Prada, Prada, Prada!

Bret Easton Ellis' Roman "Glamorama": situationistisches Meisterwerk?

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Vor sieben Jahren sorgte ein Roman für einen Skandal, der weit über die Grenzen der Feuilletons hinauswirkte. Die detailliert beschriebenen Grausamkeiten des "American Psycho" Patrick Bateman waren dem Verlag der Erstausgabe so unerträglich, dass er kurzerhand alle Exemplare wieder einzog und einstampfen ließ. Frauenverbände in den USA verstanden das Buch als Mordaufruf, und noch heute findet man den Roman in Deutschland in keinem Buchhändlerregal, sondern muss an der Kasse danach fragen.

Seitdem hat Autor Bret Easton Ellis zwei Persönlichkeiten, wie er in Gesprächen immer wieder betont: ein Medien-Image als Bad Boy der amerikanischen Literatur, dass seiner Figur Bateman sehr ähnlich ist; und eine verborgene Persönlichkeit als eher zurückhaltender Autor, der mit Erstaunen auf das Spektakel blickt. Von dieser Spaltung zwischen privatem und öffentlichem Selbst handelt nun seiner neuer Roman "Glamorama", der soeben auf Deutsch erschienen ist.

Inzwischen gilt "American Psycho" als satirisches Meisterwerk über die Yuppie-Kultur der frühen Neunziger und hat die höheren Weihen der Hochkultur erhalten. An deutschen Theaterbühnen gibt man dramatisierte Fassungen des Stoffs und Harald Schmidt schärfte vor kurzem sein subversives Profil mit einigen Lesungen aus dem Roman. Es folgte ein jubilierender Aufmacher im Feuilleton der "Zeit", wo "American Psycho" gleich zum wichtigsten Buch der Nachkriegszeit erklärt wurde. Die Assimilation des verstörenden Werkes in den Kanon der bürgerlich-erbaulichen Literatur scheint damit abgeschlossen.

Was die Werke von Ellis und insbesondere seinen neuen Roman "Glamorama" so faszinierend macht, ist das Selbstbewusstsein, mit dem sie im Spannungsfeld zwischen vergänglichem Oberflächen-Phänomen und tiefschürfender Kultur angesiedelt sind. Schon der Titel des neuen Werks klingt so angenehm wie "Gucci" oder das auf fast jeder Seite anzutreffende "Prada". Der Einband, von dem einem die Gesichter von Keanu Reeves, Kate Moss, Lady Di und anderer Celebrities entgegenblicken, weist das Buch als Ware aus, die durch eine möglichst angenehme Verpackung Aufmerksamkeit erregen muss. Doch hat man dann sein Geld investiert und lehnt sich in Erwartung eines hippen Lesevergnügens im Sessel zurück, stößt man wenig später auf ein Zitat von Hitler, dass dem Roman vorangestellt ist: "Wer den Nationalsozialismus nur als politische Bewegung versteht, weiß fast nichts von ihm." Dreht man das Zitat um, erhält man vielleicht eine Aufforderung an den Leser: Wer diesen Roman als rein ästhetisches Lesevergnügen betrachtet, weiß fast nichts von ihm.

Anfangs macht es Ellis dem Leser schwer, sein Lese-Vergnügen hintanzustellen und nach tieferen Bedeutungen zu suchen. Seine Schilderung von zwei Tagen aus dem Leben von Victor Ward, "It-Boy of the Moment", Model, dumm wie Brot und kurz vor der Eröffnung seines eigenen Clubs in New York, ist ein satirisches Meisterwerk für sich. Victor ist die perfekte Verkörperung einer Welt, in der sich alles um das äußere Image dreht, um Medien-Präsenz, perfekt durchgestylte Körper und den neuesten Hype. Langzeit-Bindungen gibt es in dieser Welt ebensowenig wie Erinnerungen oder Geheimnisse. In ihrem Bestreben nach der marginalen Differenz, die sie zum begehrten Objekt für die in jeder Szene präsenten Kameras zu machen, sind sich die Models und Stars zum Verwechseln ähnlich. Die Identitäten verschwimmen, vor allem Victor selbst wird ständig auf Shows gesichtet, die er nie besucht hat, oder mit anderen Models verwechselt. Die Unterhaltungen drehen sich um Klamotten, Klubs und Foto-Shootings, die man gerade hinter oder noch vor sich hat. Eine eitle und oberflächliche Welt also, die Ellis mit einer spannenden Ambivalenz zwischen Faszination und Verachtung reproduziert und satirisch auf die Spitze treibt.

Doch bei fortschreitender Handlung häufen sich die Irritationen: Victor hat nicht nur einen Doppelgänger, er entpuppt sich auch als Star eines oder mehrerer Filme, deren Handlungen einander überlappen. Immer häufiger offenbaren sich Handlungsorte als Kulissen, Dialoge stammen aus immer wieder veränderten Drehbüchern, Szenen werden wiederholt. Nach dem Scheitern seines Clubs und diverser Affären tritt Victor schließlich eine Reise nach London an. Dort soll er für einen geheimnisvollen Auftraggeber eine alte Schulfreundin finden. Was erst wie seine Befreiung aus dem New Yorker Medienrummel wirkt, ist aber nur eine weitere Plot-Wendung, und auch an Bord der "Queen Elizabeth 2" ist Victor von Kameras umgeben. Vom satirischen Gesellschaftsporträt mutiert der Roman so zusehends zu einem surrealen Thriller, der ganz postmodern mit den Realitätsebenen spielt. Je weiter sich der Roman von einem Realitätsbegriff weg bewegt, desto mehr häufen sich die für Ellis typischen Gewalt-Szenen. Auf der Suche nach seiner Bekannten landet Victor bei einer Terrororganisation, die aus hochbezahlten Supermodels besteht. Diese naheliegende Verbindung, leben doch beide Berufsgruppen von der Aufmerksamkeit der Medien, nutzt Ellis zu einer harschen Kritik am medialen Status Quo. Detailliert beschriebene Bomben-Attentate und Folterungen erweisen sich nicht als Einbrüche des Realen in eine Welt der schönen Oberflächen, sondern als Apotheosen des durchgestylten Medien-Events. Im Zentrum des Spektakels steht immer der Körper, ob als durchtrainierte Model-Oberfläche oder als kamerataugliches Arrangement verschiedener Körperteile.

Es ist wohl kein Zufall, dass an einer Stelle Victors Blick auf "Gesellschaft des Spektakels" von Guy Debord fällt, der Bibel der Situationisten, in dem sich eine klare Analyse der Funktionsweise der Massenmedien und Vorschläge für Gegenstrategien finden. Debord erkannte schon in den 60 Jahren, dass nicht mehr direkte Interventionen (=Terroranschläge), sondern nur noch mediale Eingriffe die Gesellschaft verändern konnten. Als ein solcher Eingriff gelesen, der sich der heutigen Medienlandschaft und des Starkults bedient, um sie zu verändern, ließe sich "Glamorama" vielleicht als situationistisches Meisterwerk verstehen. Ellis bedient sich geschickt des um ihn gemachten Star-Rummels und platziert mit seinem neuen Medien-Event/Roman eine weitere Bombe im Getriebe der Aufmerksamkeitsökonomie. Wem das zu weit geht, der kann sich trotzdem auf eine Lektüre voller Sex, Gewalt und bissiger Satire freuen, die er morgen wieder vergessen haben wird.

Bret Easton Ellis: Glamorama, Kiepenheuer & Witsch, 679 Seiten