Populäre Linke: Warum ein Aufruf noch keine guten Wahlen macht
Linken-Politiker:innen um Sahra Wagenknecht werben für eine "populäre Linke". Doch weder die Krisenanalyse noch die Rezepte gegen die Krise sind überzeugend. Ein Kommentar
Vor dem Parteitag der Linken in Erfurt Ende Juni haben Linken-Politiker:innen um Sahra Wagenknecht einen Aufruf verfasst. Die Gruppe wirbt "Für eine populäre Linke!". Vor den jüngsten Wahlniederlagen wird gewarnt, dass die Linke in die Bedeutungslosigkeit verschwinden könnte, wenn weitergemacht wird wie bisher.
Sicherlich, irgendetwas muss passieren, um den Abwärtstrend zu stoppen. Es wäre fatal und ein Verlust, wenn links von der SPD, die sich lange schon von den Interessen und Bedürfnissen der arbeitenden Bevölkerung verabschiedet hat, ein Vakuum entstehen würde. Ein kraftvolle, progressive Linke wird also gebraucht: im Parlament oder besser noch in der Regierung.
Der Aufruf fordert eine Kursänderung. Die Partei solle sich wieder stärker auf die "Mehrheit der Bevölkerung, die Familien, die Rentnerinnen und Rentner und die sozial Benachteiligten" ausrichten. Es gehe um die "gemeinsamen Klasseninteressen". Dafür müsse eine "allgemein verständliche Sprache" gesprochen werden. Die Linke dürfe dabei nicht "abstoßend, ausgrenzend und verschreckend" erscheinen.
Es ist in moderater Form ein Vorwurf, den Sahra Wagenknecht schon seit Jahren der eigenen Partei in Talk-Shows und Büchern immer wieder vorhält: zu abgehoben, entfremdet von den normalen Bürger:innen, zu viel "Lifestyle-Linke" mit starrem Blick einzig auf urbane Milieus.
Aber ist das wirklich der Grund für die schlechten Wahlergebnisse? Und: Was soll denn konkret daraus folgen, was soll politisch anders gemacht werden? Bei beiden Fragen bietet der Aufruf nichts wirklich Überzeugendes und Handfestes.
Die Krise der Partei hat vielfältige Gründe. Sie lässt sich daher nicht so einfach mit Slogans und Aufrufen aus der Welt schaffen.
Im Osten ist die Krise der Linken am offensichtlichsten. Nur in Thüringen läuft es wegen des beliebten "Landesvaters" Bodo Ramelow besser. Ansonsten sind in den Ostländern bei Bundestags- wie Landtagswahlen starke Stimmeneinbrüche zu beobachten.
Auch die Zahl der Parteimitglieder nimmt im Osten rapide ab. Das liegt an der Überalterung der Mitgliedschaft. Es ist ein Prozess, der lange bekannt ist. Die Partei droht auszusterben, gibt es keine Verjüngung.
Die These, die im Aufruf jedoch mitschwingt, dass sich die Menschen von den urbanen "Lifestyle-Linken" abwenden und daher nicht links wählen, ist zumindest für den Osten nicht überzeugend. Immer wieder wurde dort Wahlkampf gemacht mit sozialen Themen, Ostalgie und einer Politik nah an den Menschen. Klimakrise, Minderheitenrechten oder urbane Identitätspolitik spielten nur eine untergeordnete Rolle. Es ging um Löhne, Mieten, Rente, Hartz IV.
Ein zentraler Grund für die Wahlniederlagen ist ein anderes Dilemma: Dort, wo die Linke mitregiert, macht sie allzu oft Politik in Widerspruch zu ihrem eigenen Programm. In Bremen zum Beispiel wurden mitten in der Pandemie von der rot-rot-grünen Regierung Kürzungen an den Krankenhäusern durchgesetzt.
In Berlin sind es Privatisierungen, in der Vergangenheit Wohnungsprivatisierungen (70.000 Wohnungen unter Rot-Rot), heute geht es um die S-Bahn und den Schulbau. In Brandenburg unterstützte die Linke die Kohleindustrie gegen die Klimabewegungen, in Thüringen griff man zur Abschiebepolitik.
