Politische Partizipation? Kommunalpolitik!

Seite 2: So nah und doch so fern

Kommunalpolitik ist das unbeachtete Phantom unserer politischen Ordnung. Die Wahlbeteiligung ist notorisch schlecht. Die Finanzlage vieler Kommunen und Städte desaströs. Oftmals drängt sich der Eindruck auf, dass die Verwaltungen ihre Arbeit völlig losgelöst von den Bürger:innen verrichten. Stadt- und Gemeinderäte sind Anhängsel im Gewirr aus Anträgen, Anfragen und quälenden Sitzungen. Die politische Ebene, die uns eigentlich am nächsten sein sollte, ist oftmals in weiter Ferne entrückt.

Spricht man mit Bürger:innen auf der Straße, so begegnet einem häufig ein entfremdetes Verhältnis zur Lokalpolitik vor Ort. Kaum jemand kennt die Namen der Politiker. Von den Gesichtern will man gar nicht erst anfangen. Dabei lägen in den Städten und Gemeinden große Chancen für eine partizipative Wende in der Politik. Dort, wo die Menschen leben, müssen sie eingebunden werden. Die Realität sieht aber vielerorts anders aus.

In der Stadt Hof in Nordbayern zeigt sich auf anschauliche Weise, wie die politische Souveränität einer Stadt und damit auch die Souveränität der Bürger:innen aus den Händen gegeben wird. Wie in so vielen strukturschwachen Gegenden ist man auch in Hof aufgrund eines angespannten Haushalts gezwungen, größere Bauvorhaben an Investoren abzugeben.

Nur so ginge überhaupt etwas voran. Auf einem zentral gelegenen Areal sollte - es wird nicht einfallsreicher - ein glamouröses Einkaufszentrum gebaut werden. Nun fand die Luxembourg Investment Group allerdings keinen Ankermieter. Die Folge: Baustopp. Seit über fünf Jahren bewegt sich auf der Brachfläche - nichts. Der Stadt fehlt das Geld, um das Grundstück zurückzukaufen. Privatisierung sticht die Souveränität von Kommunen, Städten und letztlich den Willen der Bürger.

Die Filmemacherin Anna Ditges hat sich bereits 2015 mit solchen stadtplanerischen Fragen auseinandergesetzt. In ihrem Dokumentarfilm "Wem gehört die Stadt?" begleitete sie den Protest gegen die Bebauungspläne des Helios-Geländes in Köln Ehrenfeld. Bis heute kämpft eine Bürgerinitiative um und gegen die konkrete Ausgestaltung des Bauvorhabens.

Ein Investor sollte auf dem Gelände - genau - ein Einkaufszentrum bauen. Die Stadtverwaltung spielte ihr eigenes Spiel. Die Bürger:innen engagierten sich. Zwar gibt man sich seitens der Stadt große Mühe von einem vorbildlichen Beteiligungsprozess zu sprechen. Die Realität war jedoch lange Zeit eine andere.

Der Schein der Beteiligung

Allzu häufig regiert die Logik der Sachzwänge, werden Bürger:innen vor vollendete Tatsachen gestellt. Wie immer gibt es Ausnahmen. Dennoch, im Sinne der Partizipation ist in Deutschland deutlich Luft nach oben.

In der Stadt Viersen in NRW, in der auch der Autor lebt, wird ein Plan zur Umgestaltung eines Parks beschlossen. Im Planungsausschuss gab es dazu eine scharfe Debatte. Rund zwei Dutzend Bürger:innen sind anwesend, erwarten die Lokalpolitiker mit Plakaten vor dem Eingang zum Gebäude. Sie kritisieren den Plan, alte Bäume zu fällen, auch wenn neue gepflanzt werden sollen. Einzig die Fraktion der Grünen stellt sich vehement gegen die Pläne.

Die anderen Kräfte im Rat beziehen sich affirmativ auf das Ergebnis der im Vorfeld durchgeführten Bürgerbefragung. Um die 800 Menschen haben daran teilgenommen und die Einwände seien gering gewesen. Am Ende wird der vorgelegte Plan der Verwaltung von einer Mehrheit im Gremium positiv beschieden.

Das gerne ignorierte Problem an dieser lokalpolitischen Debatte: Diese konkrete Bürgerbeteiligung glich einer bloßen Inszenierung. So konnten sich die Bürger:innen durch kleine Details der umfassend geplanten Maßnahmen klicken und nach dem Eindruck des Autors nur zwischen unwesentlich unterschiedlichen Varianten wählen. Dabei ging es beispielsweise um die Art öffentlicher Sportgeräte und die neue Bepflanzung.

