Polen: Der Frühling der Versprechungen
Im Stil und Kolorit des amerikanischen Wahlkampfs hob am Sonntag in Warschau Robert Biedron eine neue Partei aus der Taufe
"Es ist Zeit für den Frühling", meinte der alerte Grauhaarige unter dem Jubel in der weiträumigen Halle. "Frühling" heißt die Partei, die immerhin nach Umfragen bereits als dritte Kraft vor den Europawahlen gehandelt wird, noch bevor der Name bekannt war - denn in dieser Formation geht es vor allem um den charismatischen Frontmann, der es sogar wagte, das legendäre Papstzitat umzudichten: "Wir ändern das Antlitz dieser Erde", begann der 42-Jährige seine Rede. Angelehnt an den berühmten Auftritt Johannes Paul II bei seinem Besuch in Warschau 1979. Damals rief der Geistliche Gott dazu an; heute sollen es die Polen auch ohne Hilfe von oben richten.
Der bekennende Schwule will nur den Pathos des großen Polen übernehmen, nicht dessen Direktiven für die Gesellschaft. Der Politiker plant den Klerus an der Weichsel in seinen Befugnissen zurückzudrängen und ihn vom Staat zu trennen. Auf den ersten Blick eine Attacke gegen die regierende nationalkonservative Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS)
Die Ausrichtung des studierten Politologen ist seit langem bekannt. Biedron begann als Aktivist. Aufgrund seiner 2001 gegründeten "Kampagne gegen Homophobie" bezog er in jeder Hinsicht mehrfach Prügel. Doch er gab nicht auf.
Dem "Bündnis der Demokratischen Linken" (SLD) in dem Biedron lange Mitglied war, war er zu progressiv und darum wurde auf hintere Listenplätze gesetzt. Seine Chance kam 2011, mit der Abspaltung des ehemaligen Wodka-Herstellers Janusz Palikot von der damaligen Regierungspartei "Bürgerplattform" (PO).
Biedron zog mit der "Bewegung Palikot" als erster bekennender Schwuler in den Sejm. Doch die antiklerikale Partei war zu sehr auf Krawall gebürstet. Darum setzte er sich rechtzeitig ab und gewann 2014 als parteiloser Kandidat überraschenderweise die Bürgermeisterwahl in Slupsk (Stolp) in Hinterpommern, eine Region, zu der er zuvor keinen Bezug hatte.
In Slupsk erfährt er heute weiterhin Zustimmung, wenn auch Kritik laut wurde, dass er zu viel durchs Land reiste. Denn seinen Weg der Parteiengründung hatte er schon zuvor mit seinem Buch "Gegen die Strömung" durch eine große Lesetour in diesem Jahr begonnen.
Aber auch die Gegner sind nicht müde. Er habe der Stadt Schulden hinterlassen, darum kandidiere er nicht mehr für die kommende Kommunalwahl im Herbst, so die regierungsnahe Zeitschrift "Sieci" , die ihm auch einen unaufgeklärten sexuellen Übergriff und Mobbing im Umfeld der Stadtverwaltung vorwirft. Auch dass er ein Liebling der westlichen Medien ist, denen er gern für Interviews zur Verfügung steht, missfällt den polnischen Rechten.
Den Vergleich mit dem französischen Emmanuel Macron, der in den westlichen Medien immer wieder angeführt wurde, lehnt Biedron ab. Ihm sei weit mehr der Gewerkschaftschef und spätere Staatspräsident Lech Walesa ein Vorbild. Sein auf Charisma abzielendes Auftreten, das Versprechen einen Traum zu leben und die Ankündigung, die geteilte Nation einen zu wollen, legt eher einen Vergleich mit John F. Kennedy nahe.
Weniger amerikanisch mutet das Programm an, das er vorstellte. Es würde den Staat rund 35 Milliarden Zloty kosten, etwas mehr als acht Milliarden Euro. Ohne Konkretes zur Finanzierung. Dazu gehören Kinderkrippen und Kitas für alle Kinder, mehr Kindergeld, eine Mindestrente von rund 400 Euro, der Mindestlohn müsse 60 Prozent des Durchschnittslohns entsprechen, Ausbau des Nahverkehrs sowie das Recht auf Abtreibung bis zur zwölften Woche der Schwangerschaft.
Vor allem Letzteres ist ein Gegenkonzept zu der "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), die seit Herbst 2015 mit harter Hand regiert. Die ehemalige Regierungspartei "Bürgerplattform" (PO) hat mit ihrem etwas faden Vorsitzenden Gregorz Schetyna kein Gegenrezept. Die Konservativ-Liberalen, die acht Jahre regierten, gelten bereits als "Establishment" und haben viele Wähler desillusioniert.
Hoffnungsträger, Antipolitiker und Volkstribune sind gefragt
Darum versucht jeder politische Neustart in Polen erst mal Antipolitiker zu sein. So auch Robert Biedron. Seit Herbst tourt er durch das Land, um die Belange der Polen zu erfahren, und spricht davon, "das Polen unsere Träume" zu schaffen. Bei der Eröffnung dieser Tour im vergangenen September, etwas bescheidener auf einem Parkplatz des Platzes der Verfassung, war schon spürbar, wie ergriffen er von sich selbst ist.
Charismatische Hoffnungsträger und Volkstribune braucht Polen dringend und darum gab es schon einige. Der bereits erwähnte Janusz Palikot etwa oder Pawel Kukiz, ein Rockbarde, der ganz nahe bei den gewöhnlichen Leuten sein wollte und nun im Parlament mehr oder weniger die PiS stützt und von allerlei Abspaltungen zermürbt wird (Neoliberal oder für das neue Prekariat).
Nach dem Höhenflug der Erwartungen folgte die unsanfte Landung in der hässlichen Realität des politischen Alltags und die Enttäuschung der Fans. Der Antrieb "Emotionen", ein wichtiges Element in Polen, sorgt dann auch als Beschleuniger beim Abwärtstrend. "Die Bewegung eines Stars", so tat es der PO-Fraktionschef Slawomir Neumann ab, andere fragten, woher er denn das Geld für einen so lauten Auftritt hatte.
Die PiS freut sich schon auf das gegenseitige Aufreiben der Opposition. Doch vermutlich müssen sich die Oppositionsparteien irgendwie mit dem "Frühlings"-Chef einigen, sie brauchen für den Herbst einen Pakt für die Parlamentswahlen, um die Nationalkonservativen mit Parteichef und Mastermind Jaroslaw Kaczynski zu schlagen. Diese liegen in Umfragen bei 35 bis 40 Prozent. Die beiden liberalen Parteien PO und "Modernes Polen" müssen sich dann zu dem Antiklerikalismus und den versprochenen Sozialausgaben etwas einfallen lassen.
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