Plagiatsaffäre bei der Süddeutschen Zeitung: Was lehrt uns die Beinahe-Tragödie?

SZ auf der Buchmesse Frankfurt, 2017. Gute Nachrichten gab es zuletzt wenige. Bild: JCS, CC BY 3.0

Die degradierte Vize-Chefin des Traditionsblatts wurde aus dem Inn gerettet. Medien reagieren aufgeregt, aber wenig lernfähig. Zwischenbilanz eines Skandals.

Am Donnerstag fanden Passanten am Inn-Ufer in Braunau persönliche Gegenstände der österreichischen Journalistin Alexandra Föderl-Schmid und wohl auch einen Abschiedsbrief.

Da jede Spur von der ehemaligen Chefredakteurin des österreichischen Standard und amtierenden Vize-Chefredakteurein der Süddeutschen Zeitung fehlte, musste von ihrem Tod ausgegangen werden.

Die Suche wurde zunächst abgebrochen. Später fand die Polizei jedoch die stark unterkühlte 53-jährige Frau unter einer Brücke liegen: die Vermisste. Die Journalistin wurde ins Krankenhaus gebracht und ist laut Behörden außer Lebensgefahr. So weit, so glimpflich.

Gutachter Stefan Weber im Visier: Plagiatsjagd und Hetzjagden

In der österreichischen Medienszene glühen seit dem Vorfall die Tastaturen. So schreibt der Presseclub Concordia, die Vereinigung österreichischer Journalisten und Schriftsteller, in einer Erklärung:

Die akkordierten Kampagnen von unverantwortlichen Boulevardmedien, Propaganda-Plattformen und selbsternannten "Plagiatsjägern" sind gezielte Angriffe auf Qualitätsmedien.

Wer so von "Hetzjagd" auf eine Journalistin spricht, muss sich fragen lassen, wer Schöpfer dieses Begriffes ist und welche Intention damit verfolgt wird.

Wie wird man Plagiatsjäger?

Nannte sich etwa der Gutachter Stefan Weber selbst "Plagiatsjäger" oder wurde er von österreichischen und deutschen Medien so lange als solcher gelabelt, bis er den Titel akzeptieren musste – und inzwischen sogar damit kokettiert?

"Selbsternannt" ist auch eine missverständliche Formulierung, denn schließlich wird Weber für seine Gutachten beauftragt. Und selbstverständlich auch bezahlt, was gerne mit einem gewissen Unterton dargelegt wird, der nach Bestellung eines Auftragskillers klingt.

Ein Gutachten aber bringt hervor, was weder Weber noch seine Auftraggeber vollends bestimmen oder vorhersehen können. Denn dann wären die Gutachten über Manipulationen selbst manipulativ. Es darf vermutet werden, einige würden sich über diesen Nachweis freuen. Erbracht wurde er nicht.

Was ist eigentlich ein Plagiat?

Der Begriff Plagiat ist längst zum Kampfmittel geworden. Das müsste wiederum dem Gutachter Stefan Weber zu denken geben, wenn er doch eigentlich für wissenschaftliche und journalistische Redlichkeit kämpfen möchte.

Wenn eine Autorin teilweise Meldungen von Nachrichtenagenturen oder Versatzstücke aus Wikipedia-Artikeln übernimmt, dann ist dies sicherlich nichts, das ihr zur Ehre gereicht. Aber ist es bereits ein betrügerisches Plagiat?

Das Phänomen ist so alt wie der Journalismus: Da alle Zeitungen gleichzeitig und schnellstmöglich dieselben Storys liefern (müssen), schreiben sie voneinander ab.

Journalismus unter Druck: Manche machen es sich leicht

Mit dem Kniff des Abschreibens von Textteilen gelingt es, die enormen Arbeitsaufgaben zu bewältigen. Die Frage ist: Wäre ein Text besser und aufrichtiger gewesen, wenn sich Föderl-Schmid die Mühe gemacht hätte, auch bei an sich banalen Sachverhalten Satzumstellungen zu bauen und in die Synonym-Trickkiste zu greifen?

Also statt, wie es in Wikipedia steht: Wolf Biermann "veröffentlichte 1960 erste Lieder und Gedichte" lieber zu schreiben "Anfang der 1960er-Jahre veröffentlichte Biermann Gedichte und Lieder"?

Ist eine gleiche Formulierung gleich "Betrug am Leser"?

Ganz umschreiben lässt sich der Sachverhalt schließlich nicht. Klar, hier wurde vermutlich nach dem Copy-and-paste-Prinzip vorgegangen und das ist keine Sternstunde des Journalismus. Aber kommt es wirklich einem "Betrug am Leser" gleich?

Beim Versuch, sich über falsche Erregungswellen zu echauffieren, wird somit allseits viel falsche Erregung erzeugt. Die Skandalkeulen schwingen zum Himmel. Gerade auch von Print und Qualitätsmedien, die sich "gezielten Angriffen" ausgesetzt sehen. Dabei wird bedeutendes geflissentlich übersehen.