Das alles untergräbt die Glaubwürdigkeit der Linken. Damit schaufelt sich die Partei langsam aber sicher ihr eigenes Grab – auch wenn die Spielräume für progressive Politik in Koalitionen natürlich eng sind. Das "virtuelle Parlament", die Wirtschaftslobbys, oft Hand in Hand mit den Mainstreammedien, trampelt ja im Hintergrund ständig mit den Füßen. Sich gegen diese Macht durchzusetzen ist nicht leicht.
Dazu kommen die Partei-internen Streitereien und eine Reihe von ungünstigen Umständen. Das Aufkommen der AfD hat nicht nur viele Linken-Wähler:innen dorthin abwandern lassen, sondern auch dazu geführt, dass andere Parteien Zulauf erhielten, aus Sorge, die AfD könnte stärkste Kraft in einigen ostdeutschen Landtagen werden.
Schließlich haben Themen, die in den letzten Jahren die Öffentlichkeit dominierten, die Linken auf dem falschen Fuß erwischt. So lösten die sogenannte "Flüchtlingskrise", die Klimaproteste, die Corona-Pandemie oder jetzt die Ukrainekrise Flügelkämpfe aus. Die Linke erscheint zunehmend in sich zerrissen und getrieben.
Es wäre daher falsch, statt sich den vielfältigen Problemen zu stellen, sie zuzukleistern mit einer Rhetorik des "Populären". Die Leute wollen konkrete Antworten auf konkrete Fragen. Es liegt ja nicht am Programm, dass die Linken weniger gewählt werden. Es liegt daran, dass viele meinen, dass es sich nicht mehr lohnt, bei ihnen das Kreuzchen zu machen.
Zudem sollte das, was prominente Linke in der breiten Öffentlichkeit sagen, mit der Politik und dem politischen Wertesystem zusammenpassen. Was "populär" zum Beispiel konkret heißen kann, konnte man beobachten, als Wagenknecht in der Flüchtlingskrise versuchte mit "verwirktem Gastrecht" und "kriminellen Flüchtlingen" am rechten Rand zu grasen, während sie gleichzeitig im Parlament als Fraktionsvorsitzende alle Beschlüsse der Partei zur Stärkung des Flüchtlingsschutzes mittrug. Das führt zu Verwirrung, Spaltung und Glaubwürdigkeitsverlust.
Im Aufruf werden schließlich die Prioritäten aufgelistet, auf die sich die Partei ausrichten soll: soziale Gerechtigkeit, Klima, Frieden, Demokratie. Alles richtig, alles aber auch nicht neu. Warum braucht man dafür einen Aufruf, der im Unterton erneut den Vorwurf trägt, dass "die Linke" sich nicht um die einfachen Menschen kümmert und dass sich das ändern muss. Ich sehe nicht, wohin das führen soll.
Krisen gegeneinander ausspielen wird nicht funktionieren. Stattdessen sollte man sich linke Erfolge in anderen Ländern anschauen. Progressive Demokraten um Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez in den USA oder Jeremy Corbyn von der Labour Party in Großbritannien haben es verstanden, eine Sogwirkung zu entfalten.
Sie verbinden die unterschiedlichen Krisen und auch die sozialen Milieus auf ihre ganz eigene Weise; sie haben es geschafft, linke Politik in einem Gesamtpaket unter dem Titel "Green New Deal" vielen Bürger:innen als Gewinn, als anstrebenswert und realistisch anzubieten. Eine Linke muss eben auf allen Gebieten zugleich progressive, wertegebundene Lösungen anbieten.
Sicherlich, Joe Biden wurde letztlich demokratischer Präsidentschaftskandidat und Boris Johnson gewann gegen Corbyn. Auch für die Linken in Deutschland gibt es keinen Königsweg aus der Krise. Klar ist aber: Die Partei muss jünger, moderner, in sich geschlossener werden, um Strahlkraft zu entfalten. Leichter gesagt als getan.