Polen: Rechter Rand darf in die Mitte
Zum "Unabhängigkeitsmarsch", mit dem die polnische Staatsgründung gefeiert werden soll, überließ die PiS-Regierung rechtsextremen Nationalisten die Straßen
Das Knallen, das schon deutlich zu vernehmen war, bevor man das Warschauer U-Bahn-Station "Centrum" verlassen konnte, machte deutlich, wer in dem Ringen um den 11.11. die Oberhand gewonnen hattee - es waren die Nationalisten und nicht das Regierungslager. Schon um 13 Uhr detonierten an diesem Sonntag die Böller auf dem Platz zwischen Kulturpalast (ein Geschenk von Josef Stalin) und dem Dmowski-Rondell (eine Reminiszenz an den polnischen Nationaldemokraten Roman Dmowski).
Die Menschen, oft dunkel gekeidet, trugen rot-weiße Fahnen, aber auch andere, dabei sollten allein Nationalflaggen erlaubt sein, und Böller schon gar nicht. "Schnell und rücksichtlos", so der Kanzleichef des Premierministers, würde durchgegriffen bei Regelverstößen, doch die Polizei ist weit und breit nicht in Sicht.
Dabei sollte dieser Tag ein wirkliches Fest werden. Vor hundert Jahren, am 11.11. 1918, übernahm Marschall Jozef Pilsudski den Oberbefehl über die polnischen Streitkräfte, das Datum gilt als Wiedererlangen der Staatlichkeit nach 123 Jahren Aufteilung zwischen Russland, Preussen/Deutschland und Österreich.
Doch seit 2009 veranstalten die Nationalisten den "Unbhängigkeitsmarsch", und sie bekommen Aufwind durch die Angst in Polen vor Flüchtlingen aus dem Nahen Osten und der Laissez-Fair-Politik der regierenden Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS).
Seit 2016 dürfen sie den Marsch durch die Jerusalem-Allee führen, eine der wichtigsten Straßen der Hauptstadt. Dabei ziehen die Ausrichter, die "Allpolnische Jugend" (MW) und das "Nationalradikale Lager" (ONR), die in den 30er nach dem Vorbild der spanischen Falange entstanden, immer mehr Radikale aus anderen Ländern an. Im vergangenen Jahr gab es darum üble Schlagzeilen in internationalen Medien, da 60.000 mit Parolen von der "weißen Rasse" und verbotenen Zeichen durch das Zentrum der Hauptstadt zogen.
Bis zum Sonntag herrschte über den "Unabhängigkeitsmarsch" Unklarheit
Die nationalkonservative Regierung versprach, die Verantwortlichen zu bestrafen, es geschah jedoch nichts. Vielmehr warb die regierende Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) bis Ende Oktober, sich dem Unabhängigkeitsmarsch anzuschließen. Dann verkündeten die Regierungssprecherin und der Präsident den Ausstieg: Man habe sich mit den Ausrichtern nicht einigen können, nur weiß-rote Flaggen zu verwenden. Inoffiziell wurde kolportiert, dass der Anmarsch von Rechtsradikalen aus vielen Ländern bis hin zu Südafrika der Regierung dann doch zu mulmig wurde.
So sollen sich Vertreter der Neo-Nazi-Organisation "Blood and Honour", die italienische Forza Nuova für Konferenzen und ein Konzert am Vortag für eine geschlossene Veranstaltung angemeldet haben. Die Verbreitung von Faschismus ist auch in Polen verboten.
Darauf erwirkte die Bürgermeisterin Hanna Gronkiewicz-Waltz, sie gehört der liberalen "Bürgerplattform" (PO) an, am vergangenen Dienstag ein Verbot des Marsches und die Regierung rief einen eigenen aus, bei dem gegen verbotene Zeichen "schnell und rücksichtslos durchgegriffen" werde. Doch die Ausrichter klagten erfolgreich, das Gericht hob das Verbot am Donnerstag auf, so dass sich Nationalisten und die Regierung auf einen gemeinsamen Umzug einigten, über dessen Modalitäten bis zum Sonntag Verwirrung herrschte. Die USA wie Kanada haben bereits Reisewarnungen bezüglich Polen ausgesprochen. Sollten etwa Panzerwagen die beiden Märsche trennen, fragte ein Nachrichtenportal.
Das war dann doch nicht der Fall, die Radikaltouristen aus anderen Ländern gab es aber durchaus. An diesem Tag hatten nicht allein Polen die rot-weiße Armbinde umgebunden (die ursprünglich die Kämpfer des Warschauer Aufstands 1944 trugen). Auch drei Schweden um die vierzig hatten sie an den schwarzen Jacken. Sie seien von Freunden aus Polen eingeladen worden. Ob sie auch die polnischen Nationalisten unterstützen wollen? "Dazu geben wird Dir keine Auskunft", meint einer unfreundlich.
