Polen: Skandal ohne Widerhall?

Jarosław Kaczyński. Bild: Kancelaria Sejmu/CC BY-SA-2.0

Jaroslaw Kaczynski, der heimliche Regierungschef, ist verwickelt in einen Bauskandal

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Seit Ende Januar beliefert in Polen die notorisch oppositionelle Zeitung "Gazeta Wyborcza" ihre Leserschaft mit Enthüllungen über Jaroslaw Kaczynski, dem Chef der regierenden "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), als verhindertem Developer eines Wolkenkratzer-Projekts. Kaczynski und die mit ihm verbundene Immobilienfirma "Srebrna" legten das Vorhaben im Sommer auf Eis und ließen Gerald Birgfellner, einen Unternehmer aus Österreich, auf dessen bisherigen Kosten sitzen.

Am Freitag wurde von der Gazeta Wyborcza enthüllt, dass Kaczynski Birgfellner beauftragt hatte, einem ominösen Priester einen Geldbeitrag in bar für das Bauprojekt zu überreichen. Dieser Geistliche ist bis heute nicht aufzutreiben.

Was ein wenig den Ruch einer Mafia-Geschichte hat, scheint derzeit das Gros der Polen nicht zu stören. Ausländische Presseberichte, die Formulierungen wie "Skandal erschüttert Polen" nutzen, scheinen sich nicht auf die Realität zu beziehen. Nach jüngsten Umfragen liegt die PiS bei 40 Prozent und hat letztens sogar zugelegt.

Was war genau geschehen? Mit dem geplanten Wolkenkratzer, einem 190 Meter hohen Zwillingsturm, wollte Jaroslaw Kaczynski sich und seinem 2010 verunglückten Bruder Lech ein Denkmal schaffen, sowie gleichzeitig die Parteienfinanzierung verbessern. Dabei stand ihm bis im Juli Birgfellner zur Seite, der der Schwager seines Cousins ist. Das Gebäude sollte auf einem Grundstück der Firma Srebrna gebaut werden, die der Lech Kaczynski Stiftung gehört, in der vor allem Jaroslaw Kaczynski Einfluss hat.

Kaczynski stornierte jedoch das Projekt und machte das Weiterführen von gewonnenen Wahlen abhängig. Für die umgerechnet 1,3 Millionen Euro Ausgaben, die Birgfellner für Architekten und andere Fachkräfte ausgegeben habe, könne nichts ausgezahlt werden, da der Österreicher keinen formalen Auftrag vorlegen könne. Kaczynski bot ihm an, "Srebrna" zu verklagen, der Rechtskonservative würde dann im Sinne von Birgfellner aussagen.

Dieser traute Kaczynski jedoch nicht und nahm dieses letzte Gespräch in der Parteizentrale heimlich auf und ging damit im Januar zur Staatsanwaltschaft. Er wirft Kaczynski Betrug vor und spielte die Aufnahmen der oppositionellen Zeitung "Gazeta Wyborza" zu.

Zentrale Antikorruptionsbüro und Staatsanwaltschaft untätig

Dass Kaczynski massiv Einfluss auf "Srebrna" hat, was er als Politiker nicht haben dürfte und sich sehr gut in der Welt des Geldes zurecht findet, widerspricht dem Image eines bescheidenen Menschen, der von Finanzangelegenheiten nichts versteht und ganz dem Kampf gegen Seilschaften und korrupten Eliten verschrieben ist.

Der Rechtskonservative erklärte, er habe jedoch keinen Einfluss auf die Firma und drohte der Zeitung mit einer Klage. Diese enthüllt jedoch munter weiter, und entwirft ein komplexes Netzwerk von politischen Seilschaften, in der selbstredend Kaczynski das letzte Wort haben soll. Auch, dass ein ehemaliges wichtiges Mitglied von "Srebrna" zuvor als kommunistischer Agent unterwegs war, und zuletzt die Nummer mit dem ominösen Priester.

