Play it again, Sam!

Activision Anthology - Es sind nicht die Klassiker, die am beredtsten Zeugnis von ihrer Zeit abgeben

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In Klassikern steckt, per definitionem, zu viel Allgemeinverbindliches, über den Moment hinaus Gültiges. In ihnen entdeckt man zu sehr das immer wieder, immer noch Aktuelle. Sie können sich ein gutes Stück weit befreien von ihrer Herkunft. Wer wirklich einen Blick zurück tun will in vergangene Epochen und sehen, was diese einzigartig gemacht hat, was nur sie auszeichnete und nur in ihrem Kontext zu verstehen ist, der ist besser beraten, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die mit diesen Epochen aus dem Bewusstsein verschwunden sind. Nicht auf Mozarts "Entführung aus dem Serail" sondern die von Johann André, nicht auf Thomas Mann sondern Rudolf Hans Bartsch, nicht auf Fritz Lang sondern Hanns Beck-Gaden. Nicht auf PITFALL sondern LASER BLAST.

ACTIVISION ANTHOLOGY für die Playstation 2 ist keine dieser üblichen Retro-Spielesammlungen, in die zwei, drei Evergreens gepackt wurden und ein gleicher Anteil an obskuren Titeln. ACTIVISION ANTHOLOGY ist eine emulierte Komplettausgabe ALLER Spiele, die aus dieser legendären Schmiede je für den Konsolen-Urvater Atari VCS 2600 auf Module gebrannt wurden - the good, the bad and the ugly. (Inklusive zweier wiederentdeckter, unveröffentlichter Titel - 48 Spiele insgesamt.) Mithin eine Gesamtschau auf ein entscheidendes Kapitel Videospielgeschichte, eine fast schon historisch-kritische Edition, die mehr leistet als das, was bisherige Game-Kompilationen zum Ziel hatten: Ein bisschen die Nostalgie von Video-Veteranen zu kitzeln und dabei den Publishern leicht verdientes Geld in die Kassen spülen.

Das Fehlen einer redaktionellen Vorauswahl lässt einen viel ungefilterteren Blick in die Vergangenheit zu. Einen, bei dem nicht von vornherein das Gefühl von "Ach, war das damals schön!" dominiert, mit nur einer kleinen, amüsanten Prise von "Ach, so was mochte man damals?". In diesem Komplett-Panorama ist nicht schon aussortiert oder an den Rand gedrängt, was den test of time nicht bestand, was vergessen wurde und keine Fortsetzung fand, keine Nachfolger zeugte. Es wendet die Augen nicht ab von der grausamen Tatsache: Vieles von der Vergangenheit versteht man einfach nicht mehr.

MEMORY IS TREACHERY

Ähnliches konnte man zuletzt erleben, als ein Privatsender damit begann, spät nachts alle Folgen der deutschen Ur-Musikvideo-Sendung "Formel Eins" zu wiederholen. Das war eine vergleichbare Reise in so ziemlich die selbe Zeit, und auch da konnte man nicht ohne Schrecken feststellen, wie trügerisch die Erinnerung ist. Wie sehr sie sich allein an dem festhält, das sie einbaut in die Lebensgeschichte, die wir uns selbst im Kopf schreiben, voll schöner Entwicklungslinien, voller Sinn, Zweck und Konsequenz. Nostalgie ist die (nur leicht bitter-)süße, wohlige Erinnerung an das Geliebte und die Wiederbegegnung mit ihm im Schein einer glorifizierenden Distanz. (Bei ACTIVISION ANTHOLOGY ausgelöst z.B. durch PITFALL, RIVER RAID, DECATHLON.)

Dann gibt es das Halberinnerte, das beim Wiedersehen zurück kommt ins Gedächtnis; das manchmal etwas peinlich berühren mag, das dann aber mit Humor, aus überlegener Warte eines weiser Gewordenen belächelt wird (BARNSTORMING, SEAQUEST, DEMON ATTACK). Was hier aber passiert, was wirklich schockieren und ins Mark treffen kann, das ist die Konfrontation mit dem völlig Vergessenen, möglicherweise Verdrängten, mit dem gänzlich fremd Gewordenen. Die Dinge, von denen man per Deduktion definitiv WEISS, dass man sie damals wahrgenommen haben muss, die aber beim besten Willen kein Gefühl des Wiedererkennens hervorrufen.

