Propaganda in Hollywood

Spezialeffekte anstatt Storyline, Abziehbilder anstatt glaubhafter Charaktere.

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Antoin Fuquas

Hollywood hat auch nach dem Ende des Kommunismus ein offenes Ohr für Propaganda. Um genau zu sein: Für "Propaganda Films". Die kalifornische Produktionsfirma ist die Nummer Eins unter den Talentschmieden der Filmindustrie. Die Propaganda-Regisseure David Fincher, Michael Bay oder Simon West haben alle zunächst Musikvideos gedreht, um sich damit später für die große Leinwand zu bewerben. Doch nicht nur die Chefkritikerin der New York Times, Janet Maslin, bemängelt, daß Filme wie "The Game", "Con Air" oder der neue The Replacement Killers belanglos sind und nur wortreich ihre Sprachlosigkeit verdecken. Mit "Propaganda Films" hat sich ein Trend hartnäckig festgesetzt: Spezialeffekte statt Storylines, Abziehbilder statt glaubhafter Charaktere.

Bei der Frage, warum er sich gerade diesen Namen ausgedacht habe, muß David Fincher lachen: "Warum nicht Propaganda? Das hört sich doch so schön subversiv an."

Eigentlich verrät diese Aussage schon viel über die Firmenphilosophie des Kaliforniers. Form ist alles. Und der Inhalt? Fincher ist das prominente Aushängeschild der Firma, die 1986 gegründet wurde und seitdem den amerikanischen Musikvideo- und Werbemarkt aufmischt. Dabei setzen die "Propagandisten" in den letzten Jahren immer mehr auf Spielfilme. Mit Antoine Fuquas "The Replacement Killers" kommt nun der nächste Propaganda-Film ins Kino.

Chow Yu-Fat in Replacement Killers

An der Seite von Mira Sorvino und Hongkong-Star Chow Yun-Fat schießen sich darin Jürgen Prochnow und Til Schweiger als kaltdeutsche Bösewichte durchs kurze Leben. Fuqua gesellt sich zu dem rund halben Dutzend Propaganda-Kollegen, die seit 1990 den Sprung ins Haifischbecken Hollywood geschafft haben. David "The Game" Fincher, Michael "The Rock" Bay und Simon "Con Air" West schwimmen dagegen schon auf der Erfolgswelle. An der Startrampe für die nächste Generation: Antony Hoffman, Peter Care und David Kellogg. Bisher noch unbekannte Namen, werden sich doch schon bald die internationalen Feuilletons über sie ärgern. Denn eins ist sicher: Obwohl Propaganda kommerziell erfolgreich ist, als Darlinge der Filmkritik haben sie sich nicht erwiesen. Doch die Auftragsbücher sind voll. Und unter dem Dach des britischen Medienriesen PolyGram produzierten sie 1997 neben den Spielfilmen rund 80 Musikvideos und 125 Werbeclips.

Propaganda-Regisseure werden von den großen Studios fast blind angeworben. Denn sie füllen das Schlagloch auf der "road to success", das sich durch die Sehgewohnheiten eines MTV-geschulten Publikums Anfang der 90er Jahre ergeben hat. Eine ganze Garde "alter" Hollywood-Regisseure kam mit den "Schnippselszenen" der Clip- und Videoästhetik nicht mehr zurecht. Wie nach der Einführung des Tonfilms wurde daraufhin gnadenlos aussortiert. Da kam Propaganda gerade recht. Auf dem umkämpften Musikvideomarkt an die rauhen Branchengesetze gewöhnt, brachten sie ihre Erfahrung von dort mit nach Hollywood. So wurden aus 30-Sekunden-Spots Anderthalb-Stunden-Filme.

Die Talentschmiede bietet eine Alternative zu dem marktüblichen "Gang nach Sundance", wo junge Regisseure mit selbstproduzierten Low-Budget-Produktionen Aufmerksamkeit zu erhaschen versuchen. Im Vergleich dazu können die "Propagandisten" eine mehrjährige Lehrzeit im Werbe- und Musikvideobereich vorweisen.

