Politische Partizipation? Kommunalpolitik!

Berlin: Reichstagskuppel. Bild: Lilli Waugh/Pexels

Die Idee der Repräsentation wird prekär, wenn der politische Betrieb nur noch als auf Abstand laufende Maschine begriffen wird. Update

Es scheint, als wisse man mit diesem seltsamen Wahlergebnis immer noch nichts anzufangen. Gemeint sind damit keineswegs die parteipolitischen Konsequenzen. Denn die Koalitionsmöglichkeiten liegen nun auf dem Tisch. Vielmehr geht es um die tiefer gehenden systemischen Fragen, mit denen man sich nun konfrontiert sieht. Was bedeutet dieses Zusammenrücken der Parteien, wenn es eigentlich keinen eindeutigen Regierungsauftrag mehr gibt?

Durch die Brille der Partizipation betrachtet, endet demokratische Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen nicht mit der Abgabe eines Stimmzettels. Gerade in diesem Hinblick werden jedoch in den laufenden Koalitionsbemühungen große Defizite erkennbar. Immer wird vom Auftrag der Wähler:innen gesprochen. Diesen gelte es ernst zu nehmen.

Solange sich aus dem Wahlergebnis ein tragfähiger Regierungsauftrag ableiten lässt, funktioniert das mit diesem Ernst auch. Eine Partei ist im Idealfall durch die Mehrheit der Stimmen legitimiert, mögliche Bündnisse auszuloten und dabei die Gesprächsführung zu übernehmen.

Nun sind wir aber einem Punkt angekommen, von dem aus eine Vielzahl von Bündnissen möglich ist, ohne dass ein klarer Auftrag eine wirkliche Legitimation sichert. Die bundespolitische Ausrichtung der nächsten Jahre hängt nun einzig und allein von den Verhandlungen der sondierenden Parteien ab. Die Bürger:innen sind in diesem Prozess der Aushandlung lediglich Zuschauer, und das, obwohl sich die entstehenden Kompromisse mitunter weit von den zur Wahl gestandenen Zielen entfernen können.

Die Gefahr zunehmender Frustrationen und Politikverdrossenheit liegt auf der Hand. Das populistische Ressentiment wird durch solche weitgehend von der Wahl abgekoppelten Verhandlungen geschürt; es entsteht das Gefühl, dass die da oben ohnehin machen, was sie wollen.

Hinzukommt, dass die Wahl zu einer strategischen Wette verkommt, bei der man mitunter völlig hilflos auf mögliche Konstellationen setzen muss. Die Gesellschaft ist derart komplex und divers geworden, dass sich die Bedürfnisse der Menschen nicht mehr unter eine parteipolitische Ausrichtung bündeln lassen. Wie wollen wir damit umgehen?

Dass unter diesen Umständen noch ernsthaft über den Begriff der Volkspartei diskutiert wird, offenbart das systemische Beharren auf dem altbekannten Ablauf demokratischer Prozesse; weiterhin sollen die Parteien als die aktiven Protagonisten erhalten bleiben.

Aber Demokratie ist keine feststehende Form. In Wahlprogrammen werden die Wünsche der Bürger:innen zwar antizipiert, was letztlich auf nichts anderes hinausläuft, als dass die Parteien zu einer Art politischer Dienstleister werden. Dienstleister aber sollen abliefern. Die Sackgasse verengt sich, wenn die Bürger:innen in eine passive Erwartungshaltung gebracht werden.

Die prekäre Stellung der Partizipation

Im F.A.Z. Podcast für Deutschland hat Simon Strauß mit Ulrike Guérot ein Gespräch über die Bundestagswahl geführt. Darin drückt die Politikwissenschaftlerin ihr Unbehagen gegenüber dem Spektakel der Politik aus. Wahlpartys, Luftballons und neue Demokratiepreise überdecken die großen Probleme, vor denen unser System, die Form der repräsentativen Demokratie, heute steht.

Das Stichwort ist Partizipation. Die Bürger müssen, wollen und sollen mehr eingebunden werden. Dabei gilt es genau zu beobachten, ob Teilhabe nicht lediglich eine folgenlose Gaukelei bleibt. Denn allerorten ist davon die Rede. Von einer wirklichen praktischen Umsetzung, geschweige denn von einer echten politischen Anerkennung der Bürgerbeteiligungen sind wir in der Tat noch sehr weit entfernt.

Der erfolgreiche Volksentscheid über die Enteignung der Deutsche Wohnen in Berlin ist in diesem Kontext von großer Bedeutung. Darin drückt sich die Sehnsucht einer großen Anzahl von Berliner:innen nach einer umfangreichen Mitbestimmung über die existenzielle Frage aus, wie wir wohnen wollen. Diese Frage wollen viele nicht mehr dem Markt überlassen. Diese Initiative ist somit ein konkretes Einwirken auf die Lebenswirklichkeit und ihre Bedingungen.

Gegen den Willen der Bürger:innen werden politische Stimmen laut. Selbstverständlich kann man über den Sinn der Enteignung streiten. Dennoch wirken diese kritischen Einlassungen oftmals wie Versuche einer Diskreditierung; der Demos irrt, während die Repräsentanten die Welt erklären. Die designierte Bürgermeisterin Franziska Giffey ließ lange Zeit keine Gelegenheit aus, sich gegen den Volksentscheid auszusprechen. Am Wahlabend gab sich zwar zu Protokoll, das Ergebnis zu respektieren. Was das genau bedeutet, bleibt unklar.

Es wird kein Weg daran vorbeiführen, dass die Politik wieder näher an die Wähler:innen heranrückt und für sie und mit ihnen gestaltet. Nur so kann in vernünftiger Weise auf die weiteren Entfremdungsprozesse, deren deutlichstes Symptom auf den Namen AfD hört, geantwortet werden.

Wenn die Gesellschaft sich immer mehr ausdifferenziert, dass sich manche Lebensräume gar nicht mehr berühren, müssen die Bürger:innen die Vermittlungsprozesse der politischen Willensbildung mittragen. Auch weil die Idee der Repräsentation prekär wird, wenn der politische Betrieb nur noch als auf Abstand laufende Maschine begriffen wird.

Das Erfahren von Selbstwirksamkeit

Ein Auseinanderdriften und Verstummen der unterschiedlichen Milieus wird nur zu verhindern sein, wenn den Menschen das Gefühl gegeben wird, dass sie gehört und vor allem gefragt werden. Selbstwirksamkeit nennt man dieses Prinzip in der Pädagogik. Und mehr solcher Pädagogik kann in der Politik auf keinen Fall schaden. Erfahren wir uns als selbstwirksam, fühlen wir uns zugehörig und in der Welt verankert. Man ist nicht länger ausgeliefert. Eine neue Sinnhaftigkeit kann entstehen.

In der Folge bedeutet das, dass die Vorstellung von Politik sich verändern muss. Bislang galt: Wer etwas verändern will, muss eben selbst in die Politik gehen. Aber Politik findet nicht nur in den Parlamenten statt. Sie ist auf der Straße, drückt sich aus in der Art, wie wir leben, wohnen und konsumieren.

Die Politik kann nicht mehr einfach etwas vorsetzen. Sie muss mehr zuhören, auch zwischen den Urnengängen der Wahltage. Auf der Bundesebene ist der Weg für eine umfangreiche Partizipation sicherlich verschlungen und kompliziert. Auch weil die Sachverhalte sehr kompliziert sind. Aber wir haben ja zum Glück die Kommunalpolitik.