All die Ansätze, die nie gefruchtet haben, die Hoffnungen, die sofort enttäuscht wurden, die ins Leere gegangenen Anstöße, die Sackgassen kultureller Evolution; all das Epigonale und Unbedeutende, das nur Modische und Kontingente, das den größten Raum eines jeden Zeitalters ausfüllt, ohne es in der Rückschau je zu prägen (FROSTBITE, OINK!, PRIVATE EYE). Es sind Dinge, die einst Teil von einem selbst gewesen sein müssen, die aber vergessen, verstoßen, abgelegt, abgestorben sind. Es sind Dinge, die uns bei der Wiederentdeckung beweisen, wie weit wir uns von uns selbst entfernen über die Jahre, wie fadenscheinig unsere mentalen Biografie-Fiktionen sind, wenn sie Dominanz der Kontinuität vorgaukeln.

ZIMMER MIT AUSSICHT FÜR BLICKE ZURÜCK

Es ist eine veritable Kammer der Erinnerung, in der sich ACTIVISION ANTHOLOGY abspielt: Die Bildschirmnachbildung einer Ecke, wie sie sich in einem Teenager-Zimmer der frühen 1980er hätte finden können. Nur eine Ecke, wohlgemerkt - nie sehen wir mehr von diesem Zimmer, erfahren nie, in was für einem Haus und wo es liegt, wer es bewohnt. Ein schönes, sinnfälliges Bild für den engen, klar begrenzten Ausschnitt, den diese Sammlung von Videospielen auch von seiner Ära repräsentiert. Und zugleich ein Rahmen für diese Sammlung, der eben deutlich macht, dass es um eine Reise zurück in der Zeit geht - dass nicht, wie bei anderen Game-Anthologien üblich, diese Spiele in unser Heute versetzt werden sollen, sondern wir in das Damals dieser Spiele.

Ein Fernseher steht auf einem Holztisch, im Hintergrund Blümchentapete, davor ein Atari VCS 2600 mit zwei Joysticks, daneben eine Coladose auf der einen Seite, ein Drehständer vollgepfropft mit all den Spielmodulen auf der anderen. An der Wand ein Korkbrett, um die durch Spielrekorde verdienten Abzeichen zu sammeln. Und unter den Einrichtungsgegenständen dieser virtuellen Jugendzimmerecke ist auch eine kleine Boombox. Weil die wenigsten der Spiele mehr Hörbares von sich geben als ein gelegentliches "blipp" und hie und da ein "pchhhh", kommen sie nicht groß in Konflikt mit nebenher laufender Musik.

Und da bietet ACTIVISION ANTHOLOGY eine Auswahl von 12 Songs, wie sie perfekter in den Kontext dieser Sammlung kaum passen könnte. Es sind, eh klar, Lieder aus der ersten Hälfte der 1980er - aber keine reine Parade der Evergreens, und auch kein musikarchäologisches Kompendium des Stilbildenden. Sondern eine Zusammenstellung, wie man sie plausibel in den '80ern selbst hätte im Radio hören können, auf einem Hit-Pop-Sender, bevor die Zeit ihr Urteil über diese Stücke gesprochen hatte. Zwei, höchstens drei der Titel dürften für die meisten Gamer, die überhaupt alt genug sind, persönliche Erinnerungen mit dieser Zeit zu verbinden, genug Flashback-Potential haben, dass sie - ganz unabhängig von musikalischem Ge- oder Missfallen dieser Stücke - für ein paar Sekunden aufs Spielen vergessen und mit glasigen Augen in den Abgrund der Vergangenheit starren. Soft Cells "Painted Love" schafft das bei mir, und "Take On Me" von A-Ha.