Daß Hollywood Regisseure aus der Werbung rekrutiert, ist nicht neu. Schon in den 70er und 80er Jahren haben prominente Werbefilmer den kleinen Kasten mit der großen Leinwand vertauscht. Darunter Ridley Scott ("Blade Runner") und sein Bruder Tony ("Top Gun"). Oder auch Adrian Lyne ("Lolita") und Alan Parker ("Evita"). Alle haben ihre ersten Meriten im Fernsehen mit der Reklame für Heinz-Ketchup oder Salamander-Schuhen verdient. Der Unterschied zu heute liegt allerdings auf der Hand: Denn nun kommen alle Regisseure von einer Firma.

Mira Sorcino in The Replacement Killers

Sehen wir uns an, was die Propaganda-Filme auszeichnet. In puncto "Art Direction" sind dunkle und feuchte Räume, die regelmäßig durch Spezialeffekte und grandiose Explosionen erhellt werden, der große Hit, währenddessen sich ein muskelbepackter Held keuchend durchs ungerechte Leben schießt. Unterstützt durch mindestens eine Wasserstoff-Blondine mit Modelerfahrung. Und nicht selten taucht im Titel der Name des Produzenten Jerry Bruckheimer auf, der dafür bekannt ist, daß er es schon knallen läßt, bevor überhaupt die erste Pistole abgefeuert wurde. Und schließlich begleiten jeden Film hämische bis bösartige Filmbesprechungen. Kritiker hassen Propaganda. Um dann müssen sie mit der Faust in der Tasche beobachten, wie sie das (gute) Kinoergebnis doch nicht beeinflussen können. Denn die Filme sind "kritikresistent".

Visuelle Effekte über alles, Charaktere sind langweilig - das ist die Propaganda-"Philosophie". Sehen wir uns für einen Moment Cameron Poe an, den Helden von "Con Air". Was erfahren wir über ihn? Er liebt seine Familie. Er beschützt Frauen. Er hat eine Stimme wie Elvis und erinnert mit seiner wehenden Mähne an Jesus. Alles in allem ist er ein wirklich netter Bursche. Das wird in den ersten fünf Minuten etabliert. Um danach keine Zeit mehr zu vergeuden. Denn dann heißt es: Weg mit dem unnützen Gewäsch, jetzt wird gewirbelt und geschossen, daß Logik und Story gleich neben Tschechow und Shakespeare auf dem staubigen Regal der abgelegten Dramatiker geparkt werden können.

Szene aus Con Air

In David Finchers "Seven" wird konsequenterweise der einzige Charakterkopf der Handlung am Ende des Films per Post verschickt. Das ist nicht ironisch, sondern wörtlich gemeint. Zwar erfährt man nicht, wo sich der restliche Körper aufhält, doch der Kopf wird schließlich dem heulenden Ehemann per Federal Express zugestellt. Vielleicht eine kleine Fehlleistung der Post-Privatisierung. Die hübsche Ehefrau ist jedenfalls tot. Wobei "hübsch" das Adjektiv ist, wodurch die Propaganda-Filme zusammengehalten werden. Dem jeweiligen Stand der kargen Handlung ungeachtet, sieht alles "hübsch" arrangiert aus. Selbst noch das tödliche Giftgas in "The Rock". "Hübsch" in seinen grünen Weihnachtsbaumkügelchen läßt es die tödliche Bedrohung vergessen.

Zu alledem gesellt sich die Aussage von Simon West: "Du mußt sehen, daß Filme, die Millionen einspielen, meist einem bestimmten Muster folgen." Aha, nun kommen wir zum Kern des Erfolgsrezeptes: Es geht um Strickmuster, nicht um Originalität.

