Plagiatsforscher zu Gutachten der Süddeutschen: "Ich nenne das Forschungsbetrug"
Hat die Süddeutsche Zeitung sich ein Gefälligkeitsgutachten besorgt? Plagiatsforscher aus Wien erhebt schwere Vorwürfe. Ein Telepolis-Podcast (Teil 1).
Im Telepolis-Podcast geht es heute um Plagiate, und zwar um einen besonderen Plagiatsfall, der Anfang dieses Jahres, genauer gesagt im Februar, für Aufsehen gesorgt hat. Es ging um die Süddeutsche Zeitung. Damals wurden Plagiatsvorwürfe gegen die stellvertretende Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid erhoben.
Lesen Sie hier Teil 2 dieses Podcasts:
Plagiatsfall bei SZ: "Ich habe geweint vor Freude, als die Nachricht kam: Sie ist noch am Leben"
Das allein hätte wohl niemanden vom Hocker gerissen, dramatisch wurde es, als die Journalistin einen Suizidversuch unternahm. Damit stand nicht mehr nur die Arbeitsweise der Journalistin im Mittelpunkt der Debatte, sondern auch der Umgang mit Plagiaten und die Art der Vorwürfe.
Mittlerweile scheint Alexandra Föderl-Schmid von allen Vorwürfen freigesprochen. "Uni Salzburg findet nichts, SZ-Vizechefin Föderl-Schmid darf Titel behalten", hieß es etwa im April in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Und vor wenigen Tagen dann diese Schlagzeile: "Vize-Chefredakteurin Föderl-Schmid: Plagiatsvorwürfe gegen SZ-Journalistin widerlegt".
Darüber sprechen wir heute mit Stefan Weber und darüber freue ich mich sehr, denn Stefan Weber ist nicht nur ein langjähriger Autor unseres Magazins Telepolis, sondern auch der Mann, der den Skandal im Februar ins Rollen gebracht hat und damit selbst in die Schusslinie einer sehr, sehr kritischen Berichterstattung geraten ist
▶ Guten Tag, Herr Weber.
Stefan Weber: Schönen guten Tag.
"Ich nenne das Forschungsbetrug"
▶ Herr Weber, kommen wir zunächst auf den "Kommissionsbericht zur Aufarbeitung der gegen Alexandra Föderl-Schmid erhobenen Vorwürfe" zu sprechen. Dieser Bericht wurde von zwei Wissenschaftlern in Auftrag der Süddeutschen Zeitung erstellt und dort heißt es relativ zu Beginn, das scheint mir der zentrale Absatz:
"Keine Hinweise fanden wir darauf, dass Föderl-Schmid methodisch die journalistische Leistung von anderen in einer Weise kopiert hätte, ohne die ihre eigenen Texte keine Gültigkeit gehabt hätten. Sie ließ es an Transparenz fehlen, hat aber nicht versucht, Übernahmen von Passagen aus anderen Publikationen zu verschleiern."
Daran haben sie ja jetzt massive Kritik geübt. Was ist Ihre Kritik?
Stefan Weber: Also, ich nenne das, was hier passiert ist, Forschungsbetrug. Ich möchte mich hier klar positionieren: Wenn ein Wissenschaftlerteam bewusst Kategorien so abändert und manipuliert, dass ein erwünschtes Ergebnis herauskommt, dann ist es Betrug. Und das ist hier der Fall.
Und ich freue mich auch, dass Telepolis das erste Medium ist, aus welchen Gründen auch immer, das sich traut, mir diese Frage zu stellen und ich mich auch öffentlich so positionieren kann. Denn das wird im Moment totgeschwiegen. Damit kann ich auch leben, weil ich weiß, dass die Wahrheit auf meiner Seite ist.
Prüfungen kommen auf unterschiedliche Zahlen
Warum sage ich das so orthodox? Ich habe mich mit meinem Team genauso wie die SZ-Kommission mit 1.091 Artikeln – also, die SZ-Kommission schreibt 1.100 – mit der Frau Föderl-Schmid von 2017 bis Ende 2023 beschäftigt.
Wir haben das mit derselben Plagiatssoftware, nämlich mit Turnitin analysiert. Also müssten ähnliche Ergebnisse herauskommen, natürlich mit ein wenig einer Abweichung.
Aber wie ist es möglich, dass die SZ-Kommission sagt, knapp zwei Dutzend Artikel waren aufklärungsbedürftig, sodass man mit Frau Föderl-Schmid sprechen musste.
Bei uns waren es vor zwei Wochen nicht knapp zwei Dutzend, sondern 52. Mittlerweile sind es 70. Jetzt kann man natürlich sagen, na ja, die SZ-Kommission hat tolerantere, liberalere Kategorien als das Team Weber. Also das Team Weber ist zu streng, wenn ein Satz in der Wikipedia steht, dann wertet das Team Weber den ganzen journalistischen Bericht als Plagiat.
