Professoren für Bildungsmissstand an Hochschulen verantwortlich?
Interview mit den Autoren des Buches "Professor Untat - was faul ist hinter den Hochschulkulissen"
Deftige Kritik an einem bislang weitgehend hoch angesehenen Berufsstand. In ihrem Buch Professor Untat - was faul ist hinter den Hochschulkulissen machen Professor Uwe Kamenz und der Journalist Martin Wehrle die Professorenschaft für den Bildungsmissstand an deutschen Hochschulen weitgehend mit verantwortlich. Hauptvorwurf: Etwa die Hälfte der Wissenschaftler würde ihrer Verpflichtung gegenüber den Studierenden nicht nachkommen und sich stattdessen lieber in lukrativen Nebenjobs engagieren. "Umstritten" ist das Buch bislang kaum - von den so heftig angegriffenen Professoren und auch von Studierenden gab es bis jetzt kaum Reaktionen. Im Interview mit blogmedien äußerten sich die Autoren auch zu Professoren-Beurteilungen auf der Internetplattform "meinprof".
Professoren haben nach der Berufsprestigeskala doch eigentlich ein gutes Image in Deutschland. Warum "prügeln" Sie jetzt auf einmal so auf die Elite ein?
Martin Wehrle: Professoren haben ein sehr gutes Image, das ist wahr, aber auf der anderen Seite haben sie natürlich auch eine sehr hohe Verantwortung, um diesem Image gerecht zu werden. Professoren haben sehr, sehr viele Freiheiten: Professoren sind unkündbar, Professoren sind gut bezahlt, sie haben freie Forschung und freie Lehre. Im Gegenzug erwarte ich eben, dass sie aus dieser Freiheit auch etwas Optimales machen – für die Studierenden und für den Standort.
Worüber haben Sie sich eigentlich so geärgert, dass Sie gleich ein ganzes Buch schreiben mussten?
Uwe Kamenz: Ärger ist etwas übertrieben. Der Hauptgrund, warum ich mich an diesem Buchprojekt beteiligt habe, ist auch meine persönliche Situation: zum Beispiel, dass ich, wenn ich in 20 Jahren in Pension gehe, nur noch die Hälfte der Pension zu erwarten habe wie die jetzigen Pensionäre. Das hängt damit zusammen, dass wir aufgrund der Globalisierung, der demographischen Entwicklung und überhaupt der grundsätzlichen Situation in diesem Land eben vor großen Herausforderungen stehen. Mein Beitrag zu diesem Thema ist, dass ich Vorschläge mache, wie man über die Professoren etwas dazu beitragen kann, dass sich das bessert. Die Arbeitnehmer müssen in 20 Jahren ungefähr die doppelte Produktivität erzielen wie heute, damit wir alle den Wohlstand halten können, den wir augenblicklich haben. Die Professoren sind doppelt daran beteiligt: Zum einen weil sie über die unabhängige Forschung nur diese Innovationen kreieren können, die wir dringend brauchen, und zum anderen sind diese Führungskräfte, diese Manager, Ingenieure und Informatiker, die in 20 Jahren hier das Rückgrat bilden, gerade jetzt bei uns an der Hochschule.
Sie behaupten in Ihrem Buch, dass etwa die Hälfte der Professoren nichts oder nur zu wenig tun würde. Wie kommen Sie darauf? Ist das nicht eine unzulässige Verallgemeinerung?
Martin Wehrle: Darauf sind wir gekommen, indem wir erstens einmal in Publikationslisten nachgeschaut haben, wer etwas publiziert, wer noch etwas in Sachen Forschung tut. Denn ein Professor muss beides tun, er muss lehren und er muss forschen. Da ist bei der Hälfte der Professoren nichts zu finden. Dann haben wir sehr viele Gespräche mit engagierten Professoren geführt und haben gehört, dass sie es sind, die am meisten unter untätigen Kollegen leiden. Und wir haben noch ein Experiment gestartet. Wir haben Nebenjobs für Professoren mit einer ganz besonderen Komponente angeboten: Wir haben gesagt, wir suchen als Headhunter für ein Unternehmen Professoren, die jede Woche 2-3 Tage Zeit haben. Und das ist nun schon bemerkenswert, wenn ein Mensch, der einen verantwortungsvollen Job hat, nebenbei noch die Hälfte oder mehr als die Hälfte Zeit für etwas anderes hat. (Anmerkung: Nach Angaben der Autoren hatten sich 44 Professoren auf die "Stellenausschreibung" in der Wochenzeitung "Die Zeit" beworben).