David Fincher zum Beispiel, der Ende der 80er Jahre mit seinen Musikvideos für Madonna und Paula Abdul bekannt wurde, bewegt sich gerne auf ausgelatschten Pfaden. Eine böse Überraschung wie mit seinem Debutfilm "Alien3", der an der Kinokasse ins Bodenlose floppte, möchte er nicht noch einmal erleben. Und so wiederholt er gerne, was einmal erfolgreich war. In "The Game" das schon einmal vom gleichen Autorenteam erfolgreich durchexerzierte Muster von "The Net", und schon in "Seven" bot er wenig Neues: Ein alter Polizist mit seinen in Jahrzehnten geformten Arbeitsmethoden und ein junger Aufsteiger aus der Polizeischule bilden ein mäßig originelles Team (siehe: "Buddy Movie"). Der junge Polizist hat eine wunderhübsche Ehefrau (siehe: Blondine). Sie ist verständnisvoll und geduldig. Und wird deshalb mies behandelt. Und der Polizeiveteran steht, dreimal darf geraten werden (aber eigentlich reicht auch einmal), kurz vor der Pensionierung. Er muß nur noch einen einzigen Fall lösen. Soweit bekannt. Alles schon tausend Mal gesehen. Und doch spielte dieser Zitatkuchen allein in Amerika 100 Millionen Dollar ein und verpaßte Fincher das Image des "Hitchcocks unserer Generation" (AAARGH!).

Es verwundert nicht, daß Finchers Biographie durch Plagiatsstreitigkeiten gekennzeichnet ist, die, und das ist ungewöhnlich, nicht selten bis kurz vor das Gericht getragen wurden. Der Rechtsstreit mit dem Fotografen Robert Frank, von dessen Fotoserie "The Americans" Fincher in einem Videoclip reichlich abgekupfert hat, wurde auf nicht so rätselhafte Weise außergerichtlich beigelegt. In Hollywood kursieren sechsstellige "Schweigegeld"-Zahlen. Unter Kritikern kam für "Seven" bald das Prädikat der Aldi-Variante des "Schweigens der Lämmer" auf. Propaganda im Allgemeinen und Fincher im Besonderen liefern Filmvergnügen für ein Publikum mit Kurzzeitgedächtnis.

Den Mangel an Originalität und Phantasie versuchen Fincher und Drehbuchautor Kevin Walker durch ausgedehnte Detailzeichnungen von Gewalt auszubügeln. "Ich will Angst haben. Das einzige, was mir am ‚Weißen Hai' gefallen hat, war, daß ich anschließend nie mehr im Ozean schwimmen gegangen bin," sagt Fincher. "Seven" ist deshalb so gewalttätig, daß "Uhrwerk Orange" wie ein Kindergartenfilm aussieht. Der Ort ist eine urbane Schreckenslandschaft (siehe: dunkel und feucht), die Ridley Scotts apokalyptische Stadtvision in "Blade Runner" zum Freizeitpark degradiert. Dazu passen die depressiven Charaktere, denen ein Ende mit Schrecken droht (wie gesagt: Der Kopf in der Kiste). Angereichert wird die unübersichtliche Handlung mit Zitat-Häppchen aus den verschiedensten literarischen Quellen der Weltgeschichte.

Beide Fincher-Filme, "The Game" und "Seven", werden so aufgeblasen und mit Zitaten angereichert, daß viele Leute denken, sie hätten es mit unglaublich komplexen Filmen zu tun. Das Gegenteil ist der Fall. Hinterfragen sollte man das Dargebotene besser nicht. Einerseits schematisch, versucht der Film auf eine penetrante und aufdringliche Art, seine eigene inhaltliche Leere wortreich zu überspielen. Es geht angeblich um die sieben Todsünden, irgendwie auch um Dante, Milton und Chaucer, alle werden verbraten, aber zum Schluß bleibt doch nur eine übrig: Agatha Christie.