Plagiatsfall bei SZ: "Ich habe geweint vor Freude, als die Nachricht kam: Sie ist noch am Leben"
Plagiatsforscher Weber über Journalistenfragen zu seinen Kindern, über den Suizidversuch der SZ-Vize-Chefin und über Selbstkritik. Ein Telepolis-Podcast (Teil 2 und Schluss)
Im ersten Teil dieses Telepolis-Podcasts hat Stefan Weber, Salzburger Plagiatsforscher und Urheber der Plagiatsvorwürfe gegen die stellvertretende Chefredakteurin der Süddeutschen Zeitung, Alexandra Föderl-Schmid, heftige Kritik an einem Gutachten geäußert, dass seine Forschungsergebnisse widerlegen soll.
Er warf der verantwortlichen Kommission vor, bewusst Kriterien so verändert zu haben, dass ein erwünschtes Ergebnis herauskam. Das Gremium war von der Süddeutschen Zeitung beauftragt worden.
Weber und sein Team, die dieselben Artikel mit derselben Plagiatssoftware untersucht hatten, kamen auf eine deutlich höhere Anzahl an problematischen Artikeln als die SZ-Kommission. Weber dazu: "Ich nenne das, was hier passiert ist, Forschungsbetrug." Die Autoren des Gutachtens in Auftrag der Süddeutschen Zeitung hätten Kategorien bewusst so abgeändert und manipuliert, dass ein erwünschtes Ergebnis herauskommt. "Dann ist es Betrug. Und das ist hier der Fall", so Weber.
Im zweiten Teil dieses Telepolis-Podcasts spricht Weber nun über seine Arbeit, Angriffe gegen ihn und darüber, wie er mit der Nachricht über den mutmaßlichen Suizidversuch von Föderl-Schmid umgegangen ist. Das gesprochene Wort wurde für diese Online-Version leicht gekürzt und bearbeitet.
Lesen Sie Teil 1 dieses Podcasts hier:
Plagiatsforscher zu Gutachten der Süddeutschen: "Ich nenne das Forschungsbetrug"
▶ Herr Weber, Sie sprechen einen wichtigen Punkt an: Dass diese Fragen, auch gerade mit der zunehmenden Bedeutung des Internets, mit der Mehrung von Informationsquellen, auch in der Journalismusausbildung eine Rolle spielen.
Stefan Weber: Herr Neuber, wir müssen es ja noch weitertreiben. Wir haben es zunehmend mit paraphrasierten Texten zu tun. Sie kennen alle den Trick, ich verrate jetzt nichts Neues. Was ist denn, wenn ein Neuling, ein Neueinsteiger in der SZ sagt, da war ein Artikel in der Welt oder auf BuzzFeed oder wo auch immer, der war so cool.
Gut, dann nehme ich einen englischen BuzzFeed-Text, übersetze ihn mit Deepl ins Deutsche und sage ChatGPT: Bitte, paraphrasiere den Text stark, aber lass die direkten Zitate unverändert.
Das heißt, wir haben schon die technischen Möglichkeiten, dass wir die Artikel, die bereits von anderen Medien verfasst wurden, so stark paraphrasieren, dass wir wahrscheinlich gar nicht mehr merken mit der Plagiatssoftware, dass es einen Ursprungstext gibt.
Plagiate, Paraphrasierung, Übersetzung
Und das führte auch dazu, dass diese Diskussion, wo Sie mich eingangs ein bisschen gebremst haben – sind es jetzt 24 oder 50 oder 70 (Artikel), dass wir gar nicht wissen, wie viel denn plagiiert und wie viel womöglich mit digitalen Tools paraphrasiert wurde, wie oft Fremdsprachenübersetzung eingesetzt wurde.
Das will ich jetzt alles nicht der Frau Föderl-Schmid unterstellen. Ich sage nur: Das sind ja auch alles Möglichkeiten, Texte zu verändern, Texte nicht selbst zu schreiben.
