Politische Kultur in Bayern

Die gewaltbereiten Demonstranten gegen die Sicherheitskonferenz blieben in München aus, nach Innenminister hat sich damit die "bayerische Linie hervorragend bewährt"

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Das Demonstrationsverbot in München ist vorüber, die Sicherheitskonferenz auch. Die Demonstrationen fanden trotzdem statt. Die Bilanz weist "849 freiheitsentziehende Maßnahmen", 7.000 Demonstranten und über 4.000 Polizisten aus. Das sind die Zahlen, doch was bedeuten die Münchner Ereignisse der letzten Tage?

Die Polizei feiert ihren Einsatz als großen Erfolg und wehrte sich am Sonntag gegen Vorwürfe der innenpolitische Sprecherin der grünen Landtags-Fraktion, Susanna Tausendfreund, der Einsatz sei "überzogen und kontraproduktiv" gewesen.

Foto: Indymedia

"Auch wenn noch keine endgültige Entwarnung gegeben werden kann, darf der bisherige Einsatzverlauf als Erfolg gesehen werden. Die angekündigten schweren Ausschreitungen und "Entglasungsaktionen" wurden unterbunden. Das Gesamteinsatzkonzept der Münchner Polizei mit Vorkontrollen und niederer Einschreitschwelle hat gegriffen. ... Das konsequente Vorgehen der Einsatzkräfte bei den verbotenen Kundgebungen hat die Aktivitäten möglicher gewaltbereiter Teilnehmer bereits im Keim erstickt. ... Bei 792 der Inhaftierten handelt es sich um sog. 'in Gewahrsam Genommene', also Personen, die zur Verhütung oder Unterbindung von Gewalttaten von der Münchner Polizei vorübergehend 'aus dem Verkehr gezogen' wurden." - Polizeibericht vom Sonntag

Überlegt man, welche Handlungsmöglichkeiten ein Verbot der Demonstration eröffnet, gestaltet sich die Polizeistrategie entsprechend einer self fulfilling prophecy. Halten sich alle potenziellen Demonstranten an das Verbot, wird das Ausbleiben von Gewalttaten und Sachbeschädigungen als Erfolg des Verbotes verkauft. Finden sich, wie in München, trotz des Verbotes Demonstranten ein, können diese unter Verweis auf das Verbot in Gewahrsam genommen werden. Die Ingewahrsamnahme wurde vor Ort, wenn überhaupt, mit dem bloßen Verstoß gegen das Demonstrationsverbot begründet. Andererseits ist der konkrete Zweck des Gewahrsams die "Verhütung oder Unterbindung von Gewalttaten". Kaum einer der davon Betroffenen ist allerdings tatsächlich gewalttätig geworden, noch bestand im Einzelfall ein Anlass, von einer solchen Bedrohung auszugehen. Damit wurde jeder, der durch seine Anwesenheit gegen das Demonstrationsverbot verstieß, zu einem potenziellen Gewalttäter gestempelt.

"Statt einer Spur der Verwüstung und zahlreichen Opfern, wie sie andere Städte mit vergleichbaren internationalen Tagungen in den letzten Jahren weltweit immer wieder feststellen mussten, gab es im Umfeld der 38. Münchner Sicherheitskonferenz nach einer ersten Bilanz der Polizei allenfalls geringfügige Sachschäden und keine im Geschehen verletzten Demonstranten. Die bayerische Linie hat sich damit hervorragend bewährt. Die niedrige Einschreitschwelle setzte die Polizei bei Vor- und Anfahrtskontrollen sowie in der Münchner Innenstadt mit Augenmaß und Konsequenz durch. Die professionelle Arbeit der eingesetzten Polizeikräfte ließ den anreisenden oder in München auftretenden Gewaltbereiten keine Spielräume." - Fazit des bayerischen Innenministers Günther Beckstein am späten Sonntag Nachmittag

Das bekannte System funktionierte perfekt. Keiner der Beamten übernimmt für eine seiner Handlungen die Verantwortung, alle berufen sich zutreffenderweise darauf, nur Rädchen in einem System, Ausführende von Anweisungen zu sein. So wurden die in Gewahrsam genommenen weder über ihre rechtliche Lage aufgeklärt, noch hatten sie die Gelegenheit zu telefonieren. Die Beamten verwiesen bei entsprechenden Anfragen auf ihre Nicht-Zuständigkeit und auf die Gelegenheit, sich bei der späteren Vernehmung zu äußern, die dann allerdings nie stattfand. Allgemein verhielten sich die Beamten in einer Art, die vor allem darauf abzielte, die Betroffenen möglichst im Unklaren darüber zu lassen, was sie erwartet. Eine Notwendigkeit dafür, außer dem Versuch der Einschüchterung, ist nicht ohne weiteres erkennbar. Das trifft im selben Maß auf die ganze Ingewahrsamnahme vom Augenblick des Freiheitsentzuges bis zur Freilassung zu. Die in Gewahrsam Genommenen wurden tatsächlich nur einer Standardbehandlung unterzogen, bei der es nie um um ihre Beziehung zu Gewalt ging. Bei der Durchsuchung und Sicherstellung der mitgeführten Dinge gab es mitunter Vertauschungen, die eine korrekte Beweisführung in späteren Verfahren wohl unmöglich machen.