Nach einem Themenblock bekam man zwar die Gelegenheit, eigene Gedanken und grundsätzliche Einwände in einem freien Textfeld hinzuzufügen. Zu kritischen Punkten wie dem Fällen der Bäume gab es jedoch keine expliziten Fragen. Der Hinweis auf die folglich fragwürdige Aussagekraft der Umfrage durch die grüne Fraktionssprecherin Maja Roth-Schmidt wurde von keiner anderen Fraktion aufgegriffen.

Nun mögen die Absichten dieser digitalen Bürgerbeteiligung nobel gewesen sein. Eine moderne, nachhaltige und langfristige Bürgerbeteiligung sieht dennoch anders aus. Denn von einer solch geführten und verengten Form der Befragung geht ein Signal an die Bürger:innen: Das Topping dürft ihr wählen, den Teig rühren wir an.

Die anwesenden Bürger:innen waren jedenfalls erbost. Meint man es ernst mit gelebter Partizipation, müssen die Menschen in die konkrete Planung einbezogen werden und nicht irgendwann vom Entscheidungsprozess entkoppelt werden. (Anm. d. Red. Die Passage von "In der Stadt Viersen ..." bis an diese Stelle wurde gegenüber der ursprünglichen Fassung verändert.)

Sicherlich muss für die Schaffung größerer Spielräume die Finanzierung der Kommunen und Städte überdacht werden. Immer noch liegt die Haupteinnahmequelle in der Gewerbesteuer. Ziehen größere Betriebe ab, schrumpfen die Haushalte beachtlich. Weniger Geld bedeutet oft massive Einsparungen, was die Standorte nicht unbedingt attraktiver werden lässt.

Dann ist man mittendrin im Teufelskreis der Sachzwänge. Die kommenden ökologischen Herausforderungen werden aber auch auf kommunaler Ebene wichtige Entscheidung über den Umgang mit Ressourcen und öffentlichen Raum zu treffen sein. Und das geht nur mit Geld und nicht ohne die Bürger.

Von Paris lernen

Um ein Gefühl für die Möglichkeiten einer partizipativen Lokalpolitik zu bekommen, lohnt ein Blick nach Paris. In der französischen Hauptstadt hat die Bürgermeisterin Anne Hidalgo vorbildliche Arbeit geleistet. Die Stadt legt einen festgeschriebenen Teil des Haushalts in die Hände der Bürger, die Vorschläge einbringen können und an den Entscheidungen aktiv partizipieren. Häufig entstehen daraus ökologische und soziale Projekte, die in der unmittelbaren Lebenswelt der Menschen angesiedelt sind.

2019 hat die Zeitschrift Lettre International in ihrer Ausgabe 127 einen umfangreichen Text von Hidalgo veröffentlicht, der die Perspektive auf Politik radikal verschiebt. Darin heißt es:

Unsere Erfahrung mit der partizipativen Demokratie zeigt uns (…), dass es nicht ausreicht, den Bürgern die Möglichkeit zu geben, ihre Meinung zu äußern. Man muss ihnen entgegenkommen und ihnen direkt das Wort erteilen. Daher haben wir Bürgerräte eingerichtet, bestehend aus Bewohnern der jeweiligen Viertel - Freiwillige, die per Los gezogen wurden - und lokalen Akteuren (Stadtviertelvereine, Vereinigungen der Mieter, Händler oder Ärzte des Viertels), um ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Erwartungen für das Leben in ihrem Viertel zum Ausdruck zu bringen.

Anne Hidalgo

Wenn Paris so etwas schafft, dann müsste dies doch auch für die deutschen Städte und Kommunen denkbar sein. Wahrscheinlich werden sich die gewählten Vertreter und die Verwaltungen dagegen wehren.

Immerhin nimmt man ihnen einen Großteil ihrer Macht weg, deren Reiz darin besteht, den Raum um sich herum zu gestalten. Hinzukommen Parteifilz und lokale Lobbykräfte. Aber eine solche Umgestaltung der Politik ist eben - Politik. Es müssen Bürgerräte mit Stimmrechten eingerichtet werden.

Ein Teil des Haushalts muss in die Hände der Bürger gelegt werden. Die Idee der repräsentativen Demokratie ist in Auflösung begriffen. Beginnen wir eine Revolution von unten. Krise? Nein. Kommunalpolitik!