Portugal: Wohnungspreise auf globalem Top-Niveau und Löhne weit unten
Massive soziale Proteste weiten sich aus. Die Zeit des sozialen Friedens für die sozialistische Regierung ist vorbei.
"Von hier aus werde ich ins Krankenhaus kommen", ist der Lehrer und Vize-Direktor einer Schule in Viana do Castelo angesichts der Halsstarrigkeit der portugiesischen Regierung überzeugt.
Da außergewöhnliche Situationen auch außergewöhnliche Maßnahmen erfordern, ist Luís Sottomaior am Dienstag in einen unbefristeten Hungerstreik in der kleinen Küstenstadt im Norden des Landes getreten. Vor der Schule wurde ein Kampagnenzelt errichtet und in einem Wohnmobil wird der Lehrer nun seinen Protest fortführen.
Aussitzen in Lissabon
Er fordert ein Einschreiten vom beliebten christdemokratischen Staatspräsidenten Marcelo Rebelo de Sousa, um die Lehrer in ihrem Kampf gegen Lehrermangel, für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne zu unterstützen.
Auch Ostern ist ohne Einigung vergangen und Sottomaior wirft der sozialistischen Regierung unter Antonio Costa vor, die Streiks und die zum Teil riesigen Demonstrationen schlicht zu ignorieren. Die Sozialisten (PS), die mit absoluter Mehrheit seit einem Jahr regieren, würden versuchen, das Problem auszusitzen, so der Vorwurf.
Die Regierung wolle die Lehrerschaft "müde" machen, deshalb wolle er, Luís Sottomaior, nun "einen anderen Weg einschlagen". Der Präsident müsse zum Schutz der Demokratie eingreifen. Der Lehrer hält ein Protestschild in die Höhe vor die Pressevertreter. "Gemeinsam für das öffentliche Schulsystem", ist darauf zu lesen.
Tatsächlich zieht sich der Konflikt inzwischen schon sieben Monate in die Länge, sieben Verhandlungsrunden führten zu keinem Ergebnis.
Mehr als 150.000 für Verbesserungen im Schulsystem
Die Lehrerinnen und Lehrer gehören zu der derzeit besonders dauerhaft und stark mobilisierten Berufsgruppe im Land. Immer wieder ziehen Zehntausende Menschen durch die Straßen der Hauptstadt. In der vermutlich größten Demonstration seit der Nelkenrevolution 1974 haben im Februar 2023 mehr als 150.000 Menschen für Verbesserungen im Schulsystem demonstriert.
Auch wenn die Lehrer längst "müde" seien, gesteht Sottomaior ein, würden "sie weiter mobilisieren und den Kampf fortführen". Einen neuen Höhepunkt sollen die Proteste am 25. April erreichen. Für den Jahrestag der Nelkenrevolution hat die Bildungsgewerkschaft (STOP) zu einem neuen riesigen Protest aufgerufen, in denen allgemein das öffentliche Schulsystem, die öffentlichen Dienstleistungen und die Demokratie verteidigt werden sollen.
"Gemeinsam sind wir stärker", lautet das Motto, das die verschiedenen Protestbewegungen zusammenbringen soll. Gleichzeitig wollen die Lehrer erneut vom 24. bis zum 28. April streiken.
Durchschnittlich 1.200 Euro im Monat
Die Lehrer sind nur eine der Berufsgruppen, die dauerhaft protestieren. Sie verdienen zwar mit durchschnittlich 1.200 Euro mehr als der Durchschnitt der Beschäftigten, aber auch sie haben das Problem, dass man von einem solchen Lohn in den Ballungszentren kaum leben kann.
Eine hohe Inflation, die offiziell überdurchschnittlich hoch für die Eurozone noch bei acht Prozent liegt, hat auch dieser Berufsgruppe schwer zugesetzt. Obendrein werden Überstunden nicht gezahlt, Dienstjahre nicht angerechnet und Beförderungen verschleppt werden. Dazu kämen ständige Versetzungen und das Gefühl, dass ihnen kein Respekt mehr gezollt werde. Man dürfe Schülern nicht einmal die Handys abnehmen, wenn sie die mitten im Unterricht benutzen, heißt es.
Die Lehrerschaft sei ausgelaugt und überaltert, kämpfe aber vor allem für das Recht auf Bildung für alle, insbesondere für das Recht auf eine angemessene Bildung derer, "die über geringere Einkommen verfügen", zitiert sogar die rechtsliberale Zeitung Observador den Pädagogik-Professor Santana Castilho.
Der sah schon im Winter einen "Sturm" aufziehen und war überzeugt, dass jemand den "Schrei zur Revolte" ausstoßen müsse. Es gehe um einen existenziellen Kampf, ist er überzeugt:
Entweder gewinnen die Lehrer oder das Land verliert.
