Puigdemont will "als vom Parlament gewählter Präsident" zurückkehren
Die beiden großen katalanischen Unabhängigkeitsparteien haben sich auf ein Abkommen geeinigt
Die verworrene Lage zur Regierungsbildung nach den Zwangswahlen am 21. Dezember beginnt, sich eine Woche vor der aus Spanien verordneten Konstituierung des katalanischen Parlaments zu klären. Die Republikanische Linke (ERC) hat sich am späten Dienstag mit Junts per Catalunya (Gemeinsam für Katalonien/JxCat) auf ein Abkommen geeinigt, um am 17. Januar das Parlamentspräsidium zu bilden. Die ERC-Generalsekretärin Marta Rovira war dazu nach Belgien zum Exil-Präsidenten Carles Puigdemont gereist.
Die ERC meint, es handele sich nur um ein Abkommen über Parlamentspräsidentschaft und Zusammensetzung. So soll die Partei den Präsidenten und wie JxCat zwei Mitglieder im Präsidium stellen. Auch wenn es noch kein Regierungsabkommen ist, ist die Entscheidung für die erneute Wahl von Puigdemont zum Präsidenten gefallen. Es ist üblich, dass in der Koalition die Parlamentspräsidentschaft eine Partei stellt und die andere den Präsidenten.
So erklärt sich, warum Puigdemont auf einer Veranstaltung im französischen Montpellier - er war per Video zugeschaltet - den aus Katalonien angereisten Anhängern am Dienstagabend erklärt hat: "Mit aller Sicherheit und Legitimität werde ich als vom Parlament gewählter Präsident zurückkehren." Inzwischen geht angesichts der Entwicklungen auch die New York Times davon aus, dass der alte Präsident auch der neue Präsident sein wird, nachdem die Zwangswahlen für die Unionisten einen Schuss in den Ofen wurden und die Unabhängigkeitsparteien erneut gewonnen haben.
Auf der Veranstaltung saß neben Vertreterinnen von ERC und JxCat auch die bisherige CUP-Parlamentarierin Mireia Boya auf dem Podium. Die Linksradikalen, auf deren Stimmen ERC und JxCat erneut angewiesen sind, wollen das Abkommen stützen. Die gewählte CUP-Abgeordnete Natàlia Sànchez ging im Interview mit Catalunya Ràdio am Mittwoch sogar darüber hinaus. "Unsere vier Abgeordneten werden nicht die Einführung einer republikanischen Regierung verhindern." Sie forderte aber inhaltliche Klärung: "Wenn es um den Aufbau der Republik geht", die Ende Oktober ausgerufen wurde "und um die Ausweitung sozialer Rechte, dann vorwärts".
Mit allen Mitteln will die PP eine Amtseinführung von Puigdemont verhindern
Wie aus gut informierten Kreisen zu hören ist, haben sich Puigdemont und Rovira auf Puigdemont als Präsident geeinigt. Die Frage sei nur, wie er eingesetzt wird, da in Spanien weiter Haftbefehl wegen angeblicher Rebellion und Aufruhr gegen ihn und vier ehemalige Minister bestehen, obwohl Spanien die internationalen Haftbefehle wegen Aussichtslosigkeit zurückziehen musste. Die ERC lässt zwei Szenarien juristisch prüfen: Über das Parlamentspräsidium das Statut zu ändern, um ihn per Live-Videoschaltung aus Brüssel die Antrittsrede halten zu lassen oder das durch einen Stellvertreter tun zu lassen.
Letzteres wird offensichtlich bevorzugt. Zwar verbietet kein Artikel im Statut eine Telematik-Lösung, aber das von den Kandidaten der rechten Volkspartei (PP) beherrschte und politisierte spanische Verfassungsgericht könnte wie beim Referendum in den Vorgang hineingrätschen und die Statutenänderung vorläufig aussetzen, bis über die Frage entschieden ist. Das macht es stets, wenn die Regierung Verfassungsklage einreicht. Eine Klage hat die rechte, in Spanien regierende Volkspartei (PP) schon angekündigt. "Mit allen Mitteln" will die PP eine Amtseinführung von Puigdemont verhindern, sagte der PP-Generalkoordinator Fernando Martínez Maillo.
Da eine delegierte Amtseinführung aber im Reglement des katalanischen Parlaments schon vorgesehen ist, wäre dies sicherer und viel schwieriger für das Verfassungsgericht, gegen dies vorzugehen. Das Gericht führt sich derzeit selbst vor. Denn es hat nun die Klage angenommen, um zu prüfen, ob die Anwendung des Paragraphen 155 durch die Regierung überhaupt rechtmäßig war. Das wurde am Mittwoch bekanntgegeben. In diesem Fall wurde die Entscheidung extra verzögert, damit zuvor gewählt wird.