Dann gibt es Songs, die man noch immer ganz gut im Ohr hat und gern mal wieder hört, Blondies "The Tide is High" beispielsweise, "It's My Life" von Talk Talk. Schließlich aber sind da ein paar Stücke, bei denen die Frage nicht lautet "Erinnerst Du Dich noch?", sondern "Hat das damals überhaupt wer wahrgenommen?". Ich könnte nicht behaupten, jemals etwas gehört zu haben von den Missing Persons oder ihrem Song "Walking in L.A.", könnte aber genau so wenig schwören, dass er mir nie unter die Ohren gekommen und eben nur spurlos vorübergezogen wäre. Das ist ein Stück, wie es einfach nur in den '80ern entstehen konnte, das heute die Qualität hat eines kuriosen Artefakts einer verschollenen Kultur, das man mit Amüsement zur Kenntnis nimmt, aber nicht wirklich mehr verstehen kann. Mithin der absolut perfekte Soundtrack zu einem Spiel wie OINK!.

HISTORY LESSONS

Die Emulation der Spiele scheint tadellos, soweit sich das beurteilen lässt, ohne die Originale zum direkten Vergleich zur Hand zu haben. Und das PS2-Pad steht erstaunlich brauchbar ein für den alten Atari-Joystick - mit gewissen Einschränkungen: Für den Rüttelmarathon-Klassiker DECATHLON ist es alles andere als geeignet, und die Spiele, die einst für die Potentiometer-Steuerung der Joypaddles gedacht waren, leiden auch merklich - insbesondere KABOOM!. Dafür sind wirklich alle der Schalter an der Konsole virtuell bedienbar - inklusive des damals tatsächlich noch nötigen Umschalters für Schwarz-Weiß-Fernseher. (Die jüngeren Leser mögen ihre Eltern fragen, was das denn war.)

So sorgfältig, liebevoll und vollständig die ACTIVISION ANTHOLOGY also in aller sonstigen Hinsicht wirkt, ist es auf einer ganz pragmatischen Ebene schade, dass sie keinerlei Abriss der Geschichte von Activisions VCS 2600-Jahren enthält. Nicht einmal eine Handvoll Texttafeln finden sich zu diesem Thema, obwohl die Recherche und der Platz dafür sicherlich ohne Weiteres vorhanden gewesen wären. Bei aller Mühe, die sich die Designer dieser Sammlung gegeben haben, wäre es gewiss ein Leichtes gewesen, der Disc (oder auch nur der Bedienungsanleitung) noch ein paar Informationen beizugeben zur Unternehmenshistorie, zu Firmenentwicklung und -größe, zu Erfolgen und Flops, zum Aufblühen und Niedergang des Konsolen-Markts damals. Auf anderer Ebene freilich ist das Fehlen einer solchen ordnenden, strukturierenden master narrative eine Qualität dieser Anthologie. Denn es lässt die Spiele viel mehr für sich selbst sprechen; lenkt, verstellt nicht vorab den Blick. Es erlaubt viel besser, Entwicklungslinien selbst zu entdecken und herauszupicken, selbst einzuschätzen, welches gelungene und welches missglückte Titel sind.

Noch in einer weiteren Hinsicht ist ACTIVISION ANTHOLOGY konsequent im Versuch, nicht nur eine beliebige Ansammlung alter, emulierter Spiele zu sein, sondern quasi museale, enzyklopädische Präsentation eines kompletten Stücks Videospielgeschichte: Zu jedem der Spiele selbst gibt es digitalisierte, virtuell dreh- und wendbare Abbilder der Module selbst und ihrer Verpackung, sowie die Spielanleitungen. Ganz aus dem Gedächtnis verschwunden war mir, wie stark damals offensichtlich (zumindest bei Activision-Produkten) Videospiele als Autoren-Medium wahrgenommen wurden: Auf den Schachteln prangt der Name des jeweiligen Spieldesigners, und in den Anleitungen dazu ein Foto, kurze biographische Angaben, persönliche Anmerkungen und Hilfestellungen zum Spiel selbst, nebst einer Unterschrift. Ebenfalls vergessen hatte ich: Schon (?!?) damals war unter den besten Gameentwicklern eine Frau, Carol Shaw, gegen jedes Gender-Klischee auch ausgerechnet grandios debutierend mit einem der wenigen richtig militaristischen Spiele in diesem Fundus, dem Klassiker RIVER RAID.

