Pressefreiheit und Corona: "Panik ist kein guter Ratgeber"

Seite 2: Private Zensur und staatliche Verantwortung

Indes tobt eine Debatte über das, was mit Blick auf die Pandemie und vor allem die Pandemie-Politik zu sagen erlaubt ist – und wer sprechen darf. Wie ist es zu bewerten, wenn jetzt Anbieter sozialer Medien darüber entscheiden und Inhalte sperren?

Sabine Schiffer: Genau das sind die Auswüchse, vor denen ich warne. Es hat ja in der Vergangenheit schon Versuche gegeben, über anschlussfähige Themen Zensurmöglichkeiten zu implementieren; etwa beim Kampf gegen Kinderpornografie oder Hate Speech, beides legitime Anliegen.

Was damals noch Ursula von der Leyen die Beschimpfung "Zensursula" einbrachte, mündet heutzutage in ein Netzwerkdurchsetzungsgesetz – kurz: NetzDG –, das eine Art Public Private Partnership mit Online-Diensten befördert. Damit werden nicht genau definierte problematische Inhalte gelöscht oder Anbieter gesperrt und somit vielleicht sogar Beweismittel vernichtet. Und das alles ohne juristische Prüfung.

Das ist zwar jetzt nachjustiert worden mit dem Gesetz gegen Onlinehetze seit dem 1. April. Aber nun müssen wir erst einmal sehen, ob sich die Verfolgung von Straftatbeständen auch bewährt, oder das ganze zum Abgreifen von Nutzerdaten degeneriert.

Muss der Gesetzgeber nicht aber regulierend eingreifen?

Sabine Schiffer: Ja, aber die bestehenden Rechtsgrundlagen reichen dafür meiner Meinung nach aus. Man müsste sie nur konsequent anwenden - und das natürlich auch im Online-Bereich, wo die wenigsten Täter nicht auszumachen sind. Genau das ist in der Vergangenheit zu oft nicht geschehen.

Ich selbst wurde strafrechtlich verfolgt, weil ich über einen Unternehmensberater berichtet hatte, der auf Facebook eine Morddrohung gegen eine Kasseler Professorin gepostet hatte - unter seinem Klarnamen. Er hatte mich wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen angezeigt. Ich und auch die taz, die damals ebenfalls darüber berichtet hatte, wir wurden zwar in der zweiten Instanz freigesprochen, aber die Morddrohung wurde bis heute nicht verfolgt. Das sind die falschen Signale und leider nicht die einzigen.

Bisherige Ignoranz schafft nun aber Räume für Gesetzesverschärfungen, die Datenzugriffe erlauben, bei denen wir noch gar nicht absehen können, wie und in welchem Ausmaß sie künftig genutzt werden können.

Kann der Gesetzgeber aber regulierend eingreifen, wenn er doch selbst Partei in der laufenden Debatte ist? Das Landgericht München hat etwa eine Kooperation des Internetkonzerns Google mit dem Gesundheitsministerium gestoppt, mit dem die ministerialen Informationen über die Corona-Pandemie vorrangig verbreitet worden wären.

Sabine Schiffer: Genau das ist das Problem. Sowas geht gar nicht, jedenfalls nicht in einer Demokratie. Mir scheint, wir werden um die Freiheit der Medien noch und vielleicht noch mehr kämpfen müssen.

Dass die Politik hier Einfluss und Kontrolle will, ist ja ein Klassiker; so ist das ZDF entstanden und auch der private Rundfunk. Auch die Entstehungsgeschichte des Presserates als Abwehr gegen staatliche Kontrolle zeugt von diesem Disput. Aber wenn Medien-Hochschulen und Journalistenverbände ihre Ausbildung im Kontext von Google-Kooperationen auf deren Recherche-Tools beschränken und sich über Google zusätzliche Einnahmen versprechen, dann ist das zumindest sehr, sehr kurzsichtig.

Wie bewerten Sie die bisherigen gesetzgeberischen Regelungen in Bezug auf private Sperrungen von Information im Netz; inwieweit hat Corona dieses Thema zugespitzt?

Sabine Schiffer: Tatsächlich scheint hier die Pandemie auch als Anlass genutzt zu werden, Pläne von mehr Kontrolle über oder gar Bekämpfung von unliebsamen Bloggern und nicht lizensierten Medien umzusetzen. Ich beobachte gerade – kann aber noch keine fundierten Aussagen darüber treffen –, ob nicht lizensierte Medien im Netz auch Lizenzen bekommen würden, wenn sie diese beantragen, oder einem Selbstkontrollorgan wie dem Presserat beitreten können, oder ob sie dann abgelehnt werden.

