Polen: "Alles Propaganda, was man gegen uns sagt"
Der rechte Unabhängigkeitsmarsch in Warschau: "Gott, Ehre, Vaterland". Die nationalkonservative PiS gerät von rechts unter Druck
Böller krachen auf dem Domaniewski-Rondell in Warschau, Rauchschwaden hängen über den rotweißen Fahnen, Flaggen mit Marienbildern und denen der Rechtsaußen-Organisationen. Dann betet von einem Lastwagen ein Priester via Lautsprecher einen Rosenkranz, viele beten mit. Es folgt die Nationalhymne die Menge skandiert bei Bengalenfeuer "Gott, Ehre, Vaterland!" Auftakt des Unabhängigkeitsmarsch in der polnischen Haupstadt am Montag mit 47.000 Menschen Teilnehmern.
"Alles Propaganda, was man gegen uns sagt, wir wollen hier für ein selbstbewusstes Polen demonstrieren", meint eine ältere Dame zusammen mit ihren Söhnen.
"Es ist ein Marsch des Hasses"
Zum polnischen Unabhängigkeitstag am 11. November dominierte wieder der rechte Unabhängigkeitsmarsch die polnische Hauptstadt. Am 11. November 1918 rief der militärische Befehlshaber Jozef Pilsudski in Warschau die Republik aus, Polen erlangte somit nach 123 Jahren wieder seine Staatlichkeit. Russland, Preussen und Österreich hatten sich das Königreich Ende des 18. Jahrhunderts untereinander aufgeteilt.
Der Unabhängigkeitstagmarsch organisiert vom "Nationalradikalen Lager" (ONR) und der "Allgemeinpolnischen Jugend" (MW) und deren Parteiarm "Nationale Bewegung" (RN) kann seit einigen Jahren im Zentrum Warschaus stattfinden, trotz Proteste liberaler und linker Stimmen im In- und Ausland.
"Es ist ein Marsch des Hasses und hat nichts mit dem Unabhängigkeitstag zu tun, für den Polen und auch die damaligen Minderheiten gekämpft haben", so auf Anfrage Damian Wutke, Sekretär der polnischen Vereinigung "Offene Republik", die sich gegen Rassismus einsetzt. Besonders laut war es um den Aufmarsch 2018 geworden.
Anziehungskraft auf Extremisten
Es war der 100. Jahrestag der Unabhängigkeit und Regierungsmitglieder wie auch Staatspräsident Andrzej Duda waren zusammen mit Rechtsaußen und insgesamt 200.000 Teilnehmern durch Warschau gezogen. Dazu hatten sich auch Neonazi-Organisationen angemeldet. Der Aufmarsch gilt europaweit als Manifestation von Nationalismus und zieht entsprechende Extremisten aus dem Ausland an.
"Kümmere Dich um die ganze Nation" hieß das Motto der Organisatoren dieses Jahr, ein Auszug aus einem alten polnischen Marienlied, ein gereckte Faust mit einem Rosenkranz demonstriert die martialische Auffassung von Tradition und Kirche, wogegen das Episkopat protestiert hatte.
Viele der Teilnehmer trugen die Zahl 447 mit einem Verbotszeichen - die Nummer eines seit einem Jahr in Kraft getretenen US-Gesetzes, das die Entschädigung von enteigneten Juden während des Holocausts umsetzen soll, vor allem Polen ist hiervon betroffen
Ein älterer Herr mit Schiebermütze, der sich mit Demonstranten fotografieren ließ, die Protestbanner ("Raub!") hielten, wird auf Anfrage deutlich: "Die Deutschen, die Franzosen, die Briten und die Juden wollen doch Polen dominieren, sie wissen genau, was gespielt wird!" Auch dass es bei der liberalen Opposition einige deutsche Nachnamen gebe, sage doch alles, meint der pensionierte Techniker.
Feind ist die LGBT-Bewegung
Auch sonst ist man gegenüber Fragestellern aus dem Westen eher kurz angebunden. Die Negativberichte in der internationalen Presse sind bekannt. Ein weiterer Feind ist die LGBT-Bewegung, eine Art versteckter Kommunismus, wie man aus einem Lautsprecher erfährt. Eine Regebogenfahne soll verbrannt worden sein.
Eine Gegendemonstration von einigen hundert Linken fand weiter südlich in Warschau statt, einige hängten einen Banner mit dem Wort "Verfassung" an der berühmten Plastikpalme auf dem Rondell de Gaulle auf und wurden von der Polizei weggedrängt. Eine Kritik an der Justizreform der nationalkonservativen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS).
Diese rief diesmal nicht zu dem Marsch auf, das Staatsfernsehen TVP Info berichtete sehr wohlwollend und zeigte vor allem Familien und ließ diese zu Wort kommen und keine stämmigen jungen Männer, die den Marsch dominierten. Nicht gesendet wurden auch Parolen vom "roten Gesindel‘ oder vom Schwenken der Keltenflagge.
Eine Vertretung im Parlament
Die Anhänger des Marsches haben seit dem gestrigen Dienstag eine Vertretung im Sejm: Bei den Parlamentswahlen am 13. Oktober, bei der die PiS erneut gewann, schaffte das diesjährige gegründete radikale Wahlbündnis "Konföderation" mit sechs Prozent den Zugang zu Sitzplätzen im Parlament.
Im Programm der Kleinparteien wird die Einführung der Todesstrafe gefordert, soll die Migration von Nicht-EU-Bürgern sowie Demonstrationen von Homosexuellen verboten werden.
Somit wird die nationalkonservative PiS von rechts unter Druck gesetzt. Wie sie darauf reagieren wird, ist noch offen. Das Aufnehmen einer katholischen Initiative, die Sexualkundeunterricht unter Strafe zu stellen will, durch die PiS scheint jedoch darauf hinzuweisen, dass die Nationalkonservativen mit den radikalen Forderungen erstmal in Wettbewerb treten.