REGENBOGEN-VIELFALT

Was dann beim Durchspielen der antiken Software-Schätze spontan verblüfft im Vergleich zum heutigen Videospielmarkt, ist die Themenvielfalt der auf ACTIVISION ANTHOLOGY versammelten Games. Eskimos, Hühner, Slapstick-Polizisten muss man steuern, Rinderherden mit dem Lasso einfangen, Käfer mit Blumentöpfen beschmeißen, Hamburger aus diversen Zutaten schichten. Die Spiele dieser Sammlung stammen aus einer Phase in der Entwicklung des Mediums, in der noch viel Experimentierfreude herrschte sowie die Rahmenbedingungen, diese auszuleben.

Die Entwicklung eines neuen Titels lief ungleich einfacher, schneller und billiger, war Arbeit weniger Monate einer einzigen Person. Entsprechend kleiner konnten noch die verkauften Stückzahlen sein, die ihn in die Profitzone brachten, und entsprechend weniger hing auch das Schicksal des gesamten Softwarehauses an Wohl und Wehen eines einzigen Spiels. Marketing-Abteilungen hatten noch wenig Entscheidungsgewalt über Inhalt und Aussehen der Spiele selbst, die Zielgruppen waren viel weniger eng definiert - Spielkonsolen hingen am Familienfernseher und waren damit zunächst auch potentiell Familienunterhaltung für alle.

Game-Genres waren eben erst dabei, sich herauszubilden. Sportspiele und Weltraumballereien sind die einzigen, die sich unter den frühen Activision-Werken deutlich abzeichnen. Aber selbst die Vertreter dieser Gattungen scheinen mehr auf der Suche nach dem Neuen, Besonderen zu sein als nach der technischen Perfektionierung einer Neuauflage des letzten Bestsellers. (Freilich muss man umgekehrt eingestehen, dass die Bandbreite der konkreten Spielprinzipien deutlich geringer ist, als die weite thematische Streuung suggeriert: Allein die Spiele, in denen sich irgendwelche Gruppen von Objekten in festen, horizontalen Bahnen über den Bildschirm bewegen und sie abgeschossen oder eingefangen werden müssen, ihnen ausgewichen werden soll, machen ungefähr ein Viertel der gesamten Sammlung aus.)

So eine Vielfalt an Szenarios war in gewisser Weise nur möglich, solange Videospiele eine ziemlich abstrakte "Kunstform" waren. Man ist gerne versucht, die audiovisuellen Aspekte älterer Spiele schlicht für überholt und unvollkommen zu halten, für Vorstufen, die in ihrem Herzen schon immer angestrebt haben, was erst später machbar wurde. Aber dass die technischen Gegebenheiten jeglichen Fotorealismus von vornherein ausschlossen, dass Grafik und Ton völlige Kunstprodukte mit nur Anflügen des Mimetischen sein mussten, gab auch viel Freiheit, erzeugte einen ganz eigenen, unwiederbringbaren Stil.

Viele gerade der wunderbar bizarr anmutenden Spiele wären praktisch undenkbar in jedem "realistischen" Stil. PLAQUE ATTACK, in dem man mit einer Zahnpastatube zwei spärliche Zahnreihen vor anfliegendem Fast Food verteidigt, ist nicht die imperfekte Abbildung eines existierenden Vorgangs, es ist eine Fantasie, die sich Elemente aus der echten Welt borgt, um sie in einer abstrakten Konfiguration neu anzuordnen. So ein Spiel würde um so absurder wirken, je wirklichkeitsgetreuer es sich an der Oberfläche gäbe. Der angebliche Fortschritt, den das Medium Games dank immer rechenstärkerer Hardwaregrundlage macht, hin zu immer naturalistischeren Welt-Bildern, ist zugleich ein Rückschritt, eine Verengung, weg von der selbständigen Neu- statt bloßer Nachschöpfung.