Der Plagiatsforscher im Visier
▶ Ich möchte noch auf eine andere Ebene kommen. Nach dem Bericht über und nach Ihrer Untersuchung der Arbeit von Frau Föderl-Schmid sind Sie selbst auch in den Fokus der Berichterstattung geraten. Ich erinnere mich an einen sehr, sehr kritischen Text im Nachrichtenmagazin Spiegel. Wie haben Sie das wahrgenommen, diesen Umschwung in der Berichterstattung?
Stefan Weber: Erstaunlich locker. Das heißt, ich bin nicht weinen gegangen auf die Toilette. Der Bericht war furchtbar negativ. Der Bericht hat mich als Bösewicht und als einen Menschen geframed, der gegen Geld versucht, Leute zu vernichten.
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Also das heißt, mir wurde quasi unterstellt, dass ich Argumente erfinde, um Leute zu vernichten. Das war der schlimmste Artikel. Es kamen dann so Framings wie "der Inquisitor", "der Gekränkte", "der Verfemte", "der Kopfgeldjäger". Das musste ich dann alles in österreichischen Medien lesen im Anschluss an diesen Artikel im Spiegel.
Wikipedia verstärkt die Kritik
Dieser Artikel im Spiegel hat auch zu einem großen kritischen Absatz in Wikipedia geführt. Da gab es dann Leute, die mir sogar den Plagiatsgutachter- und Sachverständigenstatus aberkennen wollten. Das ist ganz witzig, was hier passiert ist.
Der Herr Kühn (gemeint ist Alexander Kühn vom Spiegel, d. Red.), das ist eine längere Geschichte. Ich glaube, so viel Zeit haben Sie jetzt im Podcast nicht. Der hat mich halt mit Fragen so lange geärgert, die bis ins Private gegangen sind.
Und erst in dem Moment, als er nach den Schulferien meiner Kinder fragte, habe ich dann dieses Zitat verwendet: "Sie schmutziger Schmierfink, verpissen Sie sich aus meinem Leben." Und dazu stehe ich total. Denn Herr Kühn war daran interessiert, von vornherein, mich als Bösewicht zu framen. Und wozu soll ich mich einen Tag mit Herrn Kühn treffen, wenn eh schon feststeht: Er geht mit dem Framing nach Hause, dass ich ein Bösewicht bin.
"Spreche mit allen Journalisten – seit 17 Jahren"
Dann spare ich mir das Treffen lieber ganz. Und dementsprechend hat er dann den Artikel auch noch aufgebaut, so nach dem Motto: Der Herr Weber wird jetzt nervös, jetzt spricht er nicht mehr mit Journalisten.
In Wahrheit spreche ich, seit ich diesen Job mache, seit 17 Jahren, wirklich mit allen Journalisten. Und wie Sie jetzt merken, die Journalisten müssen mich eher meistens einbremsen, weil sie sagen: Der Weber will nicht mehr zu reden aufhören.
Mutmaßlicher Suizidversuch und Selbstkritik
▶ Man kann mit Fug und Recht sagen, dass Sie ein streitbarer Mensch sind. Sie haben das Zitat gerade genannt. Sie wehren sich auch sehr deutlich gegen die Vorwürfe an Ihrer Arbeitsweise, gerade wenn sie so vorgebracht wurden, wie Sie sie geschildert haben.
Ich glaube, es ist im Gespräch auch dazu ein wenig durchgedrungen, die Differenziertheit in Ihrer Meinung: Wenn Sie jetzt auf dieses Geschehen im Februar zurückschauen; gab es da etwas, gerade angesichts dieser dramatischen Wendung, wo Sie jetzt im Nachhinein sagen: Da wäre ich lieber anders vorgegangen, da hätte ich vielleicht vorsichtiger vorgehen sollen?
