Propaganda im Zweiten Kalten Krieg: Das Spiel mit der "Russophobie"

Seite 2: Anti-russische Propaganda hat Tradition im Westen

Tim Nieguth hat in einem lesenswerten Fachaufsatz bezüglich "deutscher Sichtweisen gegenüber Russland", nach den Ereignissen auf dem Maidan und der Krim 2014, geschrieben:

Viele der Tropen, die in aktuellen deutschen Diskursen zu Russland erscheinen – [beispielsweise] Russland als autokratisch, Russland als Aggressor, Russland auf Kollisionskurs mit Europa –, haben ihren Ursprung nicht spezifisch im Kalten Krieg. Tatsächlich sind viele dieser Einordnungen dem Kalten Krieg zu einem beachtlichen Zeitraum vorzudatieren. Die Darstellung Russlands [beispielsweise] als aggressiv, despotisch und nicht egalitär kann mindestens bis in das 18. Jahrhundert zurückverfolgt werden.

Historisch betrachtet ergibt das auch durchaus Sinn, da Russland uns im Westen, wie etwa Kevork Oskanian beschrieben hat, als eine Art "mehrdeutiges Imperium zwischen Ost und West" bereits seit Jahrhunderten vertraut sowie gleichzeitig fremd und bedrohlich erscheint.

Das Problem hierbei ist, dass derartige, unter anderem historisch begründete, irrationale Ängste unseren Blick vernebeln und uns daran hindern, unsere gegenwärtigen Konflikte mit Russland rational zu bearbeiten.

Audiatur et altera pars : Auch die andere Seite hören

Was ist, in diesem Sinne, eigentlich aus dem bis in die Ära Roms zurückreichenden Grundsatz westlicher Rechtswissenschaftler geworden, demzufolge man "immer auch die andere Seite hören" möge? Eine Strategie zwischenmenschlicher Konfliktlösung, die nicht umsonst seit Jahrtausenden Bestand und es zu einem fundamentalen Baustein moderner westlicher Rechtsstaatlichkeit gebracht hat.

Hilft es uns, wenn wir russische Medien wie Russia Today aus unserem vermeintlich liberalen Mediensystem verbannen, während wir gleichzeitig die besondere Bedeutung des "West-" bzw. "Kontrafunks" zu Zeiten des Dritten Reichs oder der DDR betonen?

Wenn wir westliche Experten, die über einen reichhaltigen Fundus an Einsichten in die russische Gesellschaft und Kultur verfügen, als bloße Kreml-Apologeten verunglimpfen – nur weil sie uns möglicherweise mit Sichtweisen konfrontieren, die uns missfallen, weil sie uns die eigenen Verfehlungen vor Augen führen?

Ich würde diese Fragen verneinen und empfehlen, dass wir diese oft grotesk anmutenden russophoben Verirrungen überwinden und zu einem vernünftigeren Diskurs über, und vor allem auch mit, Russland zurückkehren. Es ist überfällig.