Politik in den Zeiten der Deglobalisierung

Seite 2: Adidas und die Defragmentierung der Produktion

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Wie die meisten großen Trends kommt auch dieser eher unauffällig und auf leisen Sohlen daher. Zum Beispiel im fränkischen Provinzstädtchen Herzogenaurach, dem Sitz des Sportartikelherstellers Adidas.

Ganz ohne politische Intervention oder nationalistisches Getöse wurde hier im vergangenen Jahr begonnen, das umzusetzen, was Trump für die US-Wirtschaft erreichen will. Während der großen Globalisierungswelle seit Ende der 80er Jahre hatte Adidas seine Produktion fast komplett in ferne Länder wie China, Vietnam und Indonesien ausgelagert. Nun leitete das Unternehmen mit einer "Speedfactory" im fränkischen Ansbach die Trendwende ein. Die Sportschuhproduktion kehrt nach Deutschland zurück.

Die Arbeitsplätze allerdings sind unterwegs verlorengegangen. Während in Asien bis zu 300 Menschen in schlecht bezahlter Handarbeit an der Produktion eines Sportschuhs beteiligt sind, werden in Ansbach nur noch ein paar Techniker gebraucht, die sich um die Geräte kümmern. Die luftig-leichte Sohle für die Sneaker kommt aus dem 3D-Drucker. Roboter schweißen die verschiedenen, maschinell zugeschnittenen Teile zusammen.

Betriebswirtschaftlich kann sich das rechnen, weil Transportkosten gespart und die neuen Technologien immer billiger werden. Von den 300 Millionen Schuhen jährlich werden zunächst 500.000 in Franken produziert.

Am Horizont steht jedoch eine weitergehende Vision, in der die fränkische "Speedfactory" nur eine Etappe ist. Zukünftig soll die automatisierte und zugleich flexible Produktion in großen Städten und möglichst nah beim Kunden stattfinden. Die Schuhe sollen dann ganz aus dem 3D-Drucker kommen. Die Kunden lassen ihre Füße morgens im Laden digital vermessen, geben individuelle Wünsche in Auftrag und holen abends den fertigen Schuh ab. Und bei den Schuhen wird es nicht bleiben. Demnächst soll auch Sportbekleidung vollautomatisiert in Deutschland produziert werden.

Das dahinterstehende Leitbild einer flexiblen, dezentralen, an den individuellen Kundenwünschen orientierten Produktion kennen wir aus den Debatten um die post-industrielle Gesellschaft bereits seit den 70er Jahren. Nun scheinen die neuen Technologien dieser Vision neuen Auftrieb zu geben, vor allem durch die Potentiale des 3D-Drucks.

In wenigen Jahren soll diese Technologie soweit entwickelt sein, dass auch anspruchsvolle technische Produkte nicht mehr aus einzelnen Bauteilen in ausgetüftelten Produktionsketten rund um den Globus hergestellt werden, sondern in einem Stück, automatisiert, dezentral und an den individuellen Kundenbedarf angepasst.

So bestechend, ökologisch sinnvoll und unvermeidlich diese Perspektive auch ist - sie wird die Strukturen und Entwicklung der Weltwirtschaft radikal verändern. Die globalen Wertschöpfungsketten werden in sich zusammenfallen. Dieser Prozess der Deglobalisierung hat bereits begonnen. Seit 2011 ist die Fragmentierung der Produktion auf globaler Ebene rückläufig. Sie war nach dem Einbruch in 2008 nur marginal wieder angestiegen, um seitdem kontinuierlich zu sinken.

Das wird vor allem für jene Entwicklungs- und Schwellenländer gravierende Folgen haben, die ihre Märkte weit geöffnet haben, und deren Entwicklungskonzept darauf baut, dass ihre Bürger als billige Arbeitskräfte in ausgelagerten Produktionen multinationaler Konzerne dienen.

Optimisten verweisen gerne darauf, dass mit den neuen Technologien auch ungeahnte Anwendungsmöglichkeiten entstünden, mit Beschäftigungspotentialen, die wir uns jetzt noch nicht vorstellen können. Das mag sein. Doch diese neue Beschäftigung wird vor allem dort entstehen, wo Innovations-Cluster und hohe Qualifikationsniveaus die besten Bedingungen bieten, und in der Nähe der kaufkräftigen Nachfrage. Also überwiegend in den Ländern des globalen Nordens.

Larry Fink, der Chef des weltgrößten Vermögensverwalters BlackRock, glaubt, "der globale Handel könnte kollabieren", als Folge des technologischen Wandels. Für die Entwicklungsländer, so Fink, würde das verheerende Folgen haben.

Natürlich werden Produkte wie Bananen, Kaffee und Kakao auch in Zukunft auf den Weltmärkten gehandelt werden, ebenso wie Rohstoffe, Autos oder komplexe Investitionsgüter. Doch der globale Handel wird nicht nur im Zuge der Defragmentierung der Produktion zurückgehen, sondern auch durch die wirtschaftlichen und sozialen Folgen.

Die Deglobalisierung führt in Ländern des globalen Südens zu einem Verlust von Industrien. Wenn beispielsweise mehr und mehr Textilkonzerne ihre Produktionen dorthin zurückholen, wo die Kundschaft ist, dann werden die Initiativen, die sich heute für die Rechte der asiatischen Textilarbeiterinnen einsetzen, bald ins Leere laufen.