Projekt- und Therapieziel: Kinderseelen retten!

Seite 5: Mit der präventiven Therapie potentieller und realer Täter können Übergriffe verhindert werden

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Es lässt sich leider objektiv nicht eruieren, wie viele sexuelle Übergriffe Sie mit ihrer therapeutischen Arbeit verhindern konnten. Nicht begangene Taten tauchen in keiner Statistik auf. Auch wenn diese Frage etwas pathetisch klingt, würde ich von Ihnen dennoch gerne wissen, was Ihnen ihr Gefühl sagt. Glauben Sie, dass dank ihrer prophylaktischen Arbeit am Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité Kinderseelen gerettet wurden?

Klaus Michael Beier: Das glaube ich nicht, das weiß ich. Der Vorteil unseres Präventionsansatzes ist ja gerade, dass die Betroffenen zu uns kommen, weil sie ganz konkrete Taten befürchten. Nun könnte man einwenden, dass es vielleicht auch ohne unsere Intervention nicht zu der Tat gekommen wäre. Dagegen sprechen aber die Einzelfallanalysen.

Wenn beispielsweise im Verlauf einer Gruppentherapie ein Betroffener über zunehmend konkretere Gefährdungssituationen berichtet und man dann in der Lage ist, direkt zu intervenieren, auch medikamentös, und der Patient später bestätigt, dass die Intensität seiner Übergriffsimpulse als Folge dieser Maßnahmen so deutlich zurückgegangen waren, dass kein Risiko einer Tatbegehung mehr bestand, ist der Zusammenhang evident. Im Übrigen machen wir gerade die Gesamtauswertung für die VW-Stiftung, in der wir auch den Effekt unserer Behandlung auf konkrete Übergriffigkeit darlegen.

Sie therapieren neben den potentiellen auch die realen Täter?

Klaus Michael Beier: Ja, die potentiellen und die realen Dunkelfeld-Täter. Wenn jemand zu uns kommt und gesteht, dass er kürzlich seine Tochter missbraucht hat, dies aber künftig unterlassen will, helfen wir ihm. Und wenn wir hier helfen können, dass es zu keinen weiteren Übergriffen kommt, dann ist das ein Gewinn für alle.

Ihre Patienten haben demnach keine strafrechtlichen Konsequenzen zu befürchten?

Klaus Michael Beier: Nein, jedenfalls nicht durch unser Zutun.

Sie unterliegen der Schweigepflicht?

Klaus Michael Beier: Ja. Das ist unser Vorteil in Deutschland, der den Präventionsansatz überhaupt möglich macht. In den USA ist das beispielsweise ganz anders. Dort beneiden uns unsere amerikanischen Fachkollegen, weil sie per Gesetz dazu verpflichtet sind, alle Personen anzuzeigen, die sie aufgesucht und gestanden haben, ein Kind missbraucht zu haben. Es ist daher erwartbar, dass sich dort niemand freiwillig meldet, so dass auch keine Chance besteht zu intervenieren.

Wenn Sie mit Blick auf Ihr Präventionsprojekt eine Botschaft an die Politiker und Gesetzesgeber hätten - wie würde diese lauten?

Klaus Michael Beier: Hinsichtlich der Missbrauchsabbildungen würde ich ein zügiges Durchsetzen der Strafverfahren mit merklichen Sanktionen für sinnvoll erachten, einfach um die gesellschaftliche Reaktion deutlicher zu machen. Ich plädiere auch für die Einführung einer Begutachtungspflicht, weil auf diese Weise die Chance bestünde, zu einem frühen Zeitpunkt jemanden bereits mit einer problematischen sexuellen Präferenz ausfindig zu machen um gezielt Vorsorgemaßnahmen einzuleiten. Zudem würde ich mir wünschen, dass die Politik dieses Feld insgesamt viel stärker unterstützt als sie es bisher tut. Damit tun sich Politiker aber in der Regel schwer, weil verursacher- bzw. täterbezogene Maßnahmen in der Öffentlichkeit schwerer zu vermitteln sind als die opferbezogene Perspektive.

Dies ist aus meiner Sicht auch der einzige Mangel des Berichts der Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, Christine Bergmann: Die Möglichkeiten der verursacherbezogenen primären Prävention kommen nicht hinreichend zur Darstellung, womit meines Erachtens Chancen vergeben werden, denn es kommt ja gar nicht erst zur Opferschaft, wenn man die potentiellen Verursacher sexueller Traumatisierungen früh genug erreicht.

Website "Kein Täter werden": www.kein-taeter-werden.de/

Spot zur Kampagne "Kein Täter werden":

Videoclip gegen Kinderpornografie

Youtube-Video-Ausschnitt Prävention gegen Kindesmissbrauch - Prof. Klaus Michael Beier bei Maybrit Illner