Die Vorspänne zu ACTIVISION ANTHOLOGY haben ein ebenso anschauliches wie witziges Bild dafür gefunden, dass diese Spiele mit ihrer vermeintlich "primitiven" Grafik eher eigene Welten schufen als reale abzeichneten: In schönstem, modernstem 3-D rennt und hüpft da Pitfall Harry durch die Gegend, kurvt der BARNSTORM-Flieger durch die Lüfte - und sind trotzdem, wie ihre Umgebung, noch immer aus den gleichen, klobigen Pixel-Klötzchen zusammengesetzt. So, als ob die alten Atari VCS 2600-Sprites nicht unvollkommene, grob-unbeholfene Versuche waren, z.B. einen Harrison Ford-ähnlichen, menschlichen Helden darzustellen, sondern perfekteAbbilder eines seltsamen Baustein-Universums, das dem unseren nur zufällig in den Umrissen ähnelt.

Selbst aber wenn man nicht an die Mär glaubt von der Perfektionierung eines Mediums, von der Entwicklung hin zu einer immer größeren Vollkommenheit, sondern überzeugt ist, dass kulturelle Artefakte immer nur ANDERS werden können, nicht BESSER: Man kann die Spiele dieser Sammlung für das schätzen, was sie in sich selbst sind, aber es fällt eben schwer, sie übertrieben ernst zu nehmen als auch nur halbwegs "naturgetreue" Abbildungen von Realität. Und befremdlicherweise haben viele der vertretenen Games offensichtlichen den Anspruch, genau das zu sein.

Das wird heute oft klarer aus den Texten der Spielanleitungen als aus den Spielen selbst - man kann aber davon ausgehen (und sich teilweise auch selbst erinnern), dass dieser "Realismus" (Anführungszeichen bitte noch dicker zu denken als üblich) bei der Erstveröffentlichung dieser Games durchaus direkt empfunden wurde. Dabei sind es wirklich stets nur Kleinigkeiten, oft (würden wir werten) nebensächliche, willkürlich herausgepickte Details, die da im Rahmen dieser knapp an der Abstraktion vorbeischrammenden Games auf eine wiedererkennbare Weise imitiert werden.

Man kann darüber lächeln, kann die damalige Zeit für naiv erklären - und sich dann in zwanzig Jahren mit Fug und Recht genauso belächeln lassen. Oder man kann daraus etwas lernen: "Realismus" ist pure Empfindungssache; der Mensch lechzt zumeist nur danach, auf ihn hereinzufallen; und je jünger, unvertrauter ein Medium ist, umso leichter kann es schon mit kleinen Mimesis-Erfolgen schwer beeindrucken.

SPIEL AUF ZEIT

Seltsam mutet heute auch generell die fehlende Rahmung der Spiele an: Es gibt keine Titel-Bildschirme, keine Menus, keine Game Over-Screens, und selbst bei den Sport-Games wird der Gewinner nicht vom Computer auf dem Fernsehschirm ausgerufen sondern wird nur vom Spieler selbst anhand der Punktzahlen festgestellt. Wie ein Buch ohne Cover, Impressum, Deckblätter wirkt das, wie ein Film ohne jeden Vor- und Abspann. Bedingt wurde das wohl zum Teil durch den arg begrenzten Speicherplatz, dem jedes Byte für das eigentliche Spielerlebnis abgerungen wurde.

Mehr noch aber ist es Ausdruck einer Ära, in deren Bewusstsein Videospiele nicht "Werke" waren, sondern Kreuzungen von Spielzeug und elektrischen Apparaten: Dinge, die einfach DA sind, die man jederzeit an- und ausschalten kann, von denen man keine Begrüßung und Verabschiedung erwartet. Dass wir das in dieser Anthologie aufgehobene Stadium des Mediums hinter uns gelassen haben, wird dann auch beim Spielen selbst spürbar: Man scheint sich enorm angepasst zu haben an Videospiele. (Ob als Individuum oder gesamter Kulturkreis wäre zu erforschen. So oder so ist es ein keineswegs nur beruhigender Gedanke zu erleben, dass Wahrnehmung und Verhalten sich von solch einer Maschinerie mechanisierter Unterhaltung offenbar stark haben strukturieren lassen.)