Was tun die Professoren Ihrer Meinung nach nicht, was sie eigentlich tun sollten?
Uwe Kamenz: Wir haben versucht, auch statistisch durch eine Hochrechnung herauszubekommen, was dort tatsächlich passiert, und wir sind zu der Erkenntnis gelangt, dass die Hälfte der Professoren ihrer gesetzlichen Pflicht nach Forschung und Lehre nicht genügend nachkommt. Wir haben die Grenze bei 20 Stunden in der Woche angesetzt. Das heißt also, da liegt ein gigantisches Potential brach, und das müssen wir heben. Und dann können wir das Ziel erreichen: innerhalb von ein, zwei, drei Jahren die Forschungs- und die Lehrleistung zu verdoppeln.
Wie kann dieses Ziel denn erreicht werden?
Uwe Kamenz: Der Hauptansatzpunkt ist Transparenz. Das heißt, wir wollen über ein Internetportal transparent machen, was die einzelnen Professoren tun. Also nicht was die Hochschulen tun, sondern was die einzelnen Professoren tun. Ob sie tätig sind, ob sie untätig sind oder vielleicht sogar faul sind. Allein diese Transparenz würde schon einiges bewirken.
Würden Sie sogar dafür plädieren, die wissenschaftliche Freiheit einzugrenzen, um die Professoren zu kontrollieren?
Uwe Kamenz: Freiheit von Wissenschaft und Forschung, die im Grundgesetz steht, ist eines der wichtigsten Güter, das wir in dem globalen Wettbewerb in unserem Standort noch haben. Das haben die wenigsten Länder. Daran dürfen wir auf keinen Fall rütteln. Somit ist auch klar, dass auch in der Zukunft diese Freiheit von einzelnen Professoren ausgenutzt wird. Nur müssen wir diejenigen, die nicht wirklich das System ausnutzen wollen – sondern die einfach aus irgendeinem Grund untätig sind - öffentlich machen.
Martin Wehrle: Also ich habe ein Stück weit Bauchschmerzen dabei. Ich würde mir natürlich sehr wünschen, dass Professoren diese Freiheit, die sie ja auch brauchen, mit viel Verantwortung ausfüllen. Wenn das nachweislich nicht der Fall ist, dann wäre das letzte Mittel auch die staatliche Kontrolle; wobei ich sehe, dass dieser Beruf eine hohe Freiheit braucht. Man muss eigentlich bei der Auswahl eines Professors schon genauer hinschauen. Denn wenn Menschen in diesen Beruf reinkommen, die wirklich mit Leidenschaft für ihr Fach und für ihre Studierenden da sind, dann kontrollieren die sich selbst. Es gibt ein schönes Beispiel aus Stuttgart, den Markus Vöth, der ist dort Marketingprofessor und gibt seinen Studierenden Versprechen ab. Er sagt, ich antworte auf jede Mail binnen 24 Stunden. Ich korrigiere alle Arbeiten, alle Diplomarbeiten und Hausarbeiten innerhalb von vier Wochen. Und wenn so ein Versprechen vom Professor selber kommt, ist das natürlich besser, als wenn der Staat mit der Peitsche dastehen muss.
Was halten Sie von dem Portal meinprof.de? Ist das eine Art Zwischenlösung in Richtung der von Ihnen geforderten Transparenz?
Uwe Kamenz: Nun gut, meinprof.de ist ja im Prinzip ein Portal, wo Studierende ihre persönliche Meinung äußern dürfen, und das ist eben auch, was man sehen muss: Es ist nur die Meinungsäußerung, es sind nicht harte Fakten. Es ist auch nicht wirklich - ich sag mal - ein Parameter, nach dem man Qualität der Lehre messen kann; aber ein Meinungsportal ist es eben. Das wichtigste an dem Portal ist, dass es bisher nicht repräsentativ ist. Weil ich mit dem Buch etwas in der Öffentlichkeit stehe, guckt auch jeder nach, was steht denn bei dem Kamenz? Ja und da stehen mal gerade acht Eintragungen. So, und das ist natürlich bei ungefähr 250 Studierenden, die ich in diesem Zeitraum hatte, seitdem es dieses Portal gibt, natürlich nicht repräsentativ. Und dann fragt man sich natürlich, welche acht Personen sind das, und ähnliche Dinge.