Stefan Weber: Herr Neuber, wir hätten doch eigentlich gar nicht jetzt über das Thema reden dürfen, das ist für mich die Antwort. Wissen Sie, was ich meine? Dass das Thema jetzt wieder in den Medien ist, haben wir ja nur der unseligen, korrupten Universität Salzburg zu verdanken, die die Frau Föderl-Schmid trotz 157 Plagiatsstellen, übrigens wieder mit einem hingebogenen Wording, nämlich "kein relevantes wissenschaftliches Fehlverhalten", freigesprochen hat.
Weber kritisiert Universität Salzburg
Also das möchte ich jetzt wirklich sagen. Erst durch diesen Freispruch bin ich wieder im Beweisdruck gekommen, zu sagen: Moment einmal, die hat ja in ihrer Dissertation plagiiert.
Natürlich hätte ich auch die Schnauze halten können, und sagen können: Ich weiß nicht, wie gut es der Frau Föderl-Schmid geht, ich sage jetzt nichts. Aber dann wäre natürlich wieder ein Shitstorm losgebrochen. Und dann haben wir gedacht: Okay, ich muss jetzt die Beweise liefern.
Und genauso war die Diskussion jetzt wieder mit den journalistischen Artikeln. Eigentlich hätten wir alle – und ich sage es noch einmal: Die Universität Salzburg hat als Erstes begonnen zu sagen, das ist kein Plagiat –, hätten alle jetzt ruhig sein sollen, bis die Frau Föderl-Schmid so fit ist, dass sie sich selbst wieder äußern kann.
Ich hatte selbst schon eine Lebenskrise, wurde auch einmal entlassen, war auch dann drei Wochen in Behandlung, weil eine plötzliche Entlassung, noch dazu aus einem Team, in dem man sich sehr gut verstanden hat, natürlich eine posttraumatische Belastungsstörung auslösen kann.
Ich weiß, ich kann mir denken, also jetzt abgesehen vom Suizidversuch, den habe ich nicht gemacht, aber ich kann mir denken, wie es einem da geht, wenn einem das Leben perspektivenlos erscheint.
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Das wird Sie jetzt erstaunen, solche Sätze. Ich kann mich da verdammt gut hineinfühlen. Und ich habe dem Krankenhaus Braunau angeboten: Wenn es der Frau Föderl-Schmid dienlich ist, komme ich nach Braunau und spreche mit ihr. Wie ich das geschrieben habe im Blog, kam sofort wieder der Shitstorm, ich wolle Gesundheitsdaten. Was für ein Unsinn.
Also das heißt, es ist natürlich so ein sensibler Bereich. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich habe es auch schon erlebt, ich wollte ihr dann helfen.
Hätte man im Februar, in den Tagen zuvor, etwas anders machen müssen. Wie lautstark, wie kläffend war die Kampagne von Nius? Und da gebe ich Ihnen die ehrliche Antwort, die muss ich aber jetzt ganz vorsichtig formulieren.
Welche Rolle spielte eine E-Mail-Weiterleitung bei der SZ?
Es ist sicherlich nicht so, dass jemand, der das Standing hat einer SZ-Vize-Chefredakteurin, so etwas tut, wegen Nius. Wissen Sie, was ich meine?
Was ich gemacht habe, und wo man jetzt moralisch darüber diskutieren kann, ist, dass ich dieses Mail an die Chefredaktion geschickt habe am Mittwoch, dass sie eben plagiiert hat, anhand von Beispielen.
Und dieses Mail hat dann die Chefredaktion, ich glaube kommentarlos, an die Frau Föderl-Schmid weitergeleitet. Ich habe es ihr nicht geschickt, und ich gehe davon aus, dass die nachfolgenden Gespräche mit der SZ dann zu dieser Tat, die sich hoffentlich nicht mehr wiederholen wird, geführt haben.
"So etwas wird hoffentlich nie wieder passieren"
Aber wie gesagt, bei aller, aller Vorsicht. Ich will mich da nicht aus der Verantwortung nehmen. Was hätte ich anders machen sollen? Herr Neuber, nachher ist man immer klüger, so etwas ist noch nie passiert. Wird hoffentlich nie wieder passieren, weder im Leben der Frau Föderl-Schmid noch im Leben eines anderen Beschuldigten.
