Programm für alle und nicht für die Wenigen

Seite 2: SPD am Wundelecken

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In Deutschland suchen die Sozialdemokraten derweil nach Wegen aus dem Debakel von drei Landtagswahlen. Obwohl mit Martin Schulz wahrlich kein Parteilinker an der Spitze steht, geht es der SPD nicht besser als der britischen Labour-Partei. Dabei war das Debakel bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen durchaus hausgemacht. Denn die CDU unter Armin Laschet hatte vor allem die marode Brücken und Straßen in den Mittelpunkt des Wahlkampfes gestellt. Es ist also eine klassische sozialdemokratische Agenda, um die Folgen neoliberaler Politik zu beseitigen, die Rot-Grün da zu Fall gebracht hatte. Auch gesellschaftspolitisch gehört Laschet eher zum liberalen Flügel seiner Partei.

Die Statistiken zur Wählerwanderung zeigen, dass die SPD gleich an mehreren Fronten unter Druck steht. Von links setzt ihr die Linke zu, massiv verlor sie aber an die FDP und vor allem die CDU. Nur bei Arbeitern und Arbeitslosen ist die SPD stärkste Kraft, und sie konnte auch bei Nichtwählern gewinnen, wenn auch nicht so stark wie die CDU. Konsequent ist da die Ankündigung der NRW-SPD, in die Opposition zu gehen. Zu groß war da die Angst, und nicht unberechtigt, an der Seite eines NRW-Ministerpräsidenten Laschet bis zur Unkenntlichkeit zu schrumpfen.

Wobei die SPD damit im Vergleich zum grünen Koalitionspartner noch geradezu hervorragend dasteht: Die Grünen haben einfach nur verloren: An alle Parteien (im Bundestag vertretene, AfD, Nichtwähler) mussten sie Stimmen abgeben, hinzugewonnen von anderen haben sie: null. Was ohnehin bemerkenswert ist, aber in diesem Fall noch dadurch verschärft wird, dass die Piraten nicht mehr im Landtag sind und ihre Wähler demnach überall hin sind, nur nicht zu den Grünen.

Niedersachsen-SPD für Steuersenkung

Der Druck auf Martin Schulz, endlich konkrete Programmpunke vorzulegen, wächst nun. Der SPD-Kanzlerkandidat gibt sich jetzt auch selbst reumütig: "Ich hätte früher mit konkreten Inhalten kommen müssen", sagte er der "Zeit".

Allerdings ist ihm da die niedersächsische SPD bzw. die Landesregierung von Stephan Weil zuvorgekommen. Ein schon lange vorbereitetes, publikumswirksam "Niedersachsenmodell" getaufte Einkommenssteuerkonzept sieht die Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent ab einem Jahreseinkommen von 150.000 Euro an vor. Gleichzeitig sollen alle jene, die zwischen 14 Prozent (bei 9.000 Euro) und 45 Prozent (bei 58.000 Euro) an den Staat abführen müssen, weniger als bislang zahlen müssen. Am meisten entlastet würden die mit einem Einkommen zwischen 9 und 14.000, denn in diesem Einkommensbereich geht die Steuerlast rasant von 14 auf 24 Prozent hoch.

Doch das Programm ist noch nicht das für die Bundestagswahl. Martin Schulz hat bereits erklärt, dass Steuersenkungen schwierig sind, weil die SPD für Investitionen und gebührenfreie Bildung werben will. Noch am Montag hatte er in der ARD gesagt, Klein- und Mittelverdiener sollten entlastet werden durch Abschaffung der Kita-Gebühren und einen höheren Arbeitgeberanteil an der Krankenversicherung. Noch hat sich die Bundes-SPD auf nichts festgelegt. "Die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer soll mehr Netto vom Brutto haben", heißt es lapidar in einem ersten Entwurf des Wahlprogramms, der am Montag bekannt wurde. "Pauschale Steuersenkungen" werden dort abgelehnt, außerdem wollen die Sozialdemokraten große Erbschaften und Vermögen wieder stärker besteuern.

Doch ob das reicht? Direkt nach der Wahl hat sich Martin Schulz zum "Streetfighter" stilisiert. Doch das ist kaum mehr als eine Neuauflage des grandios verpufften Schulz-Effektes. Bemerkenswert ist, dass diesmal Martin Schulz selbst der Urheber ist.

Alle Titel, die sich in der Presse und im Netz so fanden - Erlöser, Heilsbringer - seien nicht aus der SPD-Zentrale heraus gesteuert worden, hatte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley noch im Februar beteuert. Der "Stern" hat das kürzlich zum Anlass genommen, eine Rhetorik-Trainerin zu befragen. Die fand das bedenklich, wenn "Martin Schulz anfangs so weit aufgebauscht" wird, "dass er die Erwartungen kaum erfüllen kann."

Ende Juni soll in Dortmund das SPD-Programm beschlossen werden. Dann ist in Großbritannien längst gewählt worden. Das Wahlergebnis wird auch hierzulande aufmerksam registriert werden.