Potsdam-Treffen zu "Remigration": Correctiv-Redaktion setzt ihre Meinung durch
Redaktion siegt in zweiter Instanz. Doch der Streit greift zu kurz. Problematisch sind die politische Rolle von Correctiv und die Wirkung des Berichts. Eine Einordnung.
Das Recherchenetzwerk Correctiv hat vor dem Oberlandesgericht Hamburg einen juristischen Sieg errungen. Es geht um die Berichterstattung über ein Treffen von Rechtsextremen, Rechtskonservativen und AfD-Funktionären, das im November in einer Villa am Lehnitzsee bei Potsdam stattfand.
Dort wurden laut Correctiv Pläne für eine sogenannte "Remigration" – ein Euphemismus für die massenhafte Abschiebung von Migranten – und möglicherweise auch von Deutschen mit Migrationshintergrund diskutiert.
Gericht: Entscheidung zugunsten von Correctiv
Seit der Veröffentlichung des Berichts im Januar dieses Jahres ist eine hitzige Debatte um die Interpretation des Treffens und der dort besprochenen Themen entbrannt. In zwei Fällen hat das Oberlandesgericht Hamburg nun über Punkte verhandelt, die zuvor vom Landgericht nicht beanstandet worden waren.
Das Urteil fiel in beiden Fällen zugunsten von Correctiv aus.
Beschwerde von Ulrich Vosgerau zurückgewiesen
Einer der Beschwerdeführer war der Staatsrechtler Ulrich Vosgerau, der in erster Instanz in einem von drei Punkten Recht bekam. Er hatte unter anderem kritisiert, dass seine Äußerungen in der Berichterstattung nicht korrekt wiedergegeben worden seien.
Lesen Sie auch
Täter von Magdeburg: Kein Islamist, sondern Islamhasser?
Elon Musk und die Rettung Deutschlands: Bald Millionen-Geldregen für die AfD?
Habeck-Absage: Wie ein TV-Duell mit AfD-Kandidatin Weidel hätte enden können
AfD als Arbeiterpartei? Wie eine neue Studie diese These entlarvt
Bundestag ringt um AfD-Verbot: Das letzte Gefecht vor der Neuwahl
Das Oberlandesgericht wies seine Klage jedoch ab. Der Artikel erwecke keinen "unzutreffenden Eindruck" von der Rechercheanfrage an Vosgerau, wie dessen Anwalt behauptet hatte, so die Richter. Auch seien seine Antworten nicht unzulässig "verkürzt wiedergegeben" worden.
Keine "Prangerwirkung" durch Nennung von Klaus Nordmann
Auch Klaus Nordmann, der in der Berichterstattung von Correctiv als "AfD-Großspender" genannt worden war, scheiterte mit seiner Klage.
Das Gericht entschied, dass die Nennung seines Namens "auch und gerade im Kontext der Berichterstattung zulässig" sei. Von einer "Prangerwirkung" könne keine Rede sein. Mögliche negative Auswirkungen der Berichterstattung müsse Nordmann hinnehmen.
Beide Entscheidungen haben vorläufigen Charakter. Sowohl Vosgerau als auch Nordmann haben die Möglichkeit, ein sogenanntes Hauptsacheverfahren anzustrengen.
Klärung durch das Gericht
Für die Journalisten von Correctiv ist ein Absatz des Urteils besonders wichtig, in dem die Richter die Darstellung der Gegenseite widerlegen. Der Anwalt der Potsdamer Teilnehmer hatte behauptet, Correctiv habe klargestellt, dass die Darstellung einer Abschiebung deutscher Staatsbürger nach rassistischen Kriterien falsch sei.
Dem widerspricht das Oberlandesgericht. "Das Gericht hat klargestellt, dass wir von dem damaligen Kern nichts zurückgenommen haben und beide Klagen keinen Erfolg hatten", schreiben die Macher von Correctiv auf LinkedIn. "Was wir schrieben, steht."
Kampf mit eidesstattlichen Erklärungen
Der Chefredakteur des Onlinemagazins Legal Tribune Online, Felix W. Zimmermann, hatte sich aus fachlicher Sicht mit der Substanz der Vorwürfe auseinandergesetzt.
