Plagiatsvorwürfe auf dünnem Eis: Der Fall Ulrike Guérot

Foto Ulrike Guérot: Stephan Röhl, Heinrich-Böll-Stiftung / CC BY-SA 2.0 Deed

Wurden Zitierfehler der Wissenschaftlerin politisch motiviert aufgeblasen? Neue Fallstudie über ein Exempel. (Teil 2 und Schluss)

Alles nur geklaut? Wann ein ganzes Werk als Plagiat gilt

Gewiss können auch Sachbücher plagiiert sein. Dabei ist zu unterscheiden, ob sie Plagiate enthalten oder Plagiate sind. Damit ein ganzes Werk dieses Etikett verdient, müsste ungefähr "alles nur geklaut" (Songtitel der Band Die Prinzen, 1993) sein. Dafür seien zwei Beispiele aus dem Wissenschaftsbereich genannt.

Die Dissertation des CSU-Politikers Karl-Theodor zu Guttenberg enthielt auf fast jeder Seite unzureichend oder gar nicht gekennzeichnete Übernahmen aus diversen Quellen; zu diesen gehörte übrigens ein Aufsatz einer gewissen Ulrike Guérot, aus dem er auf einigen Seiten seiner Arbeit umfangreich kopiert hatte.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Buch "Der Fall Ulrike Guérot: Versuche einer öffentlichen Hinrichtung" (Westend-Verlag, 2024) und trägt dort die Kapitel-Überschrift: "Das 'Plagiat' – eine (wissenschaftliche) Betrachtung". Fußnoten aus dem gedruckten Kapitel wurden hier überwiegend in Weblinks umgewandelt, seltener in Klammern gesetzt. Einige Zwischenüberschriften wurden redaktionell hinzugefügt, um am Bildschirm die Lesbarkeit zu verbessern.

Harter Plagiatsvorwurf: Der Guttenberg-Standard

Nur aus einer einzigen Quelle bediente sich ein Slawistik-Professor an der Universität Bonn, er hatte nämlich die Examensarbeit einer Studentin einfach als eigenen Artikel in einem Sammelband ausgegeben. 2008 kürzte ihm die Hochschule wegen dieses Vollplagiats die Mittel und entzog ihm seine Prüfungsberechtigung.

"Relativ harte Sanktionen für einen Plagiatsfall dieser Art", befand damals ein Medium; in einem ähnlichen Fall an der Berliner Humboldt-Universität sei lediglich eine öffentliche Rüge ausgesprochen worden. Der Bonner Professor konnte seine Beamtenstelle behalten und weiter lehren – ganz im Gegensatz zur Angestellten Ulrike Guérot fünfzehn Jahre später.

Wenn Linden über eine ungekennzeichnete Übernahme in "Republik" schreibt: "Diese Großflächigkeit nähert sich dem Guttenberg-Standard", ruft er damit die Assoziation seitenweiser Plagiate hervor. Tatsächlich stellt sich der Umfang anders dar.

Sind diese drei Bücher von Ulrike Guérot Plagiate?

Die von der Kommission für Verdachtsfälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens mittels Plagiatssoftware als inkorrekte Übernahmen gewerteten Passagen ergeben – heruntergebrochen auf die einzelnen in den Originaltexten wie bei Ulrike Guérot identisch auftretenden Wortfolgen:

in "Wer schweigt" gut 3 Manuskriptseiten auf 144 Buchseiten,

in "Republik" gut 6 Manuskriptseiten auf 368 Buchseiten und

in "Bürgerkrieg" gut 1 Manuskriptseite auf 96 Buchseiten.

Zum Vergleich: Bei der Guttenberg-Schrift kämen wir mit dieser Zählweise auf eine dreistellige (!) Seitenanzahl (bei netto 393 Buchseiten). Dem Rabbiner Walter Homolka, zugleich Professor an der Universität Potsdam, wirft die F.AZ Plagiate bei seiner Doktorarbeit vor, die ein Viertel des Textes ausmachen sollen.

Die Plagiatsvorwürfe betreffen keine Kernaussagen der Autorin

Die Schweizer Historikerinnen Lydia Elmer und Dr. Tove Soiland, die sich mit den Vorwürfen gegen Ulrike Guérot auseinandergesetzt haben, sprechen von 9 Seiten (wohl Buch-, nicht Manuskriptseiten), die die "bemängelnden Textstellen" – ebenfalls zusammengenommen – bei insgesamt 560 Seiten Werk ausmachen würden. (Die Differenz in der Gesamtseitenzahl zu der obigen Zählung ergibt sich durch verschiedene Ausgaben.)

Somit zeigt sich schon quantitativ, dass es sich bei keinem der drei Bücher als solchem um ein Plagiat handelt. Qualitativ spiegeln diese Passagen nicht die wesentlichen Aussagen der Autorin wider. Der Westend Verlag schreibt in seiner Stellungnahme zu den angegriffenen Zitaten in "Wer schweigt" zutreffend:

Sie machen nicht die eigentliche Substanz des Buches aus – wie sonst bei Plagiatsfällen, von denen etliche bekannt und zurecht angeprangert wurden, da in ihnen weite Teile, wenn nicht sogar die gesamte auch gedankliche Arbeit von anderen Autoren übernommen wurde. Davon kann bei dem Buch von Frau Ulrike Guérot auch nicht ansatzweise die Rede sein.

Westend Verlag, Oktober 2022.

Quellenangaben ergänzt: Zeitdruck und Entschuldigung

Dies gilt evident für "Wer schweigt" ebenso wie für das Jahre zuvor in einem anderen Verlag erschienene Bürgerkrieg.

Bei Republik ist das im Ergebnis gleichfalls zu bejahen, es bedarf dazu aber eines Hinweises. Die Urheber zweier Texte wurden später als Quellen nachgetragen, da Ulrike Guérot sie nach eigenem Bekunden durch Eile bei der Manuskriptabgabe vergessen hatte, im Text zu erwähnen.

Offenbar ging es um eine schnell für die Leipziger Buchmesse produzierte Version, die die Autorin noch nicht als final betrachtete, aber dennoch in den Handel gelangte; dabei spielte auch die Lizenzvergabe an die Bundeszentrale für politische Bildung für deren Printpublikationen eine Rolle.

Ulrike Guérot entschuldigte sich kurz nach Erscheinen des Buches bei den Autoren, in späteren Auflagen sind Quellenhinweise ergänzt.

Geistiges Eigentum von Freunden?

Es handelt sich dabei um Albrecht von Lucke und Matthias Greffrath. Mit den zweien ist Ulrike Guérot bekannt und nach eigener Aussage sogar persönlich befreundet. (Ulrike Guérot/Matthias Burchardt: Das Phänomen Guérot. Demokratie im Treibsand, Klarsicht Verlag, Hamburg 2023, S. 21.)

Dass sie sich entgegen eigener Aussage absichtlich Gedanken ausgerechnet dieser beiden, ohne Hinweis auf deren Autorenschaft, hätte aneignen wollen, erscheint daher sehr unwahrscheinlich.