Schauen Sie, ein Satz noch, wenn ich darf: Wir haben jetzt in Österreich diese Geschichte mit der Lena Schilling. Da sind jetzt die privatesten Chats dieser Frau als Fakten, als Screenshots jeden Tag in den Massenmedien. Und da muss man ja auch sagen: Was ist, wenn sich Lena Schilling etwas antut?
Also, wir treiben schon Säue durchs Dorf. Und Sie sehen, ich reflektiere das auch, dass man erwartet: Okay, wenn jemand im öffentlichen Leben steht, muss er das aushalten.
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Dazu sage ich Ihnen noch eines: Keiner hat gefragt, wie geht es denn eigentlich mir mit diesem Shitstorm seit Wochen. Mit haben auch Leute mit Bluttaten gedroht auf X. Ich bin mit meinem Anwalt gar nicht mehr nachgekommen, das alles zu verklagen.
Wir haben dann eben gesagt: Es ist sinnlos, von Twitter bei 20 anonymen Accounts die Verfasser zu erfragen. Da kommen wir gar nicht mehr zusammen.
Ich habe mir gesagt: Okay, du musst jetzt mit diesem Risiko leben, dass du massiv bedroht wirst. Ich bin ja auch massiv bedroht worden nach dieser Sache. Und ja, das ist so.
Und natürlich überdenke ich, das habe ich aber auch in Interviews gesagt, dieses häppchenweise Publizieren, dann das Publizieren, ohne, dass ich vorher den Verfasser frage. Das schmeckt mir zwar gar nicht, weil ich weiß, dass Plagiatoren in der Regel schweigen oder eine Abmahnung schicken.
"Kein Plagiator sagt: 'Sie haben mich erwischt!'"
Kein Plagiator sagt: "Ja, Herr Weber, gratuliere, Sie haben mich erwischt. Gehen wir auf ein Bier, Sie haben mich erwischt." Solch eine Reaktion gibt es nicht.
Und natürlich modifiziere ich dann auch immer meine Arbeiten. Aber dass jemand sich selbst etwas antun will, das war für mich völlig unabsehbar und sicherlich auch für die gesamte SZ-Chefredaktion.
Ich glaube, wir waren da alle unter Schock, und natürlich die, die Sie persönlich kennen, noch viel mehr. Ich kannte sie nicht persönlich.
"Habe geweint vor Freude"
Also ja, ich hatte hier Empathie. Ich habe geweint vor Freude, als die Nachricht von vielen Journalisten gleichzeitig kam: Sie ist noch am Leben. Da ist mir ein Stein vom Herzen gefallen.
Stellen Sie sich vor, ich müsste mit dieser – jetzt nicht juristisch gesprochen, aber moralisch gesprochen – Mitschuld leben, beteiligt gewesen zu sein an einer Aufdeckung, die dazu führt, dass sich jemand umbringt. Das ist ja grauenhaft.
Und insofern bin ich unfassbar froh, dass das gut ausgegangen ist. Ich in nichtsdestotrotz, und das ist die zweite Ebene, an einer Wahrheitsfindung in Bezug auf die Plagiate interessiert.
Und ich bin nicht der Mensch, wie Sie jetzt auch hören, der einen Plagiatsverwurf relativiert oder zurücknimmt, um jemanden zu schonen. Das tue ich nicht. Weil, das ist ja auch meine Glaubwürdigkeit als Gutachter, dass mich die Plagiate interessieren und nichts anderes.
▶ Das sagt Stefan Weber heute im Interview bei Telepolis, im Telepolis-Podcast. Herr Weber, vielen Dank für Ihre Zeit heute, vielen Dank für die Erklärung auch gerade zu dem Geschehen im Februar. Unsere Hörerinnen und Hörer, unsere Leserinnen und Leser können diesen Podcast bei uns online nachlesen und auf Spotify und Audible nachhören. Vielen Dank und bis zum nächsten Mal.