Jedenfalls erscheinen heute viele der Herausforderungen dieser Spiele als kinderleicht, die man erinnert, einst als sehr schwierig empfunden zu haben. Bei vielen Titeln dauert es nur Minuten, bis man jetzt das Gefühl hat, sie zu beherrschen; bei den wenigsten kann man sich ernsthaft vorstellen, mehrere Stunden mit ihnen zu verbringen ohne ihr Potential restlos erschöpft zu haben.

Was sich aber mehr als alles andere geändert hat an Videospielen ist etwas, das mit der Entwicklung der Hardware am wenigsten zu tun hat: Es ist ihr Rhythmus. Unglaublich zappelig erscheinen einem diese VCS 2600-Games heute. Alles huscht, wuselt und wurlt da auf dem Bildschirm, so schnell es nur kann. Und viel mehr als die fehlende grafische Finesse im Detail ist es genau dies, was die Spiele so fern allen Naturalismus erscheinen lässt. Der menschliche Wahrnehmungsapparat ist ein Instrument, das sehr stark auf Umrisse und Bewegungen anspricht, wenn es um die Identifizierung von Objekten geht. Ersteres bekommen diese frühen Games ganz gut hin, aber bei den Bewegungen wird sofort überdeutlich, dass hier die völlig eigenen Gesetze einer puren Pixelwelt gelten, dass hier nichts Masse, Gewicht, Volumen, Trägheit, Physis hat. Nicht, weil die Atari-Konsole das prinzipiell nicht - zumindest in Ansätzen - hätte simulieren können (der Ball in TENNIS, der Space Shuttle- und F14-Simulator sind Gegenbeweise). Sondern weil die Ästhetik der Videospiele damals eben eine ganz andere war.

Eine, bei der auch nicht nur die Bewegungen auf dem Bildschirm ein heute verblüffendes Tempo anschlugen: Vom Spielstart bis zum Game Over dauert es bei diesen Spielen oft kürzer, als man bei aktuellen Games benötigt, die ersten Schritte in ein Level zu tun. Auch das nicht primär eine Frage der Hardware-Voraussetzungen: Übermächtig war damals schlicht noch das Erbe der Arcade-Automaten, die den ersten Boom des Mediums in die Welt gebracht hatten. Ästhetik ist auch immer bestimmt durch's "Wer zahlt's?" und "Wie wird's gezahlt?", und die Münzmaschinen mussten da ja drauf bedacht sein, ihr Spielerlebnis möglichst kurz zu halten, so nah als geht an dem Punkt, für den Leute gerade noch bereit waren, überhaupt ein Geldstück zu opfern.

Es hat erstaunlich lange gedauert, bis den Designern richtig bewusst zu werden schien, dass für den Heimkonsolenmarkt andere Gesetze gelten können - bezahlt ist da bezahlt, egal wie lang man sich nachher mit dem Spiel vergnügt. PITFALL war da wiederum ein Meilenstein - es hat nicht nur seinen virtuellen Raum auf neuartige Weise zusammengesetzt, aus rund 250 vordefinierten Bildschirm"seiten", sondern hat auch die Spielzeit anders strukturiert, war - zarte Keime des Narrativen - angelegt als 20-minütiges Abenteuer. (Wenn's auch einiger Übung bedurfte, einmal wirklich so lange ohne vorzeitiges Bildschirm-Ableben zu spielen.)

Noch etwas fällt bald auf, beim Spielen der ACTIVISION ANTHOLOGY: Am ungnädigsten ist die Alterung gerade zu jenen Spielen, die bei ihrer Veröffentlichung vielen als über alle Maßen beeindruckend schienen. Es sind dies Titel, deren Ambitionen sich zu weit hinauswagten über die Grenzen der Hardware-Grundlagen, die dem VCS 2600 selbst, wie auch seinen Steuerungs-Interfaces, mehr abzuverlangen suchten, als sie noch souverän hergeben konnten. Das waren seinerzeit bestaunenswerte Demonstrationen dessen, was noch irgendwie geht auf so einer Maschine.

