Polen als Stolperstein für das Energiegeschäft zwischen der EU und Russland
Gasprom drängt auf den polnischen Gasmarkt und die Regierungen der beiden Länder streiten wegen eines von Russland verhängten Importstopps für polnisches Fleisch
Der russische Energieriese Gasprom kommt nicht zu Ruhe. Kaum ist der Streit mit Weißrussland ausgestanden, haben die Russen wieder Ärger mit einem Transitland. Doch der aktuelle Streit um Transitgebühren ist ein Novum, denn im Gegensatz zu den bisherigen Streitigkeiten mit den Transitländern Weißrussland und Ukraine, hat Gasprom zum ersten Mal ein Problem mit einem Staat der Europäischen Union. Gasprom und das polnische Unternehmen PGNiG verhandeln seit einiger Zeit über einen neuen Transitpreis – bisher ohne jegliches Ergebnis. Doch wie im Fall Weißrusslands und der Ukraine, hat auch dieser Streit tiefere Hintergründe. Gasprom drängt auf den polnischen Gasmarkt und die Regierungen der beiden Länder streiten seit über einem Jahr wegen eines von Russland verhängten Importstopps für polnisches Fleisch. Falls der Streit zwischen den Polen und Russen eskalieren sollte, könnte es auch für die deutsche Gasversorgung eng werden, denn 90 Prozent des deutschen Gases werden durch Polen geliefert. Deshalb sprachen Angela Merkel und Wladimir Putin bei ihrem Treffen in Sotschi auch über die russischen Beziehungen zu Polen.
In der Chefetage der Moskauer Gasprom-Zentrale hatte man in den letzten Tagen einige Gründe, die Sektkorken knallen zu lassen. Weißrussland zahlt seit dem 1. Januar den doppelten Preis an den russischen Energiegiganten und verkaufte ihm noch für 2.5 Milliarden Dollar 50 Prozent der weißrussischen Gaspipelinegesellschaft Beltransgas. Gleichzeitig gab das Unternehmen auch die Geschäftszahlen für das Jahr 2006 bekannt, mit einem enorm beeinduckenden Ergebnis. Gasprom konnte seinen Umsatz um 43 Prozent auf 37 Milliarden Dollar steigern. Da erscheinen die 125 Millionen Euro, mit denen sich Gasprom auf das Trikot des Fußball-Bundesligisten Schalke 04 eingekauft hat, und die Kosten für die Show, mit der sich Gasprom als neuer Hauptsponsor der Königsblauen präsentiert hat, wie Peanuts.
Doch die Stimmung in dem beeinduckenden Gasprom-Hochaus dürfte sich wieder verfinstert haben. Seit einer Woche verhandeln Gasprom und das polnische Gasunternehmen PGNiG, Betreiber der polnischen Pipeline Europol-Gaz, über neue Transitgebühren. Die Polen verlangen pro 100 Kilometer 2 Dollar für 1000 Kubikmeter Gas, die Russen dagegen wollen nicht mehr als 1,94 Dollar an PGNiG zahlen. Die Fronten zwischen den beiden Verhandlungspartnern haben sich mittlerweile verhärtet, sogar die Gespräche ruhen momentan. Die beiden Unternehmen tauschen zur Zeit nur wichtige technische Daten aus, ansonsten herrscht zwischen den beiden Firmenzentralen Funkstille.
Auch dieser Streit hat tiefere Hintergründe als nur die Transitgebühren. PGNiG, der größte Gasversorger Polens, wehrt sich seit einem Jahr gegen die Versuche Gasproms, den polnischen Markt zu verändern. Dabei geht Gasprom nicht offen vor, sondern bedient sich dabei anderer Firmen. Der ungarische Gasversorger Emfesz ist so ein Unternehmen. Seit 2005 ist Emfesz auf dem polnischen Markt tätig, und dies mit großen Erfolg. Bereits einige Großkunden wechselten von PGNiG zum ungarischen Anbieter, aus ersichtlichen marktwirtschaftlichen Gründen. Emfesz bietet sein Gas erheblich günstiger an als die Polen. Problematisch ist dabei nur, dass sowohl Emfesz wie auch PGNiG ihr Gas von ein und demselben Exporteur beziehen; RosUkrEnergo, einem in der Schweiz ansässigen Unternehmen, an dem Gasprom zu 50 Prozent beteiligt ist. Schnell wurde den Polen klar, dass Emfesz nur deshalb sein Gas günstiger vertreiben kann, weil RosUkrEnergo es an die Ungarn billiger verkauft als an die Polen.
Von noch erheblicherer Dimension sind jedoch die politischen Hintergründe dieses Streits. Schon seit mehreren Monaten verhandeln die Regierungen Polens und Russlands über einen Importstopp für polnisches Fleisch, das Russland vor über einem Jahr verhängt hat. Mangelnde hygienische Standards hat man den polnischen Fleischereien vorgeworfen, was sich etwas seltsam anhört, denn schließlich herrschen in Polen die gleichen strengen Hygienebestimmungen, wie in den restlichen Staaten der Europäischen Union.
Polen reagierte brüskiert auf den Importstopp. Die polnische Regierung kolportiert und verhindert seitdem mit seinem Vetorecht den Abschluss eines Energiedialogs mit Russland, das für Europa von wichtiger Bedeutung wäre, da dieser die Energieversorgung sichern würde. In mehreren Verhandlungen, auch zwischen Barroso und der polnischen Regierung, bemühte man sich um eine Einigung, ohne bisherigen Erfolg. Dabei sind die Handelsbeziehungen zwischen Polen und Russland ansonsten sehr gut. Russland importierte im letzten Jahr Waren im Wert von 5 Milliarden Dollar, so viel wie noch nie.
