprochen lesenswerten Beitrag in c't 8/11 zusammengefasst. Kern der Sache ist, dass vor allem ehemalige Telekommunikationsmonopolisten Gesetze verhindern wollen, die ihnen verbieten, mittels relativ neuer technischer Möglichkeiten den Inhalt der Datenpakete im Internet zu inspizieren und manche Angebote und Dienste für ihre Kunden gar nicht oder nur sehr langsam durchzulassen.
Auch in der Verdi-Mitgliederzeitschriftenbeilage KOMM war die Netzneutralität unlängst ein Thema. Dort fanden sich in einem einzigen Heft vier Texte, die (wie Netzpolitik.org befand), mit einem etwas anderen Design auch in einer Werbebroschüre der Deutschen Telekom stehen könnten. Im Einzelnen handelt es sich um einen Kommentar von Verdi-Bundesvorstand Lothar Schröder, einen davon kaum unterscheidbaren redaktionellen Text des Input-Consulting-Geschäftsführers Michael Schwemmle, ein Verlautbarungsinterview mit dem Telekom-Manager Wolfgang Kopf und eine ausgesprochen seltsamen Fiktion, in der man die Telekommunikationsnetze 2015 "unter staatliche Kontrolle" stellt, weil zu wenig in sie investiert wurde (was möglicherweise als eine Art Dystopie wirken soll, wobei nicht ganz klar wird warum).
Der Kommentar übernimmt unhinterfragt die Behauptung, dass Netzneutralität den Breitbandausbau "hemme", weil die Telekom zu wenig Geld einnehme. Tatsächlich könnte sie bei wegfallender Netzneutralität möglicherweise mehr Profit machen, weil sie nicht nur Nutzer stärker zu Kasse beten, sondern auch von Inhalteanbietern Geld verlangen könnte. Kassiert würde aber wohl nicht - wie die Telekom der Politik und der Öffentlichkeit suggeriert - bei Google (weil der Gigant aus Mountain View sich kaum auf so etwas einlassen dürfte), sondern von kleinen und mittelständischen Anbietern.
"Strikte" Netzneutralität, so Schröder, würde deshalb zwar "egalitär und gerecht anmuten", wäre aber "keineswegs vernünftig". Dem Gewerkschaftsfunktionär zufolge gibt es heute nicht nur die technischen Möglichkeiten, sondern auch "gute Gründe" Datenpakete nicht mehr wie früher gleich zu behandeln: Das Internet leidet seiner Wahrnehmung nach nämlich "zunehmend an Verstopfung". Die für diese Behauptung angeführten Beispiele, dass man beim Videostreaming "nur ruckelige Bildfolgen" zu sehen und beim Telefonieren "zusammenhanglose Wortfetzen" zu hören bekäme, spricht offenbar eher Personen an, die das Internet erst seit kurzem nutzen. Tatsächlich funktionieren Skype und die meisten Streaming-Plattformen heute so problemlos, wie man sich das vor Jahren nicht hätte träumen lassen.
Wie Innenminister Friedrich wechselt Schröder einfach den Begriff, wenn er zu negativ klingt: Statt einer Ungleichbehandlung von Inhalten sprechen er und die Telekom vom "Netzmanagement", das den Providern helfe, "die Übertragung von Bits und Bytes so zu organisieren, dass die Gefahr von Netzausfällen minimiert werden [sic]". Darüber hinaus spricht der Verdi-Bundesvorstand abwertend von einer "Gleichbehandlung aller Datenschnipsel" und ausgesprochen unscharf von "extrem teuren Netzkapazitäten" und "exorbitanten Kapazitätsreserven" durch welche die (immerhin seit Beginn des Internets bestehende und erst durch DPI und NGN in Frage gestellte) Netzneutralität "profitable Geschäftsmodelle [...] unmöglich" machen würde.
Wolfgang Kopf, der Leiter des Bereichs Politik und Regulierung bei der Deutschen Telekom, versucht sich ebenfalls am orwellschen Umdefinieren und spricht bedingt sprachlogisch von der "Reduktion der Netzneutralität auf die Forderung nach strikter Gleichbehandlung aller Datenpakete". Auch Michael Schwemmle verwendet in seinem nicht als Kommentar gekennzeichneten Text für die Erlaubnis zum Sperren und Verlangsamen Euphemismen wie "Vorfahrtsregeln". Mit diesen "Vorfahrtsregeln", so der Geschäftsführer einer Beraterfirma wolle man "Schwächen der bisherigen Internet-Architektur [...] überwinden". Eine gesetzliche Verpflichtung zur Netzneutralität würde dagegen Telekommunikationsfirmen zwingen "ihre Netze künstlich 'dumm' zu halten und [...] von den verfügbaren technischen Optionen zur Qualitätsgarantie keinen Gebrauch [zu] machen".
An den "explosionsartig wachsenden digitalen Produkten und Diensten", verdienen Schwemmle zufolge vor allem die Inhalteanbieter. Seltsam nur, das diese seit einem guten Jahrzehnt genau das Gegenteil behaupten und damit neue Monopolrechte und Geld von den Telekommunikationsprovidern fordern, die sich immerhin teure Übernahmeschlachten und Werbekampagnen leisten konnten. Wenn darüber zu wenig Geld in den Breitbandausbau investiert wurde, dann liegt es vielleicht eher an falschen Managemententscheidungen als am mangelnden Unternehmensgewinn, der bei der Telekom im letzten Jahr auch nach Investitionen immerhin bei gut 19 Milliarden Euro lag.
Bei Verdi heißt es auf Nachfrage, dass die KOMM-Beiträge nicht das Ziel gehabt hätten, eine "abschließende Position" der Gewerkschaft zu formulieren. Der Kommentar von Lothar Schröder gründe sich jedoch inhaltlich auf "Prinzipien der Netzneutralität", wie sie die Gewerkschaft in einer fachbereichs- und ressortübergreifenden Arbeitsgruppe beschloss. In diesem Telepolis vorliegendem Papier mit durchaus irreführendem Namen gibt man zwar abstrakt vor, Netzneutralität zu begrüßen - doch wenn es um konkrete Positionen geht, wird genau das Gegenteil davon gefordert.
So heißt es etwa, dass die Netzneutralität "zwangsweise dort Grenzen [haben müsse], wo Finanzierungsmodelle den Betreibern unmöglich werden". Den Inhaltediskriminierungs-Euphemismus "intelligente Netze" sieht man als "grundlegende Voraussetzung für das reibungslose und effiziente Funktionieren des Internets", der die "Entwicklung innovativer Dienste im Interesse der Nutzer" ermöglicht. Und ein "Netzmanagement" stellt den Verdi-Prinzipien zufolge "keine Einschränkung der Meinungsfreiheit" dar. Warum das so sein soll, lässt das Papier freilich offen.
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