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▶ Aber Herr Weber, wenn ich hier einhaken darf, das scheint mir gar nicht so weit auseinanderzuliegen, diese Zahlen, die Sie genannt haben, da liegen, finde ich, keine eklatanten Unterschiede zwischen. Sie kritisieren aber vor allem die Definition des Plagiats.
Stefan Weber: Ja, also sehen Sie, da sind wir jetzt schon mitten in der Diskussion. Ist es ein Riesenunterschied oder ist es ein kleiner Unterschied, ob jemand 24, 50 oder 70 von 1.091 Artikeln findet? Können wir diskutieren.
Die Definition des Plagiats im Kommissionsbericht ist auf Seite 6. Das muss man genau lesen. Da hat der Kommissionsbericht eine Tabelle erstellt und da behauptet die Kommission, nicht der Kommissionsbericht, da behauptet die Kommission, wenn in einem journalistischen Artikel aus Wikipedia natürlich wie immer ohne Kenntlichmachung und ohne Quellenangabe abgeschrieben wird, ist es kein Plagiat.
Die "quasi-amtlichen Quellen"
Sie behauptet: Wenn aus sogenannten quasi-amtlichen Quellen, ein Begriff, den es übrigens in der gesamten Journalismusforschung nicht gibt, muss man nur googeln, aus quasi-amtlichen Quellen abgeschrieben wird, ohne Quellenangabe, ist es auch kein Plagiat.
Und sie behauptet drittens, Wenn Faktensätze übernommen werden, ist es auch kein Plagiat und bringt auch noch das Beispiel, die Erde ist rund. Die Erde ist rund, muss ich ja nicht mit einer Fußnote zu einem Physiker oder Geologen belegen.
Das ist völliger Quatsch und jeder, der Plagiatsforschung betreibt, weiß, dass alle drei Punkte Quatsch sind. Natürlich ist Abschreiben ohne Quellenangabe von der Wikipedia ein Plagiat. Natürlich ist Abschreiben von vertrauenswürdigen Quellen aus dem Internet, sogenannten quasi-amtlichen Quellen, ein Plagiat.
Man darf nie den Wortlaut abschreiben
Und jetzt kommt das Wichtigste. Man sagt immer, Allgemeinwissen muss man nicht zitieren. Stimmt. Natürlich muss der Journalist, wenn er schreibt, der gegenwärtige Bundespräsident von Deutschland ist N.N., dann muss er nicht in Klammer eine Regierungswebseite angeben. Wissen Sie, was ich meine?
Aber daraus folgt ja nicht, dass ich den Wortlaut abschreiben darf. Das ist immer der Punkt: Wenn ich den Wortlaut über die Bedeutung eines jüdischen Feiertags abschreibe, dann muss ich sehr wohl eine Quellenangabe machen.
Das ist kein Gesetz im Journalismus wie in der Wissenschaft. Aber es entspricht einfach dem journalistischen Anstand. Und da hat der Bericht getrickst und das ist das, was ich kritisiere.
Er hat also Phänomene aus dem Plagiatsbegriff herausgenommen und das werfe ich der Kommission vor. Und deshalb kommen weniger Plagiate bei Föderl-Schmid heraus, als beim Team Weber.
▶ Lassen Sie mich an der Stelle kurz einhaken. Sie haben es ja gerade schon angeschnitten. Konkrete Frage, welche spezifischen Kriterien sollten Ihrer Ansicht denn verwendet werden, um zu bestimmen, ob ein journalistischer Text ein Plagiat ist?
Stefan Weber: Ach, es gibt mittlerweile eine, es gibt zwei Definitionen aus der Wissenschaft, das sage ich Ihnen ehrlich, die man genauso auf den Journalismus anlegen kann. Die eine ist die ältere Definition, das ist die allgemein bekannte vom mittlerweile verstorbenen Strafrechtswissenschaftler Albin Eser.
Eser hat geschrieben, ein Plagiat ist die unbefugte Verwertung unter Anmaßung der Autorschaft. So, wunderbare Definition, kann man genauso im Journalismus anwenden.
Definitionen des Plagiats
Und jetzt gibt es eine Musterdefinition der Deutschen Hochschulrektorenkonferenz, natürlich wieder für die Wissenschaft. Aber ich sage eben, man kann das genauso anwenden.
Und da heißt es einfach: jede ungekennzeichnete Übernahme ohne Quellenangabe. Das ist nämlich ein Unterschied. Die Kennzeichnung sind die Anführungszeichen, die Quellenangabe ist der Quellenverweis. Wenn beides fehlt, dann ist es ein Plagiat, ganz easy.