Der Verfassungsschutz hatte der Polizei bis zu 3.000 "gewaltbereite Demonstranten" angekündigt. Entgegen den Aussagen des Polizeisprechers Wenger ist es eher unplausibel, dass sich die "gewaltbereite Demonstranten" durch das Demonstrationsverbot davon abhalten ließen, nach München zu kommen. Schenkten schon über 7.000 friedliche Demonstranten dem Verbot wenig Beachtung, dürfte es wenig wahrscheinlich sein, dass "gewaltbereite Demonstranten" hier weniger risikofreudig wären. Rechnen wir also noch einmal nach. Bei ihrer Anreise wurden 30 Menschen festgenommen und 313 zurückgewiesen, also insgesamt 343 möglicherweise "gewaltbereite" Demonstranten. Wo waren also die restlichen 2.657 Gewalttäter? Wohl nicht bei der Demonstration, denn trotz des massiven Polizeiaufgebots hätte es durchaus Gelegenheit für fliegende Steine gegeben. Die Demonstranten verhielten sich aber selbst friedlich, als am Freitag Abend auf dem Marienplatz die Beamten der Sondereinsatzkommandos willkürlich einzelne Anwesende aus der Menge griffen und in Gewahrsam oder fest nahmen.

Die Frage der Rechtmäßigkeit des Verbotes ist also nicht endgültig geklärt. Es besteht die Möglichkeit, dass das Verbot nachträglich vom Bundesverfassungsgericht für unrechtmäßig erklärt wird. Viele der am Rotkreuzplatz Eingekesselten haben angekündigt, gegen ihre Ingewahrsamnahme zu klagen. Der Verbotsbegründung des Verwaltungsgerichtshofes ist zu entnehmen, dass attac sich nicht von gewaltsamen Aktionen distanziert hätte. Tatsächlich aber rief attac immer zu gewaltfreien Protesten auf.

Dieser lässige Umgang mit Fakten und die generell vage Bestimmung der Bedrohung in Konjunktiven lässt die Skepsis gegenüber dem Demonstrationsverbot berechtigt erscheinen. Vor diesem Hintergrund ist es umso problematischer, dass ein auf das gesamte Stadtgebiet ausgedehntes Demonstrationsverbot erlassen wurde. Es gab also insbesondere keine Möglichkeit, sich öffentlich gegen das Verbot selbst zu äußern. Mit gutem Grund hat das Bundesverfassungsgericht eine solche Maßnahme nur als letzten Ausweg bewertet, der nur dann beschritten werden sollte, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden.

Die Kritiker der Sicherheitskonferenz sehen die Demonstrationen großteils als Erfolg. Trotz des Verbots und massiven Polizeiaufgebots wurde mehrere Tage friedlich demonstriert, auch wenn die inhaltliche Seite des Protestes aufgrund der Situation in den Hintergrund rückte, denn schließlich war auch das Mitführen von Transparenten verboten. Eingekesselt von hochgerüsteten Beamten der Sondereinsatzkommandos, mündete der Protest natürlich in eine Reaktion gegen die Polizeipräsenz selbst und das Einfordern von Meinungsfreiheit. Immerhin kam es oft zum Dialog zwischen Demonstranten und zufälligen Passanten, die genauso von den Polizeimaßnahme betroffen waren. Auch diese zeigten sich angesichts des Auftretens der Polizei überrascht und verärgert und traten den Theorien über angekündigte Gewalttäter skeptisch gegenüber.

Grundsätzlich scheint die politische Kultur an einem Punkt angekommen zu sein, an dem Demonstrationen kategorisch nicht mehr als Grundrecht und überdies aauch als Artikulation möglicherweise berechtigter Kritik wahrgenommen werden. Es ist, vorsichtig ausgedrückt, ein eigentümliches Verständnis von Staat und Gesellschaft, wenn die Staatsgewalt Demonstranten nur noch als Feinde wahrnimmt.