Der Schaden ist also angerichtet und kann praktisch nicht mehr rückgängig gemacht werden, weil die Anwendung des 155 nicht vorläufig ausgesetzt wurde. Über den Paragraphen, dessen Anwendung auch nach Ansicht der höchsten Richter fragwürdig ist, hat die spanische Regierung Puigdemont abgesetzt, das Parlament aufgelöst und Zwangswahlen angesetzt. Das, so hochrangige Juristen, gibt der 155 aber nicht her.
Verquere Rechenkalküle
Für die Oppositionsführerin Inés Arrimadas ist Puigdemont aber ohnehin untragbar, auch wenn er illegal abgesetzt wurde. "Man kann der Regierung nicht vorstehen, ohne die Gesetze", sagt die katalanische Chefin der Ciudadanos (Bürger). Besonders zog sie aber gegen die Koalition um die Linkspartei Podemos (Wir können es) ins Felde. "Sie wollten nicht einmal verhandeln", erregte sich Arrimadas. Die hatte sich offensichtlich Hoffnungen gemacht, dass über den Ausschluss von bis zu acht Parlamentariern, die entweder inhaftiert oder im Exil sind, der Wählerwillen bei der Bildung des Parlamentspräsidiums oder bei der Wahl des Regierungschef verfälscht werden könnte.
Die absurde Rechnung geht folgendermaßen. Die Unionisten kommen insgesamt auf 57 Sitze, die Unabhängigkeitsparteien auf 70, da bis zu acht Parlamentarier vielleicht nicht an der konstituierenden Sitzung teilnehmen können. Damit schmilzt die Mehrheit ab und könnte mit den Stimmen von Podemos überstimmt werden. Doch wie könnte eine Partei das tun, die Verfassungsklage gegen den 155 eingereicht hat? Arrimadas macht daraus aber, dass man die "Herren von Podemos immer an der Seite der Unabhängigkeitsparteien finden wird, wenn es ums Wählen geht".
Dabei ist deren Verhalten, gegen den Wählerwillen die Ciudadanos an die Macht zu bringen, nur konsequent. Die Parlamentarier, die angeblich die "Tür davor zugeschlagen haben, dass die Vernunft nach Katalonien zurückkehrt", tun nur das, für was sie gewählt wurden. Denn die Verfassungsklage hatte die Formation schon deutlich vor den Wahlen eingereicht. Für Arrimadas ist es offenbar "Vernunft", das Wahlergebnis über ungerechtfertigte Haft und Anschuldigungen zu verfälschen.
Ohnehin würde die Rechnung nicht einmal aufgehen. So twittert der ERC-Parlamentarier Gabriel Rufián: "Es ist nicht so, dass die nicht rechnen können, sondern glauben, du kannst es nicht." Sogar wenn sechs der acht gewählten Vertreter im Exil oder im Knast noch auf ihr Mandat verzichten und Nachrückern den Weg ins Parlament ebnen, hätten die Unabhängigkeitsparteien weiterhin noch eine Mehrheit im Parlament, auch wenn sich Podemos absurd auf eine Seite mit der gesamten spanischen Rechten stellen würde.
Man darf gespannt sein, wie sich die Justiz weiter verhält. Theoretisch ist ja auch noch möglich (oder ist es vielleicht schon geplant?), weitere gewählte Vertreter zu verhaften, um doch noch eine Unionsmehrheit hinzubiegen. Dazu müsste man ihnen aber zudem noch verwehren, an den Parlamentssitzungen teilzunehmen. Man darf gespannt sein, was beim Termin heute herauskommt, denn dann muss der Oberste Gerichtshof über die Freilassung von Jordi Sànchez (Listenplatz 2 von JxCat) und Joaquin Forn (Listenplatz 7) entscheiden.
Entscheiden muss das Gericht auch noch die Tage über den Antrag von Junqueras. Der hat heute beantragt, nach Katalonien verlegt zu werden, um an den Sitzungen teilnehmen zu können. Aus der Tatsache, dass diese drei Entscheidungen noch anstehen, erklärt sich auch, warum bisher drei der vier ehemaligen Minister in Belgien noch nicht gesagt haben, ob sie ihr Mandat zurückgeben, um im negativsten Fall die Mehrheit zu sichern oder weiter am Mandat festhalten, um mit Immunität und mit Puigdemont zurückzukehren.
Den weiteren Weg für Puigdemont hat auch Artur Mas bereitet. Der einstige Regierungschef trat vor zwei Jahren "zur Seite", da die CUP den Konservativen nicht erneut zum Präsidenten machen wollte und Puigdemont durchgesetzt hatte. Er hielt als Kontrolleur aber den Vorsitz der christdemokratischen PdeCat. Davon trat er nun am Dienstag zurück, um "Raum freizumachen". Mas will keine "Bremse" für die "Ausbreitung" des neuen Projekts sein. Damit kappt die PdeCat von Puigdemont alle Seile zur alten Vorgängerpartei und den Korruptionsskandalen der grauen Eminenz Jordi Pujol. Dessen politischer Ziehsohn war Mas und die Nachfolgepartei rückt weiter nach links.