Und jetzt kann man nämlich hergehen und dem Journalismus sehr wohl sagen: Okay, wenn ihr einen Absatz von der dpa wortgleich mit Copy-and-paste hineinstellt, dann steht am Ende des Artikels "dpa/Telepolis", wenn es redigiert ist und wenn ihm auch Textstücke eben vom Telepolis-Auto drinnen sind.
Faire Politik gegenüber den Lesern
Und wenn man das nicht machen will, weil man sagt, wir verwenden keine Agenturkürzel, das sieht unser CMS nicht vor, dann wäre es eben geboten, und das ist jetzt neu, zu schreiben "dpa zufolge" oder "laut dpa".
Das finde ich nur fair, dass der Leser erfährt: Das ist eine Information, die von einer Nachrichtenagentur stammt. Das hat die SZ offenbar etwas lax gehandhabt, möchte ich sagen, und das hat die Frau Föderl-Schmid systematisch nicht gemacht. Und das finde ich nicht in Ordnung.
Immer wieder Versatzstücke
Die Frau Föderl-Schmid hat sozusagen ein Privileg für sich in Anspruch genommen, dergestalt, dass sie sagt: Ich muss es dem Leser nicht sagen, welche Absätze von mir aus einer Nachrichtenagentur stammen. Das ist mitentscheidend; wobei es ja nicht nur Agenturquellen waren, muss man sagen.
Es waren auch Quellen wie Die Welt und die taz immer wieder, es waren Quellen wie der Spiegel. Sie hat auch Textversatzstücke, natürlich immer nur Sätze genommen, nie ganze Absätze eins zu eins, das muss ich wieder zur Entlastung auch klar sagen. Aber das waren Quellen, die nicht zurückführbar waren auf Agenturtexte, das hat die Kommission auch gesehen.
Wer kann Prüfung übernehmen?
▶ Nun gab es über solche Kommissionen immer mal wieder in unterschiedlichen Kontexten Diskussionen, gerade was die Vergangenheitsaufarbeitung betrifft. In dem Fall geht es jetzt um Plagiate. Wer sollte denn Ihrer Meinung nach berechtigt sein, Plagiate im Journalismus zu untersuchen und zu bewerten? Sollte es hier interne oder externe Kommissionen geben?
Stefan Weber: Da ist einmal als Erstes dieser, ich hoffe, ich sage es jetzt als Österreicher richtig, der Deutsche Presserat natürlich gefordert. Also wir haben in Österreich auch einen Presserat, ich weiß nicht, ich glaube, in Deutschland heißt er genauso. Ich habe diesen Kodex durchgelesen. Der ist ähnlich schwammig wie der Kodex in Österreich.
Also das heißt, wir benötigen natürlich einmal Regeln im Umgang, sage ich jetzt einmal so, mit Versatzstücken, mit Textversatzstücken, die digital verfügbar sind, um es jetzt einmal die ganz große Klammer zu machen.
Da hat man einfach was übersehen. Aber das ist in Österreich auch nicht geregelt. Also ich sage jetzt einmal, da fangt es einmal an: Wenn man sich hier nicht zu Regeln durchringen kann, dann kann natürlich auch keine Kommission das objektiv überprüfen, dann wird es immer wieder zu Tricksereien und zu Zurechtbiegungen kommen, wie eben im Fall Föderl-Schmid geschehen.
In Deutschland "müsste man was machen"
Das heißt, man muss da wirklich ganz oben anfangen und sagen: In diesen Kodex des Deutschen Presserats müssen einfach hier ganz klare Regeln rein. Zum Umgang mit Agenturmaterial, aber auch zum Thema Zitat und Plagiat.
Beim Thema Suizidberichterstattung – wie gehe ich dabei mit direkten Zitaten um, also mit Interviewzitaten –, da gibt es ja sehr genaue, elaborierte Regeln.
Aber es gibt eben keine Regeln zur Frage, was ist eigentlich, wenn ein Journalist bei der Welt einen Absatz liest – darf er den dann übernehmen, muss er den umschreiben, was macht er mit Material, das er anderswo rezipiert hat?
Dazu braucht es einfach klare Regeln und wenn man diese Regeln hat, dann erst kann, wer auch immer, überprüfen. Das wäre dann wahrscheinlich ohnehin auch beim Presserat anzusiedeln, oder bei einer Landesmedienanstalt. (…) Da müsste man halt in Deutschland etwas machen.
Der Podcast erscheint mit dem zweiten Teil am morgigen Dienstag auch auf unseren Kanälen bei Youtube, Audible und Spotify.