Polizeilicher Demo-Tourismus beim Castor-Transport
Es ist wie auch sonst im Leben. Kommt jemand zu Besuch, möchte man ihm etwas bieten. Im Privaten vielleicht einen Spaziergang zu einem schönen See, bei ausländischen Polizisten die Einladung zu einer echten Demonstration, persönlichem Einsatz inklusive.
Kalt erwischt
Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linken Fraktion im Bundestag, zeigte den Vertretern des Bundesinnenministeriums etwas, wozu sie zunächst nichts sagen konnten – Fotos auf denen ein prügelnder französischer Polizeibeamter beim Castor-Transport im Wendland zu sehen war. De Maizieres Mannen waren sprachlos. Sie wussten angeblich nichts darüber oder spielten ihre Überraschung zumindest gut. Die Fotoserie belegte, dass ein Angehöriger der ob ihrer Brutalität in Frankreich berüchtigten "Eliteeinheit" CRS, auf einen - zumindest in diesem Moment - friedlich auf dem Gleis sitzenden Demonstranten zuging und ihn im Würgegriff abdrängte.
Jelpke über die erste Reaktion der im Innenausschuss versammelten Vertreter des Bundesinnenministeriums: "Als ich sie in der Sitzung des Innenausschusses mit Bildern konfrontiert habe, wurde zunächst versucht, mir weis zu machen, die Fotos stammten aus dem deutsch-französischen Grenzgebiet."
In den Folgetagen wurden weitere Erklärungsversuche unternommen. So heißt es in einem, Papier des Niedersächsischen Innenministeriums (Referat P 24, Az.: 12121/4), dass nicht nur französische Beamte zum diesjährigen Castor-Happening eingeladen wurden, sondern auch Kollegen aus den Niederlanden, Polen und Kroatien. Bleibt zu hoffen, dass diese Beamten dem Franzosen bei seinem bekannt gewordenen Einsatz nicht zugeschaut haben. Denn, so heißt es in dem Papier: den "Angehörigen der kroatischen Bereitschaftspolizei" sollten die "Möglichkeiten der Deeskalation und Kooperation im Einsatzgeschehen dargestellt werden". Vielleicht waren sie als Zuschauer dabei, als Baumkletterer aus vier Meter Höhe (von deutschen Beamten) mit gezieltem Wasserwerfereinsatz vom Baum "geschossen" und anschließend, trotz schwerer Verletzung noch eine Zeit lang durch den Wald getrieben wurde. Eine Notärztin ließ den Verletzten später per Hubschrauber ins Krankenhaus zu schaffen (Eiertanz nach Castor-Schlappe).
Zum französischen CRS-Beamten liest man:
Im Rahmen der Einsatzvorbereitung des Castor-Transports 2010 ist zwischen Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland der gegenseitige Austausch von Verbindungsbeamten vereinbart worden. (...) Herr Jean-Luc Taltavull, Polizeiattache der Französischen Botschaft Berlin, war in der Zeit vom 05.-08. November 2010 bei der Gesamteinsatzleitung der Polizeidirektion Lüneburg als Verbindungsbeamter anwesend. Herr Taltavull hat in allgemeinen Gesprächen am 07. oder 08. November gegenüber Kriminaldirektor Ludwig-Dücomy mehrfach erwähnt, dass französische Beamte der Police Nationale (CRS) als Beobachter im Rahmen der gemeinsamen Kooperation verschiedene Einheiten der Bundespolizei im Einsatz begleiten würden. Er beabsichtigte, sofern die Einsatzlage dies zuließe, diese Beamten im Einsatzraum aufzusuchen. (...) Was die französischen Beamten im Einsatzgebiet so trieben, war der zuständigen niedersächsischen Polizeileitung angeblich nicht bekannt. Denn in deren Papier heißt es weiter " Seitens der PD Lüneburg erfolgte keine Einladung zu einer Einsatzbeobachtung oder –begleitung an Angehörige der französischen Polizei. Ihr war auch während des laufenden Einsatzes nicht bekannt, dass französische Beamte Einsatzmaßnahmen in Uniform und mit Ausstattung durchgeführt haben...
Papier des Niedersächsischen Innenministeriums
Die Echtheit der Fotos bezweifelt das Niedersächsische Innenministerium nicht an.
Fotos zeigen CRS-Beamte im Einsatz
Nach einer ersten Sichtung der 136 Bilder (...) lassen sich auf 17 der Bilder Personen erkennen, die eine Uniform der CRS tragen, und offensichtlich gegen Demonstranten einschreiten. Es ist nicht erkennbar, ob es sich jeweils um dieselbe Person handelt...
Papier des Niedersächsischen Innenministeriums
Später verbreitete das Bundesinnenministerium, ein französischer Polizeibeamter habe "im Rahmen des Einsatzes der Bundesbereitschaftspolizei" als "Beobachter" teilgenommen und seinen deutschen Kollegen aus einer "Notsituation" heraus befreit. Eine Darstellung, die nicht nur bei der Linken Ulla Jelpke einige Fragen aufwarf, zum Beispiel: "Warum wusste der Präsident der Bundespolizei nichts davon? Warum wusste die zuständige Einsatzleitung der niedersächsischen Polizei nichts davon? Warum führt ein Polizist, der nur beobachten soll, eine Schusswaffe mit?" Fragen, die noch eine Zeitlang den Innenpolitischen Ausschuss des Deutschen Bundestages beschäftigen werden.
Der Grüne Christian Ströbele, der sich im 17. Deutschen Bundestag eigentlich eher mit Afghanistan und Außenpolitik beschäftigt, richtete eine Schriftliche Frage an die Bundesregierung. Er wollte u.a. erfahren, warum die Bundesregierung in dieser Sache dem Bundestag bisher mit "unvollständigen und falschen Informationen beschieden habe?" Staatssekretär Klaus Dieter Fritsche, als früherer Vize-Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit Desinformation vermutlich vertraut, wies zunächst einmal "den Vorwurf der falschen Information zurück", um im Anschluss daran gleich weitere Halbwahrheiten zu verbreiten. So räumte er zwar nunmehr die Anwesenheit auch von russischen und türkischen Polizisten ein, verschwieg aber u.a. die Teilnahme polnischer, kroatischer und niederländischer Beamter.
Angesichts der mittlerweile auch durch Filmaufnahmen belegten "Einsätze" zumindest eines französischen Beamten wirken einige Antworten des Staatssekretärs etwas zynisch. So erklärte er:
Sowohl der Einsatz von deutschen Polizeikräften auf ausländischem Staatsgebiet als auch der Einsatz von ausländischen Polizeibeamten in Deutschland ist gängige Praxis und hat sich bewährt...
Klaus Dieter Fritsche