Polen: Dudas Erwachen
Seite 2: Ukraine-Krieg: Duda schlagartig im Rampenlicht
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Mit dem Ukraine-Angriff Russlands am 24. Februar 2022 rückte Duda nun schlagartig ins Rampenlicht der Weltpolitik. Vergessen scheint die politische Isolation des widerspenstigen EU-Mitglieds Polen, die Debatten um Rechtstaatlichkeit und die Unterdrückung der Medienfreiheit.
Bis zu diesem denkwürdigen Tag, an dem Polen plötzlich zum Frontstaat der Nato wurde, übte sich die US-Administration unter Joe Biden in einer ostentativen Distanz zur polnischen Regierung.
Die PiS-Granden hatten zu Bidens Vorgänger Donald Trump, der ihrer rechtsnationalen Linie näherstand, einen vermeintlich besseren Draht. Duda rühmte sich, den republikanischen US-Präsidenten zu seinen Freunden zu zählen. Dies konnte man auch an den Reaktionen zum Wahlsieg Bidens vor einem Jahr deutlich sehen.
Mit einigen Tagen Verzögerung gratulierte Duda Joe Biden zu dessen "erfolgreicher Wahlkampagne". Im Gegenzug ignorierte Biden nach seinem Amtsantritt den polnischen Präsidenten. Nun ist alles anders, inzwischen stehen beide in regelmäßigem telefonischen Kontakt.
Das wahre Ausmaß der nationalistisch-populistischen Verblendung der PiS-Granden offenbarte das skurrile Europopulisten-Treffen vom Dezember 2021 in Warschau, welches just zu einer Zeit stattfand, als bereits die Geheimdienste Polens und der USA vor einer unmittelbar bevorstehenden russischen Invasion in der Ukraine warnten.
Um ein neues nationales Selbstbewusstsein unter Beweis zu stellen, luden der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński und der Regierungschef Mateusz Morawiecki Chefs und Vertreter von zehn europäischen rechtspopulistischen EU- und Nato-skeptischen Parteien zum "Warschauer Gipfel" ein, darunter Marine Le Pen und Viktor Orbán.
Das Vorhaben, eine eigene Fraktion im EU-Parlament zu gründen, scheiterte aufgrund gegensätzlicher Interessen und Positionen der Teilnehmer, allen voran in Bezug auf Russland. Orbán, Le Pen und die österreichische FPÖ galten bislang als Putin-freundlich.
Historische Rolle?
Der Krieg in Polens unmittelbarer Nachbarschaft gewährt dem polnischen Staatspräsidenten nun sogar die Chance, eine historische Rolle in der Geschichte einzunehmen. Vom ersten Tag der russischen militärischen Aggression gegen die Ukraine an ist Polen einer der eifrigsten Unterstützer der Ukraine. Das Grenzgebiet zur Ukraine gleicht einem gigantischen Hub für den militärischen und wirtschaftlichen Nachschub für die ukrainischen Streitkräfte und für das notleidende ukrainische Volk.
Polen bietet bereits nahezu zwei Millionen Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine Schutz vor Putins Bomben und Raketen, ein Unterfangen, das gleichermaßen von Regierungsstellen wie der Zivilgesellschaft vorbildhaft gemeistert wird.
Bislang wurde Duda durch das Prisma seines Nahverhältnisses zur rechtsnationalistischen PiS bewertet, nun aber findet er sich am Tisch und auf Augenhöhe mit den Großen dieser Welt wieder. Was Duda, im Unterschied zu vielen Politikern in Ost und West, glaubwürdiger macht, ist die Tatsache, dass er von Anbeginn an immer wieder vor Russland und Putin warnte. Nun muss er, anders als viele europäische Politiker, keine selbstkritischen rhetorischen Wenden vollziehen.
Beziehungen zu Russland, Selenskyj und China
Die polnische Regierung hatte nach 2015 die diplomatischen und kulturellen Beziehungen zu Russland auf ein Minimum reduziert, was in Polen selbst nicht unbedingt ausschließlich positiv bewertet wurde.
Als die PiS-dominierte Regierung selbst den kleinen Grenzverkehr zwischen der russischen Exklave Kaliningrad und dem Großraum Danzig einschränken ließ, hagelte es Kritik, denn diese Regelung erlaubte es, in den vergangenen Jahren gute Beziehungen zu Russland zu pflegen.
Zudem waren Russen willkommene und beliebte zahlende Gäste in den Danziger Shopping-Malls und Hotels. Doch auch die liberalen Vorgängerregierungen waren in ihrer Russland-Politik vorsichtig, hatten mit der Errichtung des LNG-Terminals in Swinemünde die Diversifizierung der Gasimporte vorangetrieben. Andrzej Duda hatte mit Wolodymyr Selenskyj bereits vor geraumer Zeit eine freundschaftliche Beziehung aufgebaut, auf die der ukrainische Präsident jetzt setzen kann.
Die beiden Staatsmänner kommunizieren täglich miteinander. Selenskyj besuchte vor dem Krieg Duda in dessen Residenz, wo sich beide auch privat näherkamen. Der polnische Präsident war noch am 23. Februar 2022 auf Staatsbesuch in der Ukraine – Russlands Militäroffensive startete nur wenige Stunden nach Dudas Abflug aus Kiew.
Angesichts der realen Bedrohung durch Russland setzte sich Präsident Duda über alle Parteigrenzen hinweg und rief erstmals seit 2015 Vertreter der Opposition zusammen, so auch den Warschauer Bürgermeister Rafał Trzaskowski von der Bürgerplattform PO, Dudas Herausforderer bei seiner Wiederwahl. Anders als die Regierungspolitiker der PiS hält sich Duda von parteipolitisch motivierten Angriffen auf die Opposition zurück.
Auch ein weiterer Aspekt der präsidialen Politik Dudas ist nach der Zeitenwende des 24. Februars 2022 in einem neuen Licht zu bewerten. Duda war, wofür er in Polen heftig kritisiert wurde, das einzige Staatsoberhaupt eines EU-Staates bei der offiziellen Eröffnung der Olympischen Winterspiele in Peking persönlich anwesend.
Heute, wo Chinas Führung eine Schlüsselrolle in der Beendigung des Ukraine-Krieges einnehmen könnte, kann sich Dudas guter Draht nach Peking, vor allem zum KP-Chef Xi Jinping, als wertvoll erweisen.
Andrzej Duda kämpft um seinen Platz in der Geschichte. Gut möglich, dass dem einst verschmähten "Präsident Kugelschreiber" nun eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung des Krieges in der Ukraine zukommen wird.