Vosgerau, schreibt der Berliner Jurist Zimmermann, werde von Rechtsanwalt Carsten Brennecke vertreten, der zu Beginn des Rechtsstreits seinem Unterlassungsantrag sieben eidesstattliche Versicherungen beigefügt habe. Eine davon stammt von Vosgerau selbst, sechs weitere von anderen Teilnehmern des Potsdamer Treffens. Sie versichern, dass bei dem Treffen keine Abschiebungen von Bürgern mit deutschem Pass besprochen oder geplant worden seien.
Lesen Sie auch
Treffen der AfD in Potsdam: SWR stolpert über Correctiv-Berichterstattung
Leak oder Diebstahl? Wie der Datenstreit zwischen BSW und Correctiv zu bewerten ist
Datenleck bei Wagenknecht-Partei: Durfte Correctiv BSW-Mitglieder anschreiben?
Datenleck oder Hackerangriff? Angaben von BSW-Mitgliedern landen bei Correctiv
Halbe Wahrheiten, ganzes Problem: Journalismus auf dem Prüfstand
Correctiv reagierte darauf mit acht eidesstattlichen Erklärungen eigener Mitarbeiter. Diese versichern, dass ihre Quellen den im Artikel geschilderten Inhalt der Veranstaltung korrekt wiedergegeben haben.
Interessanterweise geht es in dem Gerichtsverfahren nicht um die Kernvorwürfe des Correctiv-Berichts. Vosgerau verlangt lediglich die Unterlassung von Äußerungen, die seine eigene Person betreffen. Die Kernvorwürfe rund um das "Remigrationskonzept" werden weder von ihm noch von anderen Teilnehmern des Treffens gerichtlich angegriffen.
Kernvorwürfe als zulässige Meinungsäußerung
Vosgeraus Anwalt Brennecke erklärte gegenüber der Welt, der Artikel von Correctiv enthalte viele Wertungen, die man äußerungsrechtlich nicht angreifen könne, weil es sich nicht um Tatsachenbehauptungen handele. Dies betreffe insbesondere die Behauptung, auf dem Treffen sei über die Abschiebung deutscher Staatsbürger nach rassistischen Kriterien gesprochen worden.
Correctiv sieht eigene Aussagen als Meinungen
Correctiv selbst sieht die zentralen Aussagen der Recherche als Meinungen und nicht als Tatsachenbehauptungen. Das Medium antwortete auf Anfrage der Legal Tribune Online, dass der Artikel "in weit überwiegendem Umfang streng faktisch gehalten sei" und viele Tatsachenschilderungen enthalte. Es habe "keine Flucht in das Werturteil" gegeben.
Doch auf die Konfrontation mit den oben zitierten Aussagen im Correctiv-Bericht, etwa zu Vertreibungsplänen gegenüber Millionen Menschen wegen "falscher Hautfarbe oder Herkunft", heißt es, es handele sich um "Überzeugungen", "unsere Auffassung", "wertende Schlussfolgerungen", "allerdings auf sehr dichter und belastbarer faktischer Basis." Also um Meinungen und keine Tatsachenbehauptungen.
Felix W. Zimmermann
Einigkeit zwischen Angreifer und Verteidiger
Erstaunlich ist, dass sowohl Vosgeraus Anwalt als auch Correctiv zentrale Aussagen der Correctiv-Berichterstattung als zulässige Meinungsäußerungen einstufen. Die Berichterstattung wird also von beiden Seiten als zulässig angesehen und nur in Details zu einzelnen Teilnehmern angegriffen - was nun in zweiter Instanz in Hamburg gescheitert ist.
Politisch ist der Fall insofern fragwürdig, als Meinungsäußerungen juristisch als solche diskutiert und verteidigt, in der Öffentlichkeit aber als Sachurteil verstanden werden. Damit bewegt sich Correctiv an der Grenze zwischen Journalismus und Aktivismus, was dem Medium auch immer wieder vorgeworfen wird.
Das Prinzip der Trennung von Meinung und Nachricht wurde in der Berichterstattung über das auch wertfrei mehr als fragwürdige Treffen in einer Potsdamer Villa eklatant verletzt. Dies wiegt umso schwerer, als die durch Wertungen bewusst tendenziöse Berichterstattung faktische Macht entwickelte: Nachdem die Geschichte über das Potsdamer Treffen online gegangen war, demonstrierten bundesweit 100.000 Menschen gegen die AfD.
Dass Correctiv öffentliche Gelder erhält und Regierungsvertreter bei diesen Demonstrationen anwesend waren, sollte eher Gegenstand der Debatte sein als das juristische Geplänkel, das derzeit zwischen der politischen Rechten und Correctiv geführt wird.