Aber aus heutiger Sicht sind sie unbefriedigend, sind verhunzte Visionen, die nicht warten wollten, bis sie sich wirklich angemessen hätten realisieren lassen. Da sind z.B. die Versuche, dem alten Atari einen Space Shuttle- und einen F14 Tomcat-Simulator abzutrotzen, mit räumlichen Cockpitausblicken, die knapp am Rande zur Unidentifizierbarkeit sind, mit ungelenker, weil viel zu viel Funktionen auf viel zu wenig Knöpfe verteilender Joystick- und Schalterbelegung (die jetzt durch die Emulation wenigstens auf einem Gamepad vereint ist - damals musste man noch die Hebel an der Konsole selbst mit bedienen). Oder COMMANDO, gegen Ende des kommerziellen VCS 2600-Lebens erschienen, das so verzweifelt wie vergeblich versucht, zu den grafischen Leistungen der Spielautomaten, neuen Konsolen und Heimcomputer aufzuschließen, die zu dem Zeitpunkt erste Spatenstiche am Grab von Atari taten.

Das sind Spielkonzepte, die seither (und meist nur wenig später) Umsetzungen gefunden haben, die das Wesentliche an ihnen nicht aufgrund der technischen Gegebenheiten kompromittieren mussten. Es fällt schwer, den halbgaren Vorstufen jetzt noch viel abzugewinnen außer historischem Interesse. Diese unfertigen Realisierungen wirken heute, als hätte jemand versucht, MY DINNER WITH ANDRÉ als Stummfilm zu drehen - klar wäre das gegangen, mit circa tausend Zwischentiteln, aber es wäre eben ein frustrierendes Leinwand-Buch geworden, das sichtlich schreit danach, Dialoge hörbar zu machen. Umgekehrt haben die Spiele, die sich mit den technisch vorgegebenen Limitierungen abfanden, arrangierten, sie sogar nutzbar machten, fast ebenso wenig Bedarf an mehr Rechen-, Grafik-, Soundleistung wie ein CABINETT DES DR. CALIGARI eine Tonspur braucht. Sie sind Ausformulierungen einer Idee, die ihre passende Sprache gefunden hat.

"TIME IS JUST MEMORY, MIXED WITH DESIRE" (TOM WAITS)

Man kann überhaupt die ACTIVISION ANTHOLOGY nicht auf ehrliche Weise loben, ohne zu beschreiben, welch Enttäuschung sie auch birgt. Ohne dass sie anders könnte: Es ist eine Enttäuschung, die in der Natur einer solchen Sammlung unausweichlich angelegt ist. Zumindest für alle, die jene von ihr repräsentierte Ära des Mediums bewusst miterlebt haben.

Ich hatte selbst nie einen Atari VCS 2600, aber ich habe mir immer einen gewünscht. (Habe dann jedoch, nach dem Bestaunen von SPACE INVADERS und ASTEROIDS-Automaten und dem Besitz eines dieser mit diversen PONG-Varianten festprogrammierten "Telespiele" meine Gamer-Karriere so richtig auf Commodore VC-20 und C 64 gestartet.) Ich habe bei Freunden und in Läden jede Gelegenheit wahrgenommen, an einer dieser (damals) Wundermaschinen zu spielen, habe vor allem Werbungen, Kataloge zu den erhältlichen Spielen wieder und wieder studiert, mir aus den Screenshots, den Verpackungsbildern, den Beschreibungen die Spielerlebnisse zusammen fantasiert.

