Ex-US-Diplomatin Nuland schürt Theorie westlicher Sabotage von Ukraine-Friedensabkommen
US-Beamter soll Gespräche im Jahr 2022 für gescheitert erklärt haben. Grund seien Bedingungen für Ukraine gewesen. Wie die Aussagen zu bewerten sind.
Victoria Nuland, ehemalige Staatssekretärin für politische Angelegenheiten und eine der wichtigsten Architektinnen der Russland-Politik der Biden-Regierung, hat sich nun zu der vielleicht nebulösesten Episode eines Krieges geäußert, der von undurchsichtigen diplomatischen Manövern geprägt ist: die Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine in Istanbul im April 2022.
Im Gespräch mit dem russischen Exiljournalisten Mikhail Zygar räumte Nuland ein, dass ein Abkommen auf dem Tisch lag. Westlichen Akteuren aber hätten die Bedingungen nicht gefallen, weil das Abkommen das ukrainische Militär eingeschränkt hätte.
Allerdings sind weder das Thema noch der Inhalt von Nulands Äußerungen neu. Es ist nur die jüngste Aussage von Schilderungen hochrangiger Insider. Unter ihnen finden sich Akteure wie der ehemalige israelische Premierminister Naftali Bennett und der ukrainische Politiker Dawyd Arachamija.
Arachamija hatte die These gestützt, dass Druck von außen möglicherweise die verhängnisvolle Entscheidung der Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj herbeigeführt hat. Selenskyj hatte damals die von der Türkei vermittelten Gespräche über einen Vertragsentwurf abgebrochen. Eine Einigung hätte den Krieg in der Ukraine beenden können.
Wenn wir eine annähernd vollständige und unvoreingenommene Analyse vornehmen wollen, müssen wir uns der notwendigen, wenn auch undankbaren Aufgabe stellen, all diese Berichte sorgfältig zu katalogisieren. Das gilt vorrangig für die Aussage von einer so einflussreichen Persönlichkeit der US-Russlandpolitik wie Nuland.
"Relativ spät im Spiel begannen die Ukrainer um Rat zu fragen, wohin das Ganze führen würde, und es wurde uns, den Briten und anderen klar, dass (des russischen Präsidenten Wladimir) Putins wichtigste Bedingung in einem Anhang zu dem Dokument versteckt war, an dem sie arbeiteten", so Nuland. Sie bezog sich damit auf Russlands damalige Forderung nach strikten Obergrenzen und anderen Beschränkungen für das Militärpersonal und die Bewaffnung der ukrainischen Streitkräfte.
Westliche Vertreter äußerten Befürchtungen
Solche Zugeständnisse, so argumentierte sie, sollten von Kiew abgelehnt werden, da sie die Ukraine "als militärische Kraft im Grunde kastrieren" würden.
Ohne ins Detail zu gehen, deutete sie an, dass diese Befürchtungen auch von westlichen Beamten geäußert wurden: "Menschen innerhalb und außerhalb der Ukraine begannen zu fragen, ob dies ein gutes Geschäft sei, und an diesem Punkt brach es zusammen", sagte Nuland.
Wer "außerhalb der Ukraine" aber stellte diese Fragen und welche Auswirkungen hatten diese gezielten Fragen auf die ukrainischen Delegierten?
Die Geschichte bleibt noch undurchsichtig
Die ganze Geschichte dieses kurzlebigen diplomatischen Zwischenspiels wird wahrscheinlich erst nach dem Krieg aufgeklärt werden, nicht zuletzt wegen der offensichtlichen politischen Befindlichkeiten.
Aber es gibt inzwischen – selbst nach konservativster Einschätzung – zahlreiche Indizien dafür, dass westliche Akteure, möglicherweise aus Großbritannien und anderen Ländern, die im Istanbuler Vertragsentwurf als "Garantiemächte" für die Sicherheit der Ukraine vorgesehen waren, Vorbehalte gegen das Istanbuler Format geäußert haben.
Ukraine stand unter Druck
Inwieweit diese westlichen Vorbehalte ausschlaggebend waren, und die Friedensgespräche beendeten, ist eine schwierigere Frage. Man kann davon ausgehen, dass es der Ukraine schwergefallen wäre, ein Abkommen zu unterzeichnen, das nicht zumindest stillschweigend von den westlichen Staaten unterstützt worden wäre, auf die sie sich in hohem Maße verlässt.
Aber es stimmt auch, dass die Gespräche zäh verliefen. Und obwohl es positive Anzeichen für eine langsame Annäherung zwischen Moskau und Kiew in wichtigen Fragen gab, waren beide Seiten noch weit von Einigungen entfernt, als die Verhandlungen beendet wurden.
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Victoria Nulands Äußerungen stützen die These, dass in Istanbul ein Abkommen zwischen Russland und der Ukraine auf dem Tisch lag. Ebenso bestätigen sie, dass der Westen eine Rolle dabei spielte, die ukrainische Meinung zu den Verhandlungen negativ zu beeinflussen. Und dass westliche Politiker offenbar überzeugt waren, dass am Ende nur ein schlechter Deal hätte stehen können.
Eine erneute Untersuchung dieser Details zwei Jahre später kann nicht als eine Übung in politischer Archäologie abgetan werden. Die Fakten, die in Istanbul auf dem Tisch lagen, sind immer noch relevant für Exitstrategien aus einem Krieg, der bald in sein drittes Jahr zu gehen droht.
Mark Episkopos ist Eurasia Research Fellow am Quincy Institute for Responsible Statecraft. Er ist außerdem außerordentlicher Professor für Geschichte an der Marymount University. Episkopos promovierte in Geschichte an der American University und erwarb einen Master in Internationalen Angelegenheiten an der Boston University.
Dieser Text erschien zuerst auf Englisch bei unserer US-Partnerredaktion Responsible Statecraft