Durch die Ostsee-Pipeline fühlen sich die Polen übergangen
Falls es nicht bald zu einer Einigung zwischen Polen und Russland, auch zwischen PGNiG und Gasprom, kommt und der Streit auch noch mehr eskalieren sollte, könnte es auch für Deutschland eng werden. 90 Prozent des aus Russland exportierten Gases, 33 Millionen Kubikmeter, werden über Polen geliefert. Dieser Tatsache ist sich auch Angela Merkel bewusst, weshalb sie bei ihrem Treffen mit Wladimir Putin die polnisch-russischen Beziehungen sowie das Thema Energie zum Thema machte. Zum siebten Mal trafen sich mittlerweile Merkel und Putin. Doch dieses Treffen hatte eine Neuerung zu den bisherigen, denn Merkel besuchte Putin nicht nur in ihrer Funktion als Bundeskanzlerin, sondern auch als Ratspräsidentin der EU. Deshalb war der Energiedialog zwischen Russland und der Union ein so dominierendes Thema bei dem zweistündigen Treffen der Regierungchefs.
Um diesem auch einen Weg freizumachen, hatte Merkel schon zuvor im polnischen Fernsehen verkündet, der Streit wegen dem Importstopp sei „geklärt.“ Eine Erklärung, die auch vom Sprecher der russischen Behörde für Tiermedizin und Pflanzenschutz bestätigt wird. Wie er am Sonntag verkündete, werden demnächst russische Veterinärexperten Kontrollen in Polen vornehmen können. Seltsam ist nur, dass aus polnischen Regierungskreisen andere Stimmen zu hören sind. Wie der polnische Landwirtschaftsminister Andrzej Lepper verlauten ließ, werde sein Land wegen des Importverbots den Start der Verhandlungen zwischen der EU und Russland über eine neue strategische Partnerschaft weiterhin blockieren.
Auch Wladimir Putin machte einen Schritt auf Polen zu und erneuerte sein Angebot, Polen an die im Bau befindliche Ostsee-Gaspipeline, die Deutschland und Polen direkt verbinden wird, anzuschließen. Damit wiederholte der russische Präsident ein Angebot, welches schon Merkel der polnischen Regierung unterbreitet hat. Doch die Polen werden dieses Angebot wahrscheinlich weiterhin nicht annehmen. Durch die Ostsee-Pipeline fühlen sich die Polen übergangen und in eigenen strategischen Interessen gestört. Zudem gibt es in der polnischen Politik Bemühungen, sich nicht zu sehr von russischen Energielieferungen abhängig zu machen. Aus polnischer Sicht wäre die Annahme dieses Angebots aber eine Zementierung dieser Abhängigkeit.
Aber selbst wenn Polen und Russland sich einigen sollten, dürften sich die Verhandlungen zwischen Russland und der Europäischen Union als schwierig erweisen. Dies wurde jedenfalls auch klar bei dem Treffen zwischen Merkel und Putin. Die EU fordert von Moskau die Ratifizierung der Europäischen Energiecharta und der Transitprotokolle. Diese verpflichtet beide Seiten, ihre Pipelinesysteme für Drittstaaten zu öffnen. Dabei schielt Europa vor allem auf die billigeren Energieressourcen Zentralasiens, für deren Durchleitung aber Moskau ein Monopol hat. Die russische Seite signalisierte schon Bereitschaft, verlangt aber im Gegenzug den Zugang für russische Unternehmen zum lukrativen Geschäft mit den Endkunden auf dem europäischen Binnenmarkt. Wie Merkel in Sotschi klarstellte, wäre Brüssel dazu bereit, allerdings nur dann, wenn Russland europäische Unternehmen an der Erschließung und Ausbeutung russischer Öl- und Gasvorkommen beteilige. Doch dagegen wehrt sich Russland. Erst kürzlich zog sich Shell von dem Erschließungsprojekt Sachalin-2 zurück und übergab es Gasprom, nachdem der Kreml wochenlang Druck auf das niederländische Traditionsunternehmen ausgeübt hatte.
Wie wichtig es jedoch ist, die russischen Energielieferungen vertraglich abzusichern, wurde erst wieder vor zwei Wochen deutlich, als Russland wegen des Ölstreits mit Weißrussland die Lieferungen stoppte. Mehrere Staaten der EU waren davon betroffen, unter anderem auch Deutschland und Polen. Auch Russland dürfte ein Interesse daran haben, denn schließlich würde es ihm langfristig einen sicheren und zahlungskräftigen Abnehmer für seine Energieressourcen einbringen. Putin scheint es erkannt zu haben. In Sotschi plädierte er dafür, die Beziehungen mit Europa bei Öl und Gas auf die Basis eines klaren Regelwerks zu stellen. Solange man sich jedoch aufgrund verschiedener nationaler Interessen nicht auf einen Vertrag einigt, wird es wohl noch zu einigen Unstimmigkeiten und Misstönen zwischen Europa und Russland kommen, wenn es um die Energielieferungen geht – immer mit der Hoffnung verbunden, Moskau möge die Vertragsdisziplin einhalten.