Pleitewelle: Wenn Insolvenz zum Geschäftsmodell wird
Die Pleitezahlen steigen drastisch. 22.400 Firmen meldeten 2024 Insolvenz an, ein Plus von 24 Prozent. Doch für manche Manager ist die Pleite ein lukratives Geschäft.
Die Zahl der insolventen Firmen steigt. Bislang meldeten rund 22.400 Unternehmen ihre Zahlungsunfähigkeit, einen Anstieg von 24,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr meldet der Inkassodienstleiter Creditreform.
Bei einer Insolvenz ist ein Unternehmen nicht mehr in der Lage, die finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen. Dies kann bedeuten, dass die Firma Schulden nicht begleichen kann oder das Vermögen nicht ausreicht, um seine Verbindlichkeiten zu decken.
"Ist ein Unternehmen nicht mehr zahlungsfähig, wird im Insolvenzverfahren darüber entschieden, ob es noch eine Zukunft hat oder nicht. Grundsätzlich gilt: Eine Insolvenz soll in erster Linie die Möglichkeit bieten, eine Firma zu sanieren und neu aufzustellen", betont Creditreform.
Die schlechte Wirtschaftslage macht sich in einem deutlichen Anstieg der Zahlungsausfälle bemerkbar, meldet der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). "Immer mehr Unternehmen geht die Luft aus", meldet die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK).
Insolvenz mit Vorteilen für die Manager
Dass eine Insolvenz auch Gewinner haben kann, bleibt bei diesen Meldungen offen. Oft beantragen Unternehmenseigner ein "Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung". Die Eigenverwaltung ist kein eigenes Verfahren, sondern eine Sonderregelung zur Verwaltung des Vermögens des Insolvenzschuldners.
Der Vorteil aus Unternehmenssicht: Die Geschäftsführung wird nach der Pleite nicht durch einen Insolvenzverwalter ersetzt, vielmehr bleibt sie in ihrer Funktion und führt weiter die Geschäfte. Bei der Kanzlei BBR Buchalik Brömmekamp Rechtsanwälte heißt es dazu:
Gemeinsam mit dem Sanierungsberater wird das geballte Know-how genutzt, um das Unternehmen wieder konkurrenzfähig am Markt zu platzieren. Es gibt keinen (vorläufigen) Insolvenzverwalter, der die Geschäftsführung "entmündigt". Der vom Gericht eingesetzte (vorläufige) Sachwalter übt lediglich eine Überwachungs- und Kontrollfunktion aus und steht der Geschäftsleitung darüber hinaus ebenfalls beratend zur Seite. Ziel der Sanierung ist der Erhalt des Unternehmens!
Einige Monate nach Eröffnung des Verfahrens findet eine Gläubigerversammlung statt, in der den Gläubigern ein Insolvenzplan vorgestellt wird. "Zeit ist Geld!", betont die Kanzlei. Weiter heißt es:
Ein weiterer Vorteil stellt die Kürze der Verfahren dar, die im Normalfall auf sechs bis sieben Monate begrenzt werden kann. Dieser Umstand wirkt sich zudem positiv auf die meisten Geschäftsbeziehungen aus.
Meist gingen Unternehmen "deutlich gestärkt aus dem Eigenverwaltungsverfahren hervor, denn die Passivseite der Bilanz wird durch die Verzichte der Gläubiger erheblich optimiert".
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So überrascht es kaum, dass die Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung immer häufiger durchgeführt werden. "Grundsätzlich gilt: Eine Insolvenz soll in erster Linie die Möglichkeit bieten, eine Firma zu sanieren und neu aufzustellen", erläutert Creditreform.
In der Öffentlichkeit werden selten die Vorteile der Unternehmenseigner bei diesem Insolvenzverfahren thematisiert. Löhne muss das Unternehmen zunächst nicht zahlen, die werden über Insolvenzgelder durch die Agentur für Arbeit finanziert: "Insolvenzgeld wird einmalig für die letzten drei Monate vor Eintreten der Insolvenz gezahlt", erklärt die Bundesagentur für Arbeit.
