Prestigeprojekt in Tübingen: Wird das Cyber Valley zur "Amazon City"?

Max-Planck-Gesellschaft arbeitet in Universitätsstadt eng mit dem IT- und Handelskonzern zusammen. Das wirft Fragen zur wissenschaftlichen Ethik auf

Amazon wird von vier Grundprinzipien geleitet: Fokus auf Kund:innen statt auf den Wettbewerb, Leidenschaft fürs Erfinden, Verpflichtung zu operativer Exzellenz und langfristiges Denken. Amazon strebt danach, das kundenorientierteste Unternehmen, der beste Arbeitgeber und der sicherste Arbeitsplatz der Welt zu sein. Kundenrezensionen, 1-Click-Shopping, personalisierte Empfehlungen, Prime, Versand durch Amazon, AWS, Kindle Direct Publishing, Kindle, Fire Tablets, Fire TV, Amazon Echo, Alexa, Just-Walk-Out-Technologie, Amazon Studios und The Climate Pledge sind nur einige Beispiele, für die Amazon Pionierarbeit geleistet hat.

Dieser Text, der ziemlich sicher aus der Feder der Unternehmens-PR des aus vielen Gründen umstrittenen Weltkonzerns stammt, findet sich aktuell auf der Homepage des Max-Planck-Institutes für intelligente Systeme, und zwar unter der Rubrik "News" am Ende einer Pressemitteilung.

Anlass der Pressemitteilung ist die "Einrichtung des ersten deutschen Science Hubs in Tübingen" durch einen Rahmenvertrag zwischen der öffentlich finanzierten Max-Planck-Gesellschaft und Amazon. Demnach stelle Amazon im ersten Jahr "knapp 700.000 Euro zur Verfügung", für "gemeinsame Forschungsveranstaltungen und -aktivitäten", "die Finanzierung und Umsetzung von Forschungsprojekten sowie die Aus- und Weiterbildung von talentierten Doktorand:innen."

Der Rahmenvertrag schaffe für "Max-Planck-Mitarbeiter:innen die Möglichkeit, in Form einer Nebentätigkeit bei Amazon zu arbeiten und dadurch tiefere Einblicke in anwendungsbezogene Forschungsfragen zu erhalten, die ihrer Forschung zugutekommen sollen". Außerdem regele er "Fragen des geistigen Eigentums", so die Pressemitteilung weiter.

Die Verbindungen zwischen Max-Planck-Gesellschaft und Amazon sind in Tübingen eng. Mindestens zwei Direktoren des dortigen Instituts für intelligente Systeme, Michael Black und Bernhard Schölkopf standen zumindest zwischenzeitlich als sog. Amazon Scholars nebenberuflich auf der Gehaltsliste des Unternehmens, beide geben es aktuell noch als Drittmittelquelle ihrer Forschung an.

Michael Black war zudem während seiner Forschungstätigkeit in den USA einer von zwei Gründern des Start-ups Body Labs, das auf die 3D-Modellierung menschlicher Körper aus Bildern und Videos spezialisiert ist und laut aktueller Darstellung auf Wikipedia u.a. auf die Zusammenarbeit von Black mit der Virginia State Police zurückging.

Anschubfinanzierung erhielt dieses US-amerikanische Start-up demnach u.a. von der Max-Planck-Innovation GmbH, bevor es 2017 für einen zweistelligen Millionenbetrag von Amazon aufgekauft wurde. Da lebte Black bereits wieder in Deutschland und war als Direktor am Aufbau des 2011 in Stuttgart gegründeten MPI für intelligente Systeme beteiligt.

Dazu gehörte der Bau eines zweiten Standorts im Technologiepark Tübingen unmittelbar neben dem dort schon länger existierenden MPI für biologische Kybernetik, der ebenfalls 2017 eröffnet wurde.

Im Dezember 2016 war die durch die Landesregierung Baden-Württemberg die Gründung der Forschungskooperation "Cyber Valley" bekannt gegeben worden – angeblich eine der europaweit größten Initiativen für die Entwicklung Künstlicher Intelligenz. Beteiligt waren daran neben dem Land und den Universitäten Stuttgart und Tübingen die Max-Planck-Gesellschaft sowie die "Industriepartner" Facebook, Bosch, Daimler, Porsche, BMW und ZF Friedrichshafen.

Nach einem Rückzug von Facebook – über dessen Gründe nie irgendwelche Angaben gemacht wurden – gab Amazon im Oktober 2017 bekannt, der Forschungskooperation beizutreten und neben den MPIs in Tübingen ein eigenes Forschungszentrum zu bauen.

Zu diesem Zeitpunkt war das Cyber Valley für die meisten Tübinger:innen noch kein Begriff – obwohl sich immer klarer herauskristallisierte, dass dessen Herz auf einem Hügel im Norden der Stadt entstehen sollte, während das Neckartal zwischen Tübingen und Stuttgart getreu dem amerikanischen Vorbild Silicon Valley die nötigen Ausbauflächen für neue Ansiedelungen bereitstellen könnte.

Das änderte sich in den folgenden Monaten. Nachdem zunächst mehrere Kundgebungen gegen das Projekt stattgefunden hatten, folgte Ende November 2018 eine Demonstration, in deren Anschluss ein Hörsaal der Universität besetzt wurde. Anlass war u.a. die Befürchtung einer Ökonomisierung von Bildung und Wissenschaft.

Entsprechend forderte der Aufruf zur Demonstration eine bessere Grundfinanzierung der Universitäten und damit weniger Drittmittelabhängigkeit. Forschung zu Künstlicher Intelligenz solle nur mit dem Ziel eines "nachhaltige[n], gute[n] Lebens für alle" erfolgen und entsprechend eine sog. "Zivilklausel" für den Technologiepark beschlossen werden, um hier militärische Interessen auszuschließen.

Außerdem wurden Befürchtungen aufgegriffen, dass die forcierte Ansiedelung internationaler Tech-Konzerne und unternehmerischer Wissenschaftler:innen zu neuen Verwerfungen auf dem ohnehin angespannten Wohnungsmarkt der schwäbischen Universitätsstadt führen könne.