Die geschilderte Tendenz verengt Diskursräume und zieht eine falsche Grenze, weil ja Fake-News, Hass und Hetze keine Internetspezifika sind. Wenn wir beginnen, Diskursräume einzuschränken oder grundsätzlich infrage zu stellen, also auch die Einteilung in gute und schlechte Medien akzeptieren – ohne, dass dabei jetzt vermutlich jemand an die Murdoch-Medien denkt –, dann ist das der Sargnagel der Pressefreiheit, schleichend, aber unaufhaltsam, weil damit die Begründungen fürs Ausschalten von Medien einmal akzeptiert worden sind.

Klima in den Medien, Debatte unter Journalisten

Neben Gewalt und Zensur scheint die Pandemie das Debattenklima erheblich beschädigt zu haben. Zuletzt hat sich das an den harschen Reaktionen über die Kampagne #allesdichtmachen gezeigt. Was ist da geschehen?

Sabine Schiffer: Das ist ein – entschuldigen Sie die Wortwahl – schönes Beispiel für die Verengung von Debattenräumen durch die starke Polarisierung. Noch bevor klar war, was die Schauspieler genau wollten und wer hinter der Kampagne steckte, waren die Urteile vielfach schon gefällt und in Schubladen verstaut. Die Kampagne bestätigt also genau das, was man aus den Clips in ihrer satirischen Übertreibung herauslesen konnte: Es gibt nur noch ein dominantes Thema, Corona, das unser Leben bestimmt, und wer auf weitere Probleme und Gefahren aufmerksam macht, findet sich sofort in der Leugner-Szene wieder.

Nun mögen weder die Mittel als gelungen durchgehen, noch alle Beteiligten ein hehres Anliegen haben - schließlich gibt es bei einigen Drahtziehern tatsächlich eine Verbindung in die sogenannte Querdenker-Szene -, aber ein exemplarisches Pauschalurteil, wie das eines Jan Böhmermann verwundert denn doch. Denn gerade er hat mit seiner geschmacklosen Verunglimpfung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogans Maßstäbe gesetzt.

Wir sehen also eine Lagerbildung nicht nur in der Politik, in politischen Bewegungen auf der Straße, sondern auch in den Medien? Das wäre neu, oder hat es so etwas schon einmal gegeben?

Sabine Schiffer: Nun ja, unsere Medien gehörten klassisch diversen politischen Lagern an. Nun haben wir aber eine Tendenz - wie auch schon zur Zeit der akuten Ukraine-Krise 2014 und wohl schon voher – in deren Zuge die etablierten Medien unabhängig dieser politischen Verortung ein relativ einhelliges Stimmungsbild bieten (erinnern wir uns an den Kosovo-Krieg beispielsweise), wenn man von den Satireformaten des ZDF oder auch dem WDR-Magazin Monitor und einige andere kritische Hinterfragern absieht, allen voran Heribert Prantl.

Und während man in vielen Medien immer wieder Aufrufe zu mehr oder weniger Lockdown findet – dabei gäbe es ja noch andere Fragen in Sachen Corona-Schutz –, werden kritische Hinterfrager etwas der Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen sofort ins "rechte Verschwörungsmythen-Milieu" gesteckt.

Das ist kein aufgeklärter Diskurs. Das ist Panik und die ist kein guter Ratgeber. Und es ist auch Fakt, dass es andere Schäden neben Covid-19 gibt. Aber das dringt auch langsam in den Medien durch, wenn ich das richtig beobachte.

Was hätte bei der erwähnten Kampagne und dem medialen Umgang besser laufen können?

Sabine Schiffer: Nun, die Macher hätten sich professioneller informieren müssen, wer damit was eventuell will oder welche Agentur dahintersteht. Umgekehrt hätte ich mir mehr journalistische Neugier gewünscht, statt dem Kurzschluss zwischen Intention, Wirkung und Interpretation.

Sprich: In einer aufgeklärten Gesellschaft geht man diesen Punkten einzeln nach.

Wir kennen das aus der Rassismusforschung: Jemand kann sich rassistisch äußern, ohne es zu wollen. Und ob Rassismus verstanden wird und wo eigene Interpretationen reinspielen, das gehört auseinandergehalten. Bei der Berichterstattung über die Kampagne #allesdichtmachen ging alles Genannte ineinander über, teilweise in wenigen Worten auf Twitter.

Sehen Sie die Chance – oder auch die Notwendigkeit –, Debattenkorridore wieder zu erweitern?

Sabine Schiffer: Unbedingt! Sonst sind Journalismus und PR nicht mehr voneinander zu unterscheiden.

Sabine Schiffer leitet das gemeinnützige Institut für Medienverantwortung in Berlin. Sie lehrt an der Hochschule für Medien Kommunikation und Wirtschaft in Frankfurt/Main. In ihrem Buch "Bildung und Medien" forderte sie erstmals ein Schulfach Medienbildung, ihr Lehrbuch "Medienanalyse" stellt das notwendige Handwerkszeug für die Analyse von Medienbeiträgen zusammen.