Anscheinend hatte Kaczynski Birgfellner aufgefordert, dem Priester Rafal Sawicz Bargeld zu geben. Sawicz ist Mitglied des Rates der Lech Kaczynski Stiftung, die mit der Firma "Srebrna" verbunden ist. Für dessen Unterschrift, die das Bauprojekt bewilligen sollte, habe Birgfellner umgerechnet 11.000 Euro von seinem Privatkonto abheben müssen, so seine Aussage gegenüber der Staatsanwaltschaft, das Geld habe er in der Parteizentrale abgeliefert.

Gleichzeitig weigerte sich das "Zentrale Antikorruptionsbüro", überhaupt zu überprüfen, ob dieser Fall untersucht werden kann, kein Wunder, schließlich war die Institution ein wichtiges PiS-Projekt.

Die Staatsanwaltschaft hüllt sich bislang in Schweigen, ob sie Kaczynski befragt. In Polen ist diese auf Parteilinie gebracht worden und untersteht direkt dem Justizminister Zbigniew Ziobro, der nach Kaczynski als wichtigster Autor einer Justizreform gilt, aufgrund derer die EU-Kommission mehrere Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen laufen hat. Premierminister Mateusz Morawiecki und andere Regierungsmitglieder haben mit rüden Worten die Klage des Österreichers kritisiert: "Zeig die Rechnung, Mensch."

Teflon-PIS

Mittlerweile scheint es so, dass sich das Gros der Bevölkerung damit abgefunden hat, dass Kaczynski, der kein Regierungsamt bekleidet, als ungekrönter König recht eigenständig agiert. Die Zeit der lauten Protestbewegung ist längst vorbei, dies liegt auch an dem wenig charismatischen Chef der Oppositionspartei "Bürgerplattform" (PO) Grzegorz Schetyna. Die PiS hatte nach ihrer Wahl im Herbst 2015 große Protestwellen des liberalen Polens ausgelöst.

In den polnischen Medien geht der Ausdruck der "Teflon"-PiS um sich, weil die gesamten Skandale der Partei einfach nichts anhaben können.

Viele weisen darauf hin, dass Kaczynksi sich in den Aufnahmen zwar als hart gesottener Businessman entpuppt, jedoch keine Vulgaritäten und Flüche von sich gibt, wie die Bürgerplattformpolitiker in der Abhör-Affäre, weswegen sie 2015 die Wahlen verlor.

Somit bleibt er authentischer und als "Marke" erhalten. Auch ist der Graben zwischen PiS-Anhängern und Gegnern so groß, dass es kein Zurück zu geben scheint. Dem Anderen Recht zu geben, einzugestehen, dass man sich getäuscht hat, das schaffen nur wenige. Hinzu kommt, dass die PiS wohl bei ihrer Anhängerschaft erfolgreich vermittelt hat, dass alle Gegner zu einem arroganten Kreis gehören, der die gewöhnlichen Polen verachtet. Allen voran, die "Gazeta Wyborcza", die nicht als neutrale Zeitung wahrgenommen wird. Sie hat es nicht geschafft, mit dem Skandal den emotionalen Nerv vieler Polen zu treffen, da das Thema wohl doch auch zu komplex ist. Und dass man irgendwelchen Priestern Bargeld überreicht, ist auf dem Lande gang und gebe.

Die nationalkonservativen Wähler und die vielen eher unpolitischen Einkommensschwachen, die auf die Sozialtransfers bauen, haben keine Alternative in Sicht, sie halten der Partei (bislang) weiterhin die Treue. Allerdings gibt es seit Donnerstag eine neue Partei unter dem Einfluss des rechtskatholischen Medienmoguls Tadeusz Rydzyk mit dem Namen "Bewegung wahrhaftes Europa - Europa Christi".

Sollte Pater Rydzyk den Kooperationskurs zur PiS nun ändern, wäre dies eine Gefahr für das Machtgefüge. Adam Krzeminski, Publizist des linksliberalen Nachrichtenmagazins "Polityka", meint auf Anfrage, dass sich die Ereignisse "der kritischen Masse nähern", dass es "unter der Haut der Polen so langsam kriselt". Er sieht die Europawahlen als Test.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.