Santana Castilho
Die Regierung versuche, einen Patienten auf der Intensivstation mit Placebo-Medikamenten zu behandeln, verbildlicht der Experte Marco Bento die Wut auf die Regierung.
Noch mehr Streiks
Zu den Streiks der Lehrer kommen noch viele andere Streiks hinzu, sogar die Beschäftigten in der Justiz streiken schon seit zwei Wochen, wie Beschäftigte im Gesundheitswesen.
Die Streiks von Eisenbahnern für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen rissen nicht einmal über die Ostertage ab. Auch dieser Konflikt mit der Regierung dauert schon seit Monaten und wird sich vermutlich über den gesamten April ziehen, da bisher kein Einlenken der Regierung in Sicht ist.
Die Zahl der Streiks hat, seit die Sozialisten seit einem Jahr ohne linksradikale Unterstützter regieren, stark zugenommen. Es rächt sich, dass die Wähler in einer Angstwahl den Sozialisten eine absolute Mehrheit verliehen haben. Ohne Zugeständnisse an linksradikale Unterstützer, können die nun durchregieren.
Dabei ging Costa im Wahlkampf vor allem mit den Maßnahmen hausieren, die ihm der Linksblock (BE) oder die Kommunisten abgerungen hatten. Das räumte auch die Sozialistin und ehemalige Präsidentschaftskandidatin Ana Gomes gegenüber dem Autor ein. Sie glaubte nicht, dass Costa weiter eine linke Politik machen würde, nachdem er linksradikalen Ballast abwerfen konnte.
Die streitbare Sozialistin behielt recht. So müssen die ehemaligen Bündnispartner und die Gewerkschaften wie angekündigt verstärkt auf Kämpfe auf der Straße und in den Betrieben setzen.
Den sozialen Frieden hat Costa für eine sozialdemokratische und neoliberale Politik geopfert, die ihm nun auf die Füße fällt. Allein im Januar gab es mehr als 300 Streikankündigungen, das waren mehr als dreimal so viele wie noch im Vorjahr.
Ständig steigende Mieten und Wohnungspreise
Zu den Streiks kommen aber auch die große Mobilisierung wegen der Wohnraum-Problematik hinzu. Denn nicht nur die Inflation, sondern die steigenden Mieten und Wohnungspreise rauben der Bevölkerung viel Kaufkraft. Am 1. April haben Zehntausende Menschen zugleich in sieben Städten des Landes für "menschenwürdige Wohnungen für alle" demonstriert.
In Lissabon erklärte die Wohnraum-Lage die Linksblock-Chefin Catarina Martins zum größten Problemen des Landes. Während die Wohnungen in Portugal "zu den teuersten der Welt" gehörten, seien die Löhne der Portugiesen "mit die niedrigsten in Europa", sagte sie mit Blick auf den niedrigsten Mindestlohn in Europa von nur 760 Euro.
Sie forderte, endlich die Steuervorteile für Investmentfonds zu streichen. Denn das sähen auch neue angekündigte Maßnahmen der Regierung nicht vor. Auch hier werde ein Patient auf der Intensivstation mit Placebo behandelt, ist die allgemeine Stimmung im Land, die bedrohlich für die Regierung wird.
Tatsächlich, so ist auch bei der europäischen Statistikbehörde Eurostat zu lesen, gehört Portugal zu den Ländern, in denen die Mieten und Kaufpreise für Wohnungen in Europa stärksten steigen. In der Hauptstadt Lissabon oder Porto stiegen die Mieten allein in den letzten fünf Jahren um etwa fünfzig Prozent.
Im Durchschnitt sind die Kaufpreise zwischen 2010 und 2022 um fast 80 Prozent gestiegen, die Löhne dagegen nur um 30 Prozent. Während die Immobilienpreise in Europa im letzten Quartal 2022 wieder gesunken sind, sind sie in Portugal weiter gestiegen.
In Lissabon sind die Mieten heute schon ähnlich teuer wie in Mailand oder Barcelona. Oft müsste der gesamte Lohn für eine Miete aufgebracht werden, beim Mindestlohn, den etwa ein Drittel aller Beschäftigten erhalten, reicht der dann oft nicht einmal aus. Ein Problem sind aber auch die vielen Touristenwohnungen in dem beliebten Urlaubsland. Auch sie haben den Preisdruck stark erhöht.
Dazu kommt aber auch die Politik, digitale Nomaden massiv ins Land zu ziehen, die für ausländische Firmen arbeiten.
Mit den Mieten, die sie in Ballungszentren bezahlen können, kann die einheimische Bevölkerung nicht mithalten, die Gentrifizierung schreitet darüber verstärkt voran. Nach offiziellen Angaben stehen mehr als 700.000 Wohnungen leer, oft aus Spekulationsgründen.