"Gott, Ehre, Vaterland"
Zwei Stunden vor Beginn des Marsches dominierten die Rechtsextremen das Dmowski-Rondell, die Fahnen der ONR und MW wehten verbotenerweise. "Gott, Ehre, Vaterland", das Motto des diesjährigen Marsches, wurde skandiert.
Sharon Binks, ebenfalls mit der weiß-rote Armbinde versehen, sprach mit einem Rentner, der nicht ganz ihrer schnellen englischen Zunge folgen konnte. Dieser möge doch bitte bald ihren Organisationen über Skype ein Interview geben und erzählen, wie es denn im Kommunismus so aussah. Das verstünden die Engländer nicht. Sie ist eine Aktivistin von rechten Bürgerbewegungen aus Middlesbrough, der "English Defense League" nahe.
"Das ist prima hier in Polen, dass es so eine Bewegung gibt, so kann verhindert werden, dass es Verhältnisse wie in England gibt, mit den Muslimen", erklärte sie dem Autor dieser Zeilen. Die polnischen Rechten, aber auch die polnische Regierung sind für Anti-Islam-Bewegungen in Europa vorbildlich, da sie sich weigern, Flüchtlinge aus dem Nahen Osten aufzunehmen.
Stanislaw K. packte inzwischen seinen kleinen Koffer aus und reichte Schriften herum. Es geht um die Gründung einer neuen Nationalpartei sowie um eine mögliche Verschwörung zwischen der Ukraine und Israel. Ein Zeitungsausschnitt aus der "Gazeta Warszawska", einer vermutlich vom Kreml finanzierten Wochenzeitung, vermeldet dies. "Werden hier faschistische Schriften verteilt, haha", kommentierten zwei kurzhaarige Männer Mitte zwanzig kumpelmäßig.
Man war unter sich, vermeintlicherweise. Dass der Autor dieser Zeilen, der Binks ab und zu bei der Kommunikation half, nicht wirklich dazu gehörte, kam ihnen nicht in den Sinn. Fern jeder Polizei traute sich auch niemand, offen journalistisch zu arbeiten.
Ein Kilometer südlich, am Lubelksi-Platz, war der Treffpunkt von linken Gruppen. "Für eure und unsere Freiheit", hieß ihr Motto. Schon von weitem hörte man Hipp-Hopp-Klänge. Für Tomasz Ruszynowicz war das zu laut und zu fremd, er ging nach Hause. Eigentlich wollte auch er gegen den Unabhängigkeitsmarsch protestieren.
Gosia Linkiewicz, eine Lokalpolitikerin aus der ostpolnischen Stadt Bialystok, kennt das Problem mit Rechtsextremen von zu Hause. Die ostpolnische Stadt ist eine der Hochburgen der ONR mit vielen Übergriffen. Angst habe sie nicht - "was passiert, das passiert". Tatsächlich war der Umzug von einem großen Aufgebot behelmter Polizisten abgesichert, die Trasse endete vor der Marschstrecke der Rechten, die Zugänge zwischen beiden Märschen waren blockiert. Die Nationalisten organisieren den Unabhängigkeitsmarsch seit 2009, früher kam es oft zu Straßenschlachten zwischen Linken und Rechten. Auch unter den Linken gab es schwarz gekleidete und vermummte Personen, die sich von einigen ihrer Gegner im Zentrum der Stadt optisch nicht unterscheiden.
War dies nun der Regierungsmarsch oder der der Nationalisten?
Zurück zum Dmowski-Rondell. In der U-Bahnstation "Centrum" gab es wegen Feuerwerkskörpern dichten Rauch. Es ließ sich kaum atmen, Kinder husteten laut, gerade mal drei Polizisten waren da. Über Umwege erreichte der Autor dieser Zeilen das De-Gaulle-Rondell. Dort schirmten Militärpolizisten den Straßenrand der Jerusalem-Allee ab, denn ein Teil der Polizisten in der Umgebung von Warschau hatte sich aus Protest gegen schlechte Bezahlung krankschreiben lassen.
Auf der Straße liefen Menschen mit weiß-roten Fahnen. War dies nun der Regierungsmarsch oder der der Nationalisten? "Es gibt nur einen Marsch", sagte ein Militärpolizist etwas stoisch. Doch dann kam es zu einer Unterbrechung. Eine Gruppe von dreißig schwarz Vermummten, die sogenannten Szturmowcy des nationalistischen Schwarzen Blocks trabten wichtigtuerisch herum, einige Zuschauer waren genau wegen eines solchen Anblicks gekommen und freuten sich über den Kitzel.