Wie es ähnlich selbst stolzen Besitzern dieser Konsole ergangen sein muss, wenn sie von Spielen geträumt haben, die noch nicht erschienen waren oder deren Erwerb den Budget-Rahmen gesprengt hätte. ACTIVISION ANTHOLOGY umfasst immerhin einen Zeitraum von über vier Jahren; eine Dauer, die damals als langwierige Entwicklung schien - während der man immer wieder gespannt war auf das Neue, das Nächste, dann von ihm überrascht, begeistert. Monate des Wartens, des Hoffens und Fieberns, und bei jedem Spiel, das man sich schließlich zulegte, dann zumindest Wochen der Beschäftigung damit. Nun hat man hier alle Activision-Spiele, von denen man damals träumte, alle, die einen halbwegs interessierten, und alle, die einem völlig egal waren, auf Knopfdruck in Sekundenschnelle zur Verfügung. Und wie bei allem einst Begehrten, das man nicht nur erlangt sondern MÜHELOS und in völligem ÜBERFLUSS bekommt, verfliegt damit schnell alle Aufregung und ein großer Teil des Reizes.

Die Entwickler von ACTIVISION ANTHOLOGY müssen eine ganz gute Ahnung davon gehabt haben, dass die VCS2600-Games allein heute ein gewisses Gefühl von Leere zurücklassen würden. Sie haben sich um Extras bemüht, die einerseits den Eindruck eines angemessen reichhaltigen, zufriedenstellenden Gesamtpakets fördern. Und andererseits, um freigeschaltet zu werden, eine gewisse Beschäftigungsdauer mit den einzelnen Spielen abverlangen, also Anreiz sind, die versammelten Titel nicht zu vorschnell als uninteressant abzustempeln, ihnen eine faire Chance zu geben.

Zum einen Teil sind diese Extras mehr Futter für die Nostalgie: Eine Handvoll Original Werbespots, die eine eigene sozio-kulturelle Studie wert wären. (Und wer sich die '80er zurückwünscht, der möge sich bitte, bitte zuerst ein paar Mal den Spot zu MEGAMANIA zu Gemüte führen! The Horror, the Horror!) Faksimiles der Aufnäher, die man einst von Activision bekommen konnte, wenn man bei bestimmten Spielen gewisse Highscores erreichte und davon ein Bildschirmfoto einschickte. (Nein, wirklich, das gab's. Überhaupt: Leute mit Jacken voller Aufnäher. Traurig, aber wahr.)

Zum anderen Teil aber sind es neue Modi der Bildschirmdarstellung, die man freispielen kann. Da fährt dann die PS2 mit dem emulierten Grafik-Output des Atari VCS 2600 Schlitten: Spannt ihn auf die Seiten drehender Würfel, wirbelt ihn herum, streckt ihn, staucht ihn, dehnt ihn, karussellt ihn um alle Achsen, taucht ihn in ein Wolkenmeer oder schippert ihn durch den Sternenhimmel, schickt ihn in die Disco. Man kann durchaus versuchen, Spiele auch in diesen Darstellungen zu meistern - man kommt sich dabei allerdings vor wie ein Proband in einer Experimentalreihe kognitiver Psychologen; verschärfte Versionen des Versuchs-Klassikers mit den Umkehr-Brillen. (Auch sie mit der Erkenntnis, dass die Wahrnehmung wirklich verblüffend anpassungsfähig ist.)

Zugleich aber hat diese Angelegenheit etwas geradezu Metaphorisches. Ist sinnfälliges Bild der Verzerrung, Fragmentierung, Verfremdung historischer Artefakte: Das einst fest Gefügte, Integere, Eigentliche ist durch den Fortgang der Zeit zum Spielobjekt geworden, schimmert nur noch durch, ist Ansammlung haltloser Einzelteile. Mal wird es dadurch spektakulärer, mal fast unsichtbar, und oft einfach nur fremd. Was es "wirklich" war, entgleitet, an seine Stelle tritt ein Bild, dem es nur noch als Ausgangsmaterial dient. Auch wenn die Programmierer der Anthologie (die, lässt man sich drauf ein, überhaupt mehr auslösen kann, als man einer harmlosen Videospielsammlung rechtmäßig zugestehen würde) ziemlich sicher nie solch hochfliegende Absichten hatten: Es ist ihnen mit diesen Darstellungsmodi in gewisser Weise auch ein Bild für das Funktionieren unserer Erinnerung gelungen.