Medien und Habitus: Du bist, was Du liest

Moralische Erhabenheit soll zeitweilig als Verkaufsmerkmal funktionieren. Das bildungsbürgerliche Bedürfnis zur Distinktion verlangt (oder verlangte), mit der Süddeutschen am Kaffeehaustisch zu sitzen und nicht mit einem Revolverblatt im Wirtshaus. Auf der richtigen Seite stehen, das hieß lange: die richtige Zeitung lesen, am besten noch im richtigen Ambiente.

Aber sind die Mechanismen, von denen heutige journalistische Arbeit bestimmen wird, wirklich anders? Sind nicht alle heiß auf "heiße Storys" – und wie gehen sie mit dieser Sucht um?

Sind sogenannte Leitmedien frei vom verpönten Zeilenschinden? Insbesondere wenn sie letztlich wirtschaftlichen, also neoliberalen Kriterien unterliegen?

Werden die Karrieren derjenigen belohnt, die dieses Spiel mitspielen?

Medien unter Druck: Liefern, bis der Schädel raucht

Wie hoch der Druck bei großen Zeitungen sein muss, ständig zu liefern, belegte der Spiegelskandal im Jahr 2018, bei dem bekannt wurde, dass sich ein gefeierter Jungautor seine Reportagen schlichtweg ausgedacht hatte. Hier dürfte über die Ruchlosigkeit des Fälschers ebenso gestaunt werden, wie über die Verhältnisse, die ihn und seine Arbeit hervorgebracht haben.

Die immer kürzeren und höheren Aufmerksamkeitswellen generieren heute große Aufregung, damit das jeweilige Skandalthema schon morgen niemanden mehr interessiert.

Medienmacher in Österreich, in Deutschland und dem ganzen Rest der Welt wären dazu aufgefordert, angesichts der Beinahe-Tragödie von Alexandra Föderl-Schmid nach Auswegen aus diesem Teufelskreis zu suchen.

Im Zentrum steht der mediale Wandel

Wir stehen als Gesellschaft vor einem Strukturwandel mit ungewissem Ausgang. Wer abends in ein österreichisches Landgasthaus stapft, findet meist die typischen Kleinformate (<tk›Kronenzeitung‹tk>, Kleine Zeitung) sauber gefaltet in einer getäfelten Ecke liegen.

Nun sind die Menschen wohl kaum ordentlicher geworden. Wahrscheinlicher ist, dass die Blätter den ganzen Tag über nicht angerührt worden sind.

Die österreichischen Kleinformate gleichen dem Glockenklang am Lande, der am Wochenende gefühlt stundenlang erklingt. Er ruft die Gläubigen in Kirchen und Kapellen, damit sie dort das Gefühl haben dürfen, das Richtige zu tun.

Wer liest denn noch Zeitungen?

Man kann nicht behaupten, dass die Kirchlein leer blieben. Aber ein Trend ist absehbar. Es findet sich vornehmlich ein Publikum ab dem 60. Lebensjahr aufwärts ein. Es ist die gleiche Klientel, die mitunter noch Zeitungen abonniert hat und sie sogar aufzuschlagen pflegt.

Ob die Todesnähe zu Kirchgang und Zeitungslesen bringt? Unwahrscheinlich. Gerade die österreichischen Senioren sind affin zu Facebook und Whatsapp.

Bald wird sich das Zeitungsdrucken vielleicht überhaupt nicht mehr lohnen. In den vergangenen Monaten meldeten mehrere Druckereien in Österreich Konkurs oder Insolvenz.

Die Minima Moralia in der Causa Föderl-Schmid

Die Printmedien müssen also ins Netz und dort wartet die Clickbaiting-Konkurrenz. Und diese Konkurrenz ist meist besser aufgestellt, weil sie auf diesem besonderen Nährboden überhaupt erst entstanden ist.

Also versucht man sich energisch abzugrenzen, indem die eigene Qualität betont wird, die es mehrheitlich schlichtweg nicht gibt, wie aktuell die Süddeutsche belegt.

Über das Mediensystem reden kaum jemand

Was eigentlich zu Gebote stünde, wäre die Aufrechterhaltung einer Minima Moralia. Nicht einzelne Personen aburteilen, sondern das System kritisieren, das sie zu ihren Fehlern trieb.

Diese Fehler sollten – nach Eingeständnis und entsprechenden Konsequenzen – verziehen und niemanden in den Suizid getrieben werden. Es gilt, jede Häme zu unterbinden, wenn jemand anders vom hohen Ross stürzt. Und die eigenen Texte am besten selbst zu schreiben.

Sofortige Hilfe finden Suizidgefährdete in Deutschland kostenfrei und rund um die Uhr per Telefon unter 0800 / 111 0 111, 0800 / 111 0 222 oder 116 123 per Mail und Chat unter online.telefonseelsorge.de In Österreich finden Sie ebenfalls kostenfrei und 24 Stunden täglich Hilfe unter 142 (Notruf) oder https://www.gesundheit.gv.at/leben/suizidpraevention.html.

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