Portugal bleibt bis 2045 unter Troika-Aufsicht
Die von Gabriel geforderte Lockerung zum Abbau von Defiziten wurde Ländern wie Portugal und Irland längst gewährt
Als Portugal im Mai aus dem europäischen Rettungsschirm ausgestiegen ist, feierte die konservative Regierung einen "sauberen Abschluss". Sie entschied sich gegen die Bereitstellung präventiver Kreditlinien, um die "finanzielle Eigenständigkeit" zurückzuerhalten, sagte Ministerpräsident Pedro Passos Coelho (Einbruch mit dem Austritt aus dem Rettungsschirm). Doch nun hat die portugiesische Tageszeitung "Público" berichtet, dass das Land darauf noch mehr als drei Jahrzehnte warten muss. Bis mindestens 2045 werde Portugal noch von internationalen Geldgebern kontrolliert, schreibt die große Zeitung.
Daher ist es auch kein Wunder, dass Coelho nun neue Steuererhöhungen nicht ausschließt, um den diktierten Sparhaushalt auszugleichen. Denn er muss 1,3 Milliarden Euro auftreiben, weil kürzlich das Verfassungsgericht ihm erneut einen Strich durch seine Spar- und Kürzungspolitik gemacht hat. Verfassungswidrig ist genauso die geplante Kürzung von Gehältern im öffentlichen Dienst, die 675 Euro monatlich übersteigen, wie die Besteuerung von Arbeitslosen- und Krankengeld sowie Einschränkungen bei Hinterbliebenenrenten. "Es dürfe keine Maßnahme ausgeschlossen werden", erklärte Coelho am Mittwoch seine Bereitschaft, der darbenden Bevölkerung weiter Lasten aufzubürden und Kaufkraft zu entziehen.
Damit sollen die Auflagen der Troika auch nach dem Ausstieg aus dem Rettungsschirm erfüllt werden. Die Aufseher der Troika, die aus Internationalem Währungsfonds (IWF), EU-Kommission und Europäischer Zentralbank (EZB) besteht, sollen sich schrittweise aus dem Land zurückziehen, damit bleibt Portugal noch viele Jahre deren Politik erhalten. 2021 soll sich zunächst der IWF aus den halbjährigen Kontrollbesuchen der Troika-Vertreter zurückziehen, mit denen neben dem Haushalt auch weiter die Einhaltung der Stabilitätsziele geprüft werden sollen.
Die EU--Kommission soll bis 2037 an den Prüfungen teilnehmen und sich erst zurückziehen, wenn 75 Prozent der Hilfskredite im Umfang von 78 Milliarden Euro zurückgezahlt seien. Sogar bis 2045 soll der Rettungsfonds (EFSF) weiter kontrollieren. Erhofft wird, dass das Land dann die Kredite komplett zurückgezahlt haben wird. Über mehr als 30 Jahre soll also die Finanz- und Haushaltspolitik überwacht werden, um die Rückzahlung der Kredite sicherzustellen. Mit einem "Frühwarnsystem" sollen mögliche Ausfälle oder Aufschübe schnell aufgedeckt werden.
Ein realer Schuldenabbau findet nicht statt
Anders als einst geplant, soll auch dieses Land wie Irland nicht sofort mit der Rückzahlung der Kredite beginnen, sondern erst ab 2023. Auch in Irland wurde die Rückzahlung auf den St. Nimmerleinstag verschoben, um einen "Erfolg" zelebrieren zu können. Deshalb bekam auch der zweite angebliche Musterschüler Portugal deutlich mehr Zeit.
Dabei kam man beiden Ländern bei der Erreichung der Stabilitätsziele deutlich entgegen. Einst vereinbarte Defizitziele wurden mehrfach nach oben korrigiert. Wie Irland tut sich auch Portugal weiter schwer damit, das Haushaltsdefizit auf die geforderten drei Prozent zu senken. Irland wies Ende 2013 noch 7,2 Prozent aus und Portugal schaffte mit einmaligen Privatisierungserlösen 4,9 Prozent. Eine beginnende Rückzahlung würde die Defizite sofort deutlich ansteigen lassen.
Die Stundung der Hilfskredite bis 2023 ist ein Zeichen dafür, wie fraglich es ist, dass sie je zurückgezahlt werden können. Beide Länder entfernen sich mit der Staatsverschuldung immer weiter vom Stabilitätsziel, nach dem die Schulden im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung nur 60 Prozent betragen sollen. In Irland lag die Quote zum Jahresende bei 124 Prozent und in Portugal schon bei 129 Prozent. Der Anteil der Steuereinnahmen, die für Schuldendienst ausgegeben werden müssen, steigt weiter. Daran ändert nicht, dass sich die Länder wieder zu günstigeren Konditionen Geld an den Kapitalmärkten leihen können.
Da die Kriterien und Ziele längst aufgeweicht wurden, kann man die Kritik an den Äußerungen von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) auch als vorgezogenes Sommertheater bezeichnen. Der hatte angeregt, Krisenländern für Reformen durch eine Lockerung der Bedingungen mehr Zeit zum Abbau der Defizite zu geben. Dabei ist das nur die Fortsetzung dessen, was ohnehin längst läuft. Er forderte "mehr Ehrlichkeit in der Debatte".
Wäre das ernst gemeint, müsste das auch das Eingeständnis einschließen, dass es eine Entschuldung der Krisenländer geben muss, wenn die wieder eine Chance bekommen sollen. Denn deren Schulden sind mit der "Rettung" erst richtig explodiert. Ein realer Schuldenabbau findet nicht statt. Und wenn es Portugal ab 2023 doch gelingt, Hilfskredite abzuzahlen, dann wird das aller Voraussicht nach nur über neue Schulden an anderer Stelle geschehen. Krisenländer benötigten enorme Wachstumsraten, um real Schulden abzubauen. Solche Raten sind nicht in Sicht. Portugals Wirtschaft ist im ersten Quartal 2014 gegenüber dem Vorquartal sogar wieder um 0,7 Prozent geschrumpft.
Nun wird aber durch einen neuen Trick scheinbar Wachstum erzeugt, denn es werden illegale Geschäfte wie Drogenhandel und Prostitution in die Wirtschaftsleistung einbezogen, womit auch Defizit und Schuldenquote gesenkt werden ("Wachstum" durch Drogenhandel, Prostitution und Tabakschmuggel). Portugal ist schon einmal vorgeprescht und hat die Wirtschaftsleistung um 700 Millionen Euro erhöht. Der Anteil solcher Geschäfte, die schon zuvor teilweise eingerechnet worden waren, erhöhte sich auf 13% der Wirtschaftsleistung, die nur noch geschätzt wird.