Druck auf die Belegschaft durch den Insolvenzantrag
Personalreduzierung ist derzeit ein großes Thema. Ob Bosch, Bayer, Continental, SAP oder Volkswagen – in vielen Unternehmen werden Stellen abgebaut. "Teils liegt es an der mauen Auftragslage, teils an Management-Fehlern in der Vergangenheit, teils sind es Begleiterscheinungen der Transformation, in der die Betriebe stecken", meldet haufe.de.
Gegenüber der Belegschaft kann in einer Insolvenz massiv Druck ausgeübt werden. Denn für Entlassungen nach der Insolvenzeröffnung ist gemäß § 113 Insolvenzordnung die Kündigungsfrist auf drei Monate verkürzt.
"Die Insolvenz selbst ist tatsächlich kein Kündigungsgrund! Die Insolvenz kann jedoch Anlass geben für eine betriebsbedingte Kündigung, etwa wenn keine Beschäftigungsmöglichkeiten mehr für Arbeitnehmer bestehen", erklärt Daniel Frick, Fachanwalt für Arbeitsrecht, und betont: "Auch in der Insolvenz gilt das Kündigungsschutzgesetz".
Will das Unternehmen jedoch einen Geschäftsbereich aufgeben oder reduzieren, können über diese Vorgabe in kurzer Zeit Arbeitsplätze abgebaut werden. In der Praxis nutzen Personaler oft die hektischen Tage der Insolvenzeröffnung und legen Beschäftigten Verzichtserklärungen zur Unterschrift vor. Oder Kanzleien entwerfen im Auftrag des Unternehmens "Nachträge zum Arbeitsvertrag", mit denen der Lohn gekürzt, die Arbeitszeit verlängert oder Urlaubstage reduziert werden.
Auch gegenüber Betriebsräten gibt es Sonderregelungen im Unternehmensinteresse. Das Gesamtvolumen von Sozialplänen in der Insolvenz ist auf maximal bis zu 2,5 Bruttomonatsverdienste aller betroffenen Arbeiter begrenzt, das Hinzuziehen der Einigungsstelle zur Vermittlung beim Interessenausgleich ist zeitlich stark reglementiert.
Das Insolvenzverfahren bietet dem Unternehmen darüber hinaus größere Spielräume bei Verhandlungen mit seinen Gläubigern. So können Vermieter unter Druck gesetztwerden, die Miete zu senken. Zulieferer können mit dem Drohszenario, zukünftig könnten keine Lieferungen mehr erforderlich sein, zum Einlenken gebracht werden. Der Antrag auf Insolvenz muss bei einem Gericht gestellt werden.
Dieses entscheidet, ob die Insolvenz in Eigenverantwortung zulässig ist. Dabei entstehen oft enorme Beratungskosten, sodass die Gefahr einer kostenträchtigen Nebeninsolvenzverwaltung besteht. Mittlerweile haben sich einige Wirtschaftskanzleien auf die Verfahren in Eigenverwaltung spezialisiert. Diese dürfen sich immer als Gewinner einer Insolvenz sehen.
Für die Belegschaften stellt sich dagegen die Frage, auf wie viel Lohn sie verzichten müssen. Für Beschäftigte gibt es die Empfehlung, auch bei Insolvenz weiterzuarbeiten. "Grundsätzlich bleibt der Anspruch auf Lohn oder Gehalt bestehen, auch wenn einzelne Lohn- und Gehaltszahlungen ausbleiben. Diesen Anspruch auf die noch nicht erfolgte Lohn- oder Gehaltszahlung verlieren Sie, wenn Sie zuhause bleiben", erläutern Kern + Peters Rechtsanwälte.
In der Praxis wird vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens Lohn nur teilweise oder gar nicht gezahlt. Arbeitende können rückständige Forderungen, die mehr als drei Monate zurückliegen und vor der Insolvenzeröffnung entstanden sind, als Forderungen anmelden. Vielleicht erhalten sie so einen Teil des Lohnes nachgezahlt.