Plagiatpredigten
Die Diskussion ums Klauen des geistigen Eigentums durch Copy&Paste hat auch die Priester und Pastoren erreicht
In Schulen und Universitäten ist es schon lange zu einem mehr oder weniger ernst genommen Problem geworden, wenn Schüler und Studenten sich der Mühe des eigenen Formulierens entziehen und durch copy & paste Teile aus anderen Texten in die eigenen integrieren. Auch bei Abschlussarbeiten oder wissenschaftlichen Texten, bei Romanen und Erzählungen, bei Beiträgen für Medien und in Blogs sowieso, aber auch bei manchen hochoffiziellen, gar kriegsbegründenden Publikationen wie dem britischen Dossier über die irakischen Massenvernichtungswaffen wird gerne auf fremdem Gebiet geplündert. Auch in der Kirche ist mittlerweile die Diskussion darüber ausgebrochen, ob für Predigten die digitale Kulturtechnik des Copy&Paste statthaft ist.
Vornehmlich für diejenigen Christen, die in der Bibel das Wort Gottes sehen, das möglichst buchstabengetreu verstanden und umgesetzt werden muss, sollten eigentlich keine besonderen Schwierigkeiten damit haben, wenn Pfarrer in ihren Predigten nicht immer nur aus der Bibel zitieren, sondern auch auf die Predigten oder Texte anderer zurückgreifen, um das Intendierte besser auszudrücken oder es zumindest schneller fabrizieren zu können. Ähnlich wie früher die geistige Arbeit vor allem in der Anfertigung von Kopien und der Interpretation der kanonischen Schriften bestand, würde eine Praxis des gegenseitigen Kopierens womöglich die Lehre besser vereinheitlichen und von willkürlichen, durch Druck auf Originalität und Differenz entstandenen Interpretationen reinigen. Überdies sollte, geht es weniger um Copyright, Individualität oder Innovation, sondern um die Wahrheit Gottes oder der Schrift, die durch jeden befugten Mund spricht, es kaum von Bedeutung sein, ob Pfarrer/Priester A von der Gemeinde B in C Textstellen von einem Kollegen D der Gemeinde E in F übernimmt.
Natürlich ziehen die Geistlichen Predigten anderer heran. Im Zeitalter des Internet schauen Schüler in Deutschland etwa bei hausarbeiten.de wikipedia nach oder benutzt einfach eine Suchmaschine, wer eine Abschlussarbeit schreibt, bedient sich etwa bei diplomarbeit.biz/ oder studentenseite.de , Pfarrer können sich anregen lassen bei predigen.de oder anderen Webseiten. Allerdings stellen auch immer mehr Geistliche ihre Predigten ins Netz, was nicht unbedingt nur der Verbreitung des Wortes Gottes oder der Hilfe für Kollegen dienen dürfte, sondern auch der Pflege der eigenen Reputation – mit dann eben möglichen Konsequenzen für Plagiate. Nicht verwunderlich ist, dass eine Diskussion in den USA über Plagiate stattfindet, da hier die Kirchen in offener Konkurrenz um Aufmerksamkeit, Gläubige und Wahrheit liegen.
Steven Sjogren, Gründer und Pastor von Cincinnati Vineyard, aber auch „Superblogger“, der täglich einen Podcast veröffentlicht, hat einmal verdeutlicht, dass es auch in der Religion auf den Erfolg ankommt. Wie der zustande kommt, ist weniger wichtig. Sein Slogan: Don’t be original - be effective!:
We need to get over the idea that we have to be completely original with our messages, each and every week. In my mind there is a tremendous amount of pride (let's call it what it is) when we insist on being completely original as communicators. In our desire to give "killer messages" we are dishing out something far less. …
Borrow creatively from others in the Church world. Some are easier to relate to than others. The one guy who is the most borrowed from in the United States is, no doubt, Rick Warren. Warren's famous line is "If my bullet fits your gun, then shoot it!" By the way, who does Warren borrow from? He says that he listens to three or so preaching tapes a day! So who knows where he gets his stuff!
