Polen: Sprachlose Vuvuzelas
Die PiS regiert durch, eine überzeugende Opposition ist nicht in Sicht
Jeden Monat am 10. gedenkt Jaroslaw Kaczynski, der Chef der polnischen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), seines verstorbenen Zwillingbruders Lech, der als Staatspräsident in einem Flugzeugabsturz bei Smolensk am 10. April 2010 ums Leben kam. Mittlerweile, es war Montagabend und der 87. Gedenktag, braucht der 68-Jährige 2300 Polizisten und kilometerlange Metallabsperrungen dazu.
Für seine Gegner ist die Veranstaltung eine politische Manifestation. "Das ist wie in der Volksrepublik, wir bekommen hier langsam einen autoritären Staat", so Rafal Jablonski, ein älterer Herr, der eine weiße Rose trägt, das aktuelle Zeichen des friedlichen Widerstandes. Die Protestler halten die Absperrungen und das Verbot einer Gegendemonstration für gesetzeswidrig.
Jaroslaw Kaczynski ist eine Reizfigur. Obwohl nur einfacher Abgeordneter, gilt er als der Macher und Entscheider der nationalkonservativen Regierung, die seit Herbst 2015 im Amt ist. Sein Hauptziel, neben einer konservativen Umformung der Gesellschaft, die mit Eingriffen in das Justizwesen einhergeht, ist die Aufklärung des Flugzeugabsturzes, er wie seine Getreuen gehen von einem Anschlag aus.
In seiner Rede, die er stets auf einer Leiter stehend vor dem Präsidentenpalast hält, verspricht er wie immer baldige Neuigkeiten auf dem "Marsch zur Wahrheit". "Seriöse Forschungen internationalen Ausmaßes sind im Gange", verspricht der Politiker diesmal, in einigen Monaten gebe es Fakten.
Dieses Ritual provozierte vor seit Ende letzten Jahres die radikale Gruppierung "Bürger der Republik Polen" zu Protesten. Damals war dies nur ein kleines Grüppchen, das in den letzten Jahren etwas angewachsen ist. Doch die Oppositionsparteien wie die liberal-konservative "Bürgerplattform" (PO) zögert mit einer Anwesenheit.
Mut und Motivation zum Protest hat nur die Solidarnosc-Generation
Wladyslaw Frasyniuk, Solidarnosc-Aktivist, Liberaler und Unternehmer, sorgte am 10. Juni für Furore, da er die Gedenkveranstaltung Kaczynskis blockieren wollte und gewaltsam von Mitarbeitern der Partei weggetragen wurde. Denn ein extra für den Parteivorsitzenden erdachtes und in Kraft getretenes Gesetz besagt, dass regelmäßige Demonstrationen nicht von Gegendemonstrationen gestört werden dürfen.
Zusammen mit Lech Walesa setzte der 62-Jährige am 4. Juli einen offenen Brief auf, der kritisiert, "dass uns grundlegende Bürgerrechte und die Versammlungsfreiheit genommen werden". Auch wird der PiS vorgeworfen, Polen aus Europa führen zu wollen, zudem sollten Flüchtlinge aufgenommen werden, wogegen sich die PiS trotz Abmachung mit der EU sträubt.
Eigentlich wollte auch Walesa gegen Kaczynski demonstrieren, doch der ehemalige Staatspräsident liegt mit Herzproblemen im Krankenhaus. Er wird von der PiS und den Staatsmedien aufgrund einer Kooperation mit dem polnischen Inlandsgeheimdienst (über deren Ausmaß gestritten wird) in den frühen Siebzigern als Feind stilisiert. Auch beim Besuch des US-Präsidenten letzte Woche in Warschau buhten ihn die PiS-Fans aus, was selbst bei Donald Trump eine Konsternation auslöste.
Frasyniuk, der in den Achtzigern insgesamt vier Jahre aus politischen Gründen im Gefängnis einsaß, entschied sich im Juli, Konfrontationen zu vermeiden, und appellierte an die Polen, sich hinter die Werte der freien Demokratie zu stellen und "keine Angst" zu haben. Doch Grund zur Angst gibt es durchaus. PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski, der von Wirtschaft nichts versteht, will mit Mammutsozialausgaben die Wähler an sich binden, Widerspruch wagt innerhalb seiner Partei niemand.
Mut und Motivation hat somit nur die Solidarnosc-Generation, auf die Straße zu gehen, da sie die Parallelen zwischen dem Auftreten der PiS und dem der kommunistischen "Polnischen Vereinigten Arbeitspartei" (PZPR) erkennt. In Zukunft sollen sie die Polizeikosten tragen, so Innenminister Mariusz Blaszczak am Dienstag, der Anspielungen auf den G-20-Gipfel in Hamburg nicht unterließ, obwohl - von Vuvuzela-Attacken der Gegendemonstrationen abgesehen - alles friedlich verlief. Nach Polizeiangaben demonstrierten 4500 Personen auf beiden Seiten. Oft sah man zwei Polizisten einen Vuvuzela-Besitzer bewachen. Nur hinter einer weiträumigen Absperrung und einer Art Sichtblende konnten die Vuvuzelas ungestraft lärmen
Doch die südafrikanischen Tröten demonstrieren nur die laute Sprachlosigkeit der Opposition. Die PiS führt weiterhin in den Umfragen. KOD, das Komitee zur Verteidigung der Demokratie, eine Bewegung, die vor einem Jahr noch Zehntausende auf die Straße brachte, ist durch Finanzskandale seines Gründers Mateusz Kijowski in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht ("Es geht um etwas sehr Essentielles, um die Freiheit!").
Die PiS liegt konstant bei knapp 40 Prozent. Die beiden liberalen Oppositionsparteien PO und N (Modernes Polen) verzeichnen zusammen eine Zustimmung von knapp 30 Prozent, manche Erhebungen sehen sie auch weit darunter.
PiS weitet Kontrolle des Justizapparates aus
Ob der letzte Vorstoß der PiS hier etwas ändern wird? Am Mittwoch wurden vom Sejm zwei Gesetze verabschiedet, die der PiS erlauben, in die Besetzung des Landesgerichtsrates und der ordentlichen Gerichte einzugreifen, die Absegnung von Senat und Staatspräsident ist vermutlich nur eine Formalität.
In der Nacht auf den Donnerstag wurde von den PiS-Abgeordneten ein neuer Gesetzesvorschlag eingebracht, der die Vollmacht über das Personal des Obersten Gericht dem beherzten Justizminister Zbigniew Ziobro überlässt. Das Oberste Gericht gilt nach der Gleichschaltung des Verfassungsgerichts als letzte Kontrollinstanz gegenüber dem Durchregieren von Premierministerin Beata Szydlo unter der Anleitung von Jaroslaw Kaczynski.
"Das ist das Ende der Demokratie", meint die polnische Opposition. "Genug ist genug", sagt der belgische EU-Parlamentsabgeordnete Guy Verhofstadt, Chefunterhändler des Europäischen Parlaments für die Austrittsverhandlungen mit Großbritannien, "die EU muss nun in Aktion treten."