Aber wenn es jetzt tatsächlich diesen Betreibern oder irgendeinem Anderen, der in Zukunft das macht, gelingen würde, dass alle Studierenden dort die Professoren bewerten und dass es wirklich repräsentativ ist, dann hat es natürlich einen Imagefaktor für uns Professoren. Wirklich passieren wird uns ja nichts; aber imagemäßig schon. Und so gesehen hätte das schon einen Einfluss auf das, was an den Hochschulen passiert. Diese kritische Masse ist bei "meinprof" aber noch lange nicht erreicht.
Werden bei "meinprof" nicht auch Racheakte durch die Studierenden ausgetragen, beispielsweise für schlechte Noten? Und sind die Bewertungen nicht manipulierbar?
Martin Wehrle: Also mit den Racheakten, das stimmt sicherlich. Nur das ist ein sehr, sehr kleiner Umfang. Das heißt, wenn sie dort 50, 60 oder 70 Bewertungen vorliegen haben, dann können Sie sich ein Bild machen. Bei kleineren Zahlen, bei wenig Bewertungen, muss man vorsichtig sein. Manipulierbar ist das nur bedingt. Denn "meinprof.de" bietet allen Professoren Deutschlands an, dass sie bestimmte Kennwörter für ihre Lesungen bekommen und diese dann an die Studierenden austeilen, von denen jeder nur eine Stimme hat. Also wer als Professor aktiv bewertet werden möchte und den Eindruck hat, dass da manipuliert werden kann, der kann dem vorbeugen. Wer das nur als Vorwand verwendet, der ist dann gezwungen, dass er konstruktiv auf dieses Portal zugeht.
Persönlich gefragt - werden Sie seit Veröffentlichung Ihres Buches an Ihrer Hochschule eigentlich von den Kollegen noch gegrüßt?
Uwe Kamenz: Wir hatten gestern erstmalig ein Zusammentreffen im neuen Semester und kein einziger Kollege hat mich bisher auf das Thema angesprochen. Also ich gehe mal davon aus, dass sie sich alle noch sehr zurückhalten. Und ich schätze, dass eher die Frage, ob ich da gegrüßt werde oder ähnliches mehr eine Frage ist, wie viel jetzt von meinen Ideen umgesetzt wird. Weil - so ein Buch erscheint und es verschwindet auch normaler Weise wieder. Aber wenn es tatsächlich so ein Internetportal gibt und ähnliche Dinge, dann kann ich mir schon vorstellen, dass da der ein oder andere in irgendeiner Form reagieren wird.
Haben Sie wenigstens Lob von Ihren Studierenden bekommen?
Uwe Kamenz: Auch Studierende haben sich noch nicht in breiter Masse jetzt bei uns gemeldet. Alle Emails, die bisher herein kamen, egal ob von Studierenden, Doktoranden oder Professoren, waren positiv. Aber ich gehe davon aus, dass sich das auch mal negativ entwickelt.
Die Autoren: Uwe Kamenz ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Dortmund und Honorarprofessor an der Schweizer Educatis University. Er begleitet Studenten als Studienfachberater und leitet als Mitbegründer des Professoren-Netzwerkes "ProfNet" das ProfNet Institut für Internet-Marketing in Münster. Martin Wehrle ist gelernter Journalist und war Führungskraft in einem Konzern. Als Coach und Berater erlebt er nach eigenen Angaben heute, welche Folgen die schlechte Hochschulausbildung für die Wirtschaft hat. Wehrle veröffentlichte mehrere Sachbücher, unter anderem zum Thema "Gehalt".
Weitere Informationen: Im Internet-TV-Magazin blogmedienTV 9 gibt es ein Feature zu den Schwarzen Schafen an deutschen Hochschulen mit Statements der Autoren, Aussagen von Professoren und Studierenden. Dazu Hintergrund zum umstrittenen Internetportal "meinprof".
Das Buch: Professor Untat - was faul ist hinter den Hochschulkulissen. Econ-Verlag, Februar 2007. 288 Seiten, broschiert, ISBN-10: 3430200180, ISBN-13: 978-3430200189. Preis: 18 Euro.