Es gibt, so Sjogren, immer nur wenige wirklich originelle Prediger in einer Generation. Warum sich also Stunden und Stunden für eine wenig überzeugende Predigt quälen, wenn man anderswo die Formulierungen sich besorgen kann, die dann auch bei den Menschen einschlagen? Zudem mache es nichts, wenn man Ideen von anderen nimmt. Es gebe sowieso nichts wirkliches Neues unter Sonne, da Gott der Schöpfer von allem ist und daher auch den Menschen die Ideen eingibt.
Diese Haltung stieß aber auf Ablehnung bei Ray Van Neste, einem Professor für Christliche Studien an der Union University, Jackson. Für ihn ist es „abscheulich“, sich über die „harte Arbeit“ lustig zu machen, die Geistliche in das Verfertigen ihrer Predigten stecken, indem man sie des „Stolzes“ bezichtigt, und einfach dazu aufzufordern, sich die Arbeit der anderen zu klauen.
Van Neste kehrt den Spieß um. Hochmütig sei es, davon auszugehen, jede Predigt sei so wichtig, dass sie ein Erfolg werden müsse. Damit werde die Predigt zu einer Aufführung, zu einer Performance. Solche Zurschaustellungen gebe es aber reichlich, viel wichtiger sei hingegen, das Wort Gottes zu verkünden, das selten ist. Wie gut, dass Van Neste – durch Google? – denn auch in der Bibel bei Jeremia 23 fündig wurde, auch wenn der Kontext nicht so ganz passt. Dort geht es eigentlich gegen die Propheten, die sich nicht an das Wort Gottes halten, sondern eigene Eingebungen oder Lehren verkünden. Hier fällt auch der Satz: „Darum siehe, ich will an die Propheten, spricht der HERR, die mein Wort stehlen einer vom andern.“
Der christliche Professor ist allerdings ebenfalls kein Verfechter der Originalität, aber er lehnt das narzisstische Schauspiel ab. Prediger seien keine „talking heads“, keine prominenten „Anchors“, sondern „Boten“, die Gottes Wort überbringen. Die Menschen müssen, so van Neste, „ihren eigenen Pastor hören, der sie kennt und liebt, und den Überfluss seines Herzens hören, der aus seinem eigenen Ringen um den Text diese Woche kommt.“ Es scheint um unterschiedliche Arbeitsethiken zu gehen. Während der eine alles auf erfolgreiche Mittel setzt, die man sich ausborgen kann, setzt der andere auf die durchlittenen Mühen, die die Predigt wirksam machen, wodurch das Wort Gottes aus dem Mund des dann als Person zurücktretenden Predigers zu den Ohren der Gläubigen oder zu Missionierenden gelangt:
Let us give up on the sham allure of performance, stop up our ears from the siren calls even from fellow pastors, resist the enticements of Vanity Fair, and simply give God’s Word to God’s people. Then we will have the pleasure of seeing people turned from their sin (one of the true goals rather than crowd gathering). Some will be greater speakers than we are, but that is okay.
Auf Wirksamkeit also ist auch Van Neste aus, nur die Methode ist anders. Aber nun liegt er im Disput mit seinem Performance-Kollegen, das bringt wiederum Aufmerksamkeit, denn das Thema liegt natürlich in der Luft, da „pastoral plagiarism“, also das Ausschlachten der Predigten von anderen, vermutlich grassiert. Van Neste genießt die Aufmerksamkeit und will weiter in den Kampf gegen die Predigtplagiate ziehen. Er erhalte Emails von Menschen, die entdeckt hätten, dass ihre Geistlichen Predigten von anderen oder direkt aus einem Buch entnommen hätten. Sie seien „schockiert“ und fühlten sich betrogen, wodurch die Integrität des Predigers ernsthaft beschädigt sei. Tatsächlich, wo es nicht nur um Wahrheit, sondern auch um Wahrhaftigkeit, um die persönliche Botschaft geht, irritiert es wohl erheblich, wenn der Geistliche mit fremden Zungen spricht. Fragt sich nur, warum Schüler, Studenten und Akademiker nicht mit fremden Federn, sondern unter Mühen beim Ringen ums eigene Wort schreiben sollen, wenn es doch um richtige oder gar wahre Aussagen oder Darstellungen geht?