Dann begann der "Unabhängigkeitsmarsch", beziehungsweise das "Original": Teils vermummte Männer mit der Aufschrift "Allpolnische Jugend" liefen in einer Reihe untergehakt im Marschschritt voran und brüllten Passanten an, um für "freie Bahn" zu sorgen. Die Flaggen der Organisationen wehten, "Tod den Feinden des Vaterlandes" und ähnliches wurde geschrien. Böller flogen, Bengalenfeuer brannte im bereits trüben Licht des späten Nachmittags.
Die "Marschroute" führte über die Weichsel, über die breite Poniatowskibrücke und dann zu einem großen Platz neben dem Nationalstadion. Wer abkürzen wollte, nahm den Regionalzug, der auf einer Nebenbrücke fährt. Doch dies war gefährlich, denn die Marschierenden warfen Böller auf die Wartenden auf den tiefer gelegenem Bahnsteig, der glücklicherweise teilweise durch Betonplatten abgedeckt ist. Auch hier wieder verängstigte Kinder und keine Polizei in Sicht. Zehn Minuten dauerte das Bombardement, dann kam endlich der Zug.
Auf dem Stadiongelände empfing "Royal Age" die ersten Teilnehmer des staatlichen Marsches mit schnell gespieltem Heavy Metall. In den Songs der katholischen Patriotismus-Band ging es um die Verteidigung von Jesus Christus, das Leben im Plattenbau und die bösen Eliten. Auch hier gaben die nationalistischen Veranstalter den Takt vor, sie hatten Bands und Rapper aus dem rechten Spektrum eingeladen. Die Spitzenpolitiker der PiS hatten sich bereits abgesetzt. Längst war es dunkel geworden.
"Rotes Gesindel"
Noch einmal mit dem Zug zurück zur Jerusalem-Allee. Weiterhin zog ein Strom von Menschen auf der breiten Straße Richtung Brücke. Insgesamt 250.000 wurden später gezählt. Weiterhin standen dort etwa hundert Personen, eingekreist von großwüchsigen Polizisten. Sie hielten Schilder mit Aufschriften wie "Schande" oder Verfassung hoch - eine Anspielung auf die umstrittene Justizreform der Regierung. "Rotes Gesindel" schallte es vom Marsch herüber. Die Protestierenden waren zumeist um die 60 - die typischen Vertreter der urbanen Solidarnosc-Generation, die in den achtziger Jahren gegen den kommunistischen Staat aktiv waren. Es sind diejenigen, die bereits "Mutproben" hinter sich haben.
Ein Mann mit rotweißer Mütze beschimpfte die Polizisten, welche die Gruppe abschirmten. "Auf welcher Seite steht ihr eigentlich?" Eine Frau Anfang Sechzig wendete sich an den Betrachter. "Seit Stunden werden wir hier beschimpft, immer wieder versucht uns jemand zu attackieren." Auch habe sie das Keltenkreuz auf dem Umzug gesehen. Ihre Eltern und Großeltern hätten im Warschauer Aufstand gegen die Waffen-SS gekämpft und nun erlaube die Regierung so etwas. Barbara Konecka meinte, dass es eben wenige echte Warschauer gebe, auf dem Marsch seien viele Menschen von außerhalb, die die Hintergründe nicht verstünden.
Daneben fand ein Gespräch zwischen einer anderen Demonstrantin und zwei Männern mit dem Emblem "Unabhängigkeitsmarsch" an der Jacke statt. Ob sie denn wirklich Faschisten seien, fragte sie die Männer, die verneinten, die Freiheit der Protestierenden beschränken zu wollen. Die Diskussion verlief im ruhigen Ton. Auch das gibt es. Doch dieser Dialog scheint eine Ausnahme zu sein.
Langsam verlief sich der Marsch, einige der Protestler schlüpften durch die Reihen der Polizisten und gingen nach Haus, hoffentlich unbehelligt. Später war in den Nachrichten zu hören, dass Mitglieder der Allpolnischen Jugend eine EU-Fahne verbrannt hatten, dass Flaschen in Richtung der Protestierenden geflogen seien.
Im staatlichen Polskie Radio hieß es dann in den Nachrichten am anderen Morgen, dass der Umzug war gelungen war. Er sei friedlich und größtenteils ohne Zwischenfälle verlaufen. Dass die Regierung diesen Radikalen die Straßen überließ, ist das Hauptereignis, mit nachhaltiger Wirkung in Europa.