Politik in den Zeiten der Deglobalisierung
Seite 4: Deglobalisierung - Schreckgespenst oder Utopie?
- Politik in den Zeiten der Deglobalisierung
- Adidas und die Defragmentierung der Produktion
- Das hegemoniale Projekt stößt an seine Grenzen
- Deglobalisierung - Schreckgespenst oder Utopie?
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Vor 15 Jahren veröffentlichte der philippinische Soziologe und Globalisierungskritiker Walden Bello ein Buch mit dem Titel: "De-Globalisierung. Widerstand gegen die neue Weltordnung". Die neoliberale Globalisierung war damals gerade in ihrer goldenen Phase, noch einige Jahre entfernt vom Zusammenbruch der Finanzmärkte. Niemand sprach über "Deglobalisierung". Und so führte Bello den Begriff in die öffentliche Debatte ein - nicht als zwangsläufiges Ergebnis einer technologischen und ökonomischen Entwicklung, sondern als Strategie des Widerstands gegen eine Politik, die Gesellschaften in Nord und Süd mehr und mehr den Zwängen der globalen Märkte und den Interessen multinationaler Konzerne unterwirft.
Sein Konzept setzt - grob zusammengefasst - auf eine Stärkung der Binnenmärkte und der lokalen Wirtschaftskreisläufe. Walden Bello bezieht sich positiv auf die Strategie der Importsubstitution, mit der viele Schwellenländer in den 1950er bis 1970er Jahren ihre Industrien aufgebaut haben. Aber er geht über die traditionellen Konzepte der Binnenmarktentwicklung weit hinaus, indem er sie mit der Vision einer demokratisch gesteuerten und in starken lokalen Ökonomien verwurzelten Wirtschaftsentwicklung verknüpft.
Im Rahmen einer gemischten Wirtschaftsordnung sollen Genossenschaften, öffentliche und privatwirtschaftliche Unternehmen eine gleichwertige Rolle spielen. Die gesamte wirtschaftliche Entwicklung müsse auf dieser Basis in den demokratischen Prozess eingebunden werden. Nach Jahrzehnten, in der die Ökonomie die Politik beherrschte, würde die Politik sich wieder die Macht aneignen, die Wirtschaft nach dem Willen der Gesellschaft zu gestalten. In diesem Sinne könnten dann auch die internationalen Wirtschaftsbeziehungen neu reguliert werden.
Das Buch fand in den globalisierungskritischen und ökologischen Bewegungen in Nord und Süd große Resonanz. Wenige Jahre später eroberte der Begriff Deglobalisierung die Schlagzeilen der großen Medien, jedoch in einem völlig anderen Sinn. Im Januar 2009, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, warnte der damalige britische Premierminister Gordon Brown in Davos vor den desaströsen Folgen einer drohenden Deglobalisierung. Und auch die grüne Heinrich-Böll-Stiftung befand nun: "De-Globalisierung ist keine Utopie, sondern ein Schreckgespenst", das "den politischen Nationalismus anfachen" würde.
Angesichts des Zusammenbruchs der Finanzmärkte wurde Deglobalisierung nun als Gefahr einer abrupten Zerstörung der weltwirtschaftlichen Verflechtungen verstanden, mit der Folge einer schweren globalen Rezession. Doch nach einem kurzen krisenhaften Einbruch in 2009 konnte sich die Weltwirtschaft zunächst rasch wieder erholen, und der Spuk einer abrupten Deglobalisierung verschwand so schnell wie er gekommen war.
Heute beobachten wir Deglobalisierung als einen allmählich fortschreitenden Prozess in der Folge eines technologischen Wandels, mit einer entsprechend langfristigen Perspektive. Die Ängste von 2009 tauchen in einer milderen Form wieder auf: die Angst von einer zunehmend nationalistischen Wirtschaftspolitik, vor eskalierenden Handelskonflikten, die die globale Ökonomie in einen Abgrund reißen könnten.
Wenn die Deglobalisierung jedoch ein historischer Trend ist, dann lässt sie sich nicht einfach stoppen oder durch politische Konzepte vermeiden. Genauso wenig, wie die Globalisierung gestoppt werden konnte. Dann gilt es, die Deglobalisierung zu gestalten.
Walden Bellos Konzept, das auf lokale Wirtschaftskreisläufe setzt, auf "ein neues Produktionsgefüge" aus "Gemeindekooperativen, Privatunternehmen und staatliche Unternehmen", das die Marktlogik "den Werten von Sicherheit, Fairness und gesellschaftlicher Solidarität" unterordnen will, klingt zunächst sehr utopisch, für manche vielleicht auch rückwärtsgewandt.
Aber inzwischen sind es multinationale Konzerne, die ihre starren, weltumspannenden Produktionsgefüge auflösen, zugunsten einer dezentralen Produktion in der Nähe der Kunden. Die lokalen Wirtschaftskreisläufe sind hier nur noch einen kleinen Schritt entfernt.
Die neuen Technologien, die diesen Wandel herbeiführen, sind noch mitten im Entwicklungsprozess. Aber wenn es in ein paar Jahren möglich ist, nicht nur Sportschuhe, sondern auch komplexere technische Produkte wie Herzschrittmacher oder Turbinenschaufeln mit einem 3D-Drucker herzustellen, dezentral und dem konkreten Bedarf angepasst - wozu braucht man dann noch einen global aufgestellten Konzern? All das kann dann im Prinzip auch von einem Kollektiv, einer kleinen Genossenschaft oder einem kommunalen Verein produziert werden - in Franken, Andalusien, Sri Lanka oder Senegal.
So könnten die neuen Technologien zur Grundlage eines anderen Entwicklungsmodells in Nord und Süd werden. Oder, klassisch marxistisch formuliert: die neuen Produktivkräfte setzen neue Produktionsverhältnisse auf die Tagesordnung. Auch die Perspektiven internationaler Solidarität und globaler Gerechtigkeit würden sich damit grundlegend verändern. Die Frage ist dann "nur" noch, mit welchen Strategien sich die Gesellschaften die neuen Technologien und all